Modewoche in Mailand:Träumt schön weiter

Die Mailänder Modewoche huldigt den Supermodels und dem Mythos Versace. Nach Frauenpower-Sprüchen setzen die Designer auf Realitätsflucht und opulente Entwürfe. Kleider für die moderne Frau sieht man aber selten.

Von Dennis Braatz

Es ist der wichtigste Moment der Saison, vielleicht sogar des Jahres, manche sehen in ihm schon jetzt den Höhepunkt dieses Modejahrzehnts: Carla Bruni, Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Helena Christensen, die Supermodels der Neunzigerjahre, sind wiedervereint auf dem Versace-Laufsteg. Sie tragen die berühmten Kettenhemdkleider, leicht lichtdurchlässig und kiloschwer. Gianni Versace erfand sie einst, um aus Frauen zugleich zarte und starke Göttinnen zu machen. Bei diesem Anblick muss selbst die kühlste Chefredakteurin auf die Sitzbank klettern, ihre Handykamera anwerfen und das Geschehen live ins Internet übertragen: #tributetogianni.

Zuvor wurden all die anderen legendären Gianni-Entwürfe gezeigt, der Vogue-Print, die Röcke mit Seesternen und Muscheln, die Mittelalterkreuze aus Schmucksteinen. Diese Show soll ein Denkmal sein für den Mann, der aus laszivem Prunk und Protz eine textile Popkultur begründete. Vor zwanzig Jahren wurde Versace vor seinem Haus in Miami erschossen. Seit diesem Tag wird er in der Modewelt schmerzlich vermisst, und seine Schwester Donatella führt die Geschäfte in seinem Namen weiter.

Als auch sie vors Mailänder Publikum tritt, läuft George Michaels "Freedom". Mit Carla, Claudia, Naomi, Cindy und Helena tänzelt sie auf und ab. Die Branche berauscht sich an diesem Bild. Was waren das doch für Zeiten damals! Es könnte tatsächlich das Jahr 1997 sein, wären da nicht ein paar Hundert Leute unten am Eingang, die über Instagram und Facebook längst mitbekommen haben, wer hier gerade auf dem Laufsteg steht.

Indien, Ethno und viel Paisley

Die Wahrheit ist, dass wir 2017 in unsicheren Zeiten leben (Trump, Erdoğan, Syrien, die Terrorangst in Europa und so weiter). Weshalb die Kollektionen auf der Mailänder Modewoche im vergangenen Februar nur so vor feministischen und gesellschaftlichen Statements explodierten: Missoni zog seinen Models Pussy Hats auf, Versace schrieb auf Kragen und Schals das Wort "Equality", Gleichberechtigung. Daraus wurde bis heute ein riesiger Trend.

Während bei H&M und Topshop T-Shirts mit Frauenpower-Sprüchen gerade bestens laufen, hat die italienische Luxusmode ihre klaren Botschaften aber längst schon wieder eingestampft. Nächsten Sommer ist Realitätsflucht angesagt. Die Designer tauchen mit ihren Kollektionen in Fantasiewelten ab, feiern sich selbst, gehen zurück zu ihren Anfängen und verkaufen, was ihre Archive hergeben. Bedauerlich? Dieses Business lebt vom ständigen Richtungswechsel!

Miuccia Prada kann deshalb nicht an den Erfolg ihrer letzten Kollektion anknüpfen. Seit jeher macht sich Prada für den Feminismus stark. Neuerdings mit Kittelschürzenkleidern über Hosen, kurzen Nylonshorts und hochgekrempelten Ärmeln. An den Wänden ihrer Showlocation erzählen Comics Geschichten von Frauen, manche sind auf Jacken und Mänteln gedruckt.

Zu den am meisten beachteten Schauen gehört diesmal nach Versace gleich Etro. Die Damenlinie der Ethno-Marke mit dem Paisleymuster entwirft Veronica Etro, ihr Bruder Kean verantwortet die Herrenlinie. Zum 50. Firmengeburtstag bündeln sie ihre Kräfte, wollen ihre Kollektionen fortan zusammen zeigen. Ein Risiko, weil beide so unterschiedlich entwerfen; sie romantisch und er eher sportlich bis rustikal. Das erste gemeinsame Thema ist Indien, weil ihr Vater 1968 den Grundstein des Familienunternehmens mit ein paar Paisleystoffen legte, die er von dort mitbrachte.

Den Auftakt machen mehr als ein Dutzend weiße Looks, hauptsächlich reich bestickte Kleider, weite Röcke, Jodhpurhosen. Es mischen sich Grau- und Currytöne ins Weiß, dann Safran, Feuerrot und Smaragdgrün. Ab und zu blitzen Spiegelplättchen an Blousonjacken auf. Die Kollektion ist eine der schönsten Mailands. Die Romantik hat gesiegt: Die Männer passen sich mit locker sitzenden Anzügen den Frauenentwürfen an. Backstage betont Kean Etro das "Können" seiner Schwester und wie wichtig es sei, dass Frauen Macht haben. Man ist dem Mann dankbar für seine Worte.

Was moderne Frauen 2018 tragen, haben sich Modemacher kaum gefragt

Auch Dolce & Gabbana ehren die Frau auf ihre Weise. Das Motto der Kollektion lautet "Queen of Hearts", das zentrale Motiv sind Spielkarten, etwa auf Glitzerhosen oder seidenen Morgenmänteln. Für die Kundinnen des Duos ist Mode tatsächlich ein Spiel. Sie sitzen zahlreich im Publikum, geschmückt mit blinkenden Kronen und Kleidern mit Puffärmeln aus Blumenapplikationen. Alles natürlich entworfen von Dolce & Gabbana, deren Rückblick auf alte Glanzzeiten gleich am Anfang der Show stattfindet, in Form ihrer schwarzen Lingeriekleider und -kostüme.

Für eine Überraschung sorgen auch hier die Models. Weil sie wieder Models sind. Zuletzt hatte sie das Designerduo durch Real People ersetzt, echte Menschen, Schuhdesigner, Mütter und Töchter und jede Menge Internetstars. Seit immer mehr Influencer auf Instagram Produktplatzierungen mit dem Vermerk "bezahlte Partnerschaft" kennzeichnen, scheint der Hype um sie vielerorts wieder etwas abzunehmen.

Dolce & Gabbanas Märchenprinzessinnen, Etros Hippie-Frauen, Versaces Nineties-Nymphen: Beim Anblick solch eskapistischer Kollektionen hüpft das Fashionherz schnell höher. Mode ist ja schließlich auch zum Träumen da! Daran ist nichts falsch, nur ist unterm Strich eher wenig von all diesen Entwürfen wirklich praktikabel für den Alltag der modernen Frau. Die Frage, was sie jenseits von Urlauben und Kostümpartys im Jahr 2018 tragen soll, haben sich die Designer kaum gestellt.

Ausgerechnet Alessandro Michele dimmt seinen überdekorierten Stil für Gucci in der nächsten Saison nun etwas runter. Das sieht auf den ersten Blick vielleicht nicht danach aus, weil er immer noch Disney-Motive mit Eighties-Schultern und Bauchtaschen kombiniert. Zerlegt man die Outfits aber mal in ihre Einzelteile, kommen dabei Kleidungsstücke heraus, die überraschend kombinierbar sind. Das gilt vor allem für seine Anzüge und Sakkos.

Bei Jil Sander designt jetzt ein Ehepaar

Von neuer Sachlichkeit ist nur das Debüt von Lucie und Luke Meier für Jil Sander. Die puristische Marke hat in den letzten fünf Jahren so viele Designer kommen und gehen sehen wie kaum eine andere. Das hat ihr den roten Gestaltungsfaden und eine Menge Kunden genommen. "The Meiers", wie das Ehepaar in der Branche genannt wird, sollen es nun richten. Er hat bereits für Supreme gearbeitet, sie für Dior. Das klingt vielversprechend, und so geht es auch los.

Der erste Look ist ein weißes Hemdblusenkleid mit asymmetrisch angesetzten Plisseefalten - eine Referenz an das ikonische Kleidungsstück des Hauses, das weiße Hemd, das später immer wieder auftaucht, mal enger, mal weiter, mal transparent, mal extrafest. Der klassisch dunkelblaue Hosenanzug wird gezeigt, mit millimeterbreitem Schlitz am Rücken, der das weiße Innenleben durchschimmern lässt, und der gipsfarbene Nadelstreifenanzug, etwas aufgelockert dank überlanger Hosenbeine. Das Eisblau und das zarte Gelb - alles da, was schon das alte Jil Sander ausmachte und das neue jetzt nötig hat.

Die entschleunigende Kraft dieser Kollektion packt die Gäste sofort. Schon beim Rausgehen ist klar: Das war jetzt mal etwas, das wir dringend im nächsten Sommer brauchen.

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