Modewoche:Großer Mann - ganz klein

Immer weniger Designer zeigen in Mailand ihre Herrenkollektionen gesondert. Viele Labels fehlen auf den Männerschauen. Kann man da noch von einer Modewoche sprechen?

Von Dennis Braatz

Ein Januarabend in Mailand, über der Stadt dichter Nebel, die Via San Paolo verstopft mit schwarzen Limousinen. Vor dem Eingang des Palazzo Spinola versuchen ein paar Zaungäste vergeblich, am Türsteher vorbeizukommen. Drinnen haben die geladenen Gäste schon unter mannshohen Kronleuchtern Platz genommen, an den Wänden klebt tonnenweise Goldstuck, der Boden ist feinster Marmor. Man fragt sich, wie um alles in der Welt man es schaffen soll, dass eine Kollektion in diesem Prachtsaal nicht untergeht. Die Antwort kommt von Donatella Versace: mit bernsteinfarbenem Samt zu Tigerprints, Lackhosen, Karo-Anzügen, Fan-Schals und dicken Bomberjacken. Eine Mischung aus Gigolo, Gentleman und Hooligan. Der Look ist vielleicht nicht wirklich geeignet für den Durchschnittsmann auf der Straße, aber es ist einer, der die Modeleute mal wieder gut unterhält. Opulent, cool, ein bisschen sexy, typisch Versace. Typisch Mailand eben. Ein seltenes Gefühl während dieser Modewoche.

Und dann reden alle nur über Bruce Weber, Mario Testino und "Me-Too"

Von einer Woche kann eigentlich nicht mehr die Rede sein. Gerade einmal zweieinhalb Tage dauerte die Präsentation der Kollektionen für die kommende Herbst-/Wintersaison. Immer mehr Designer integrieren ihre Männerlinie aus Kosten- und Organisationsgründen in die Show der Frauenkollektion. Gucci, Bottega Veneta, Jil Sander, Salvatore Ferragamo, alle längst weg. Unmöglich, da noch Trends festzustellen.

Die Einbußen können dieses Mal auch Dolce & Gabbana nicht wettmachen. Gleich drei Schauen veranstalten sie an drei verschiedenen Orten. Eine Kollektion mit einem Sport- und Gym-Thema. Eine Anzug-Kollektion, die öffentlich im Kaufhaus Rinascente gezeigt wird. Und die reguläre Kollektion (109 Looks!), unter dem Motto "King's Angels", also mit viel Kronen, Bling-Bling und Engelsmotiven. Keine Frage, alles gut gemacht. Wie man dabei aber selbst als Stammkunde den Überblick behalten soll, ist eine andere Sache.

Modewoche: Kuscheln auf Kissen: Die Models von Etro zeigen die nächste Herbst-/Wintersaison im Liegen.

Kuscheln auf Kissen: Die Models von Etro zeigen die nächste Herbst-/Wintersaison im Liegen.

(Foto: Etro)

Abseits der Mailänder Laufstege ist die Stimmung wie gelähmt. Zuerst schockierte die Nachricht vom plötzlichen Tod Nabile Quenums, der einer der beliebtesten und erfolgreichsten Streetstyle-Fotografen war. Dann berichtet die New York Times, dass Bruce Weber und Mario Testino in den vergangenen Jahren männliche Assistenten und Models immer wieder sexuell genötigt haben sollen. Weber und Testino gehören zu den beliebtesten und erfolgreichsten Modefotografen überhaupt.

Die Vorwürfe hat die Branche erschüttert - und zugleich wenig überrascht. Es gibt Leute, die sagen, dass sie von all dem nichts wussten ("Mario? Der ist doch nicht so einer!") und Leute, die sagen, dass das alles kein Geheimnis war ("Jeder hat es gewusst!"). Namentlich genannt werden will niemand. Noch ist nichts bewiesen, und nichts ist in der Modewelt wichtiger als die eigene Marke: Deshalb hält sich der Aufschrei in Grenzen. Der Verlag Condé Nast (Vogue, GQ, Vanity Fair und Glamour) hat die Zusammenarbeit mit den beiden Fotografen vorerst jedenfalls ausgesetzt. Testinos und Webers Karrieren dürften in der Post-Weinstein- und "Me Too"-Ära für immer beendet sein.

Immerhin einen Termin gibt es in Mailand, bei dem die Welt noch so richtig in Ordnung zu sein scheint: bei Etro. Nirgendwo wird Familie größer geschrieben als hier. Das merkt man diesmal schon beim Reinkommen. In die Mitte einer ehemaligen Eislaufhalle hat Designer Kean Etro einen Parcours aus allerhand Kuriositäten aufgebaut: alte Bahnhofsuhren, Flipper, Motorräder und Berge von Kissen. Viele der Sachen haben Verwandte beigesteuert. Dazwischen und darauf drapieren sich die Models. Sie dürfen essen und trinken und mit den Besuchern sprechen. Sie tragen Blazer mit psychedelischen Paisley-Mustern, Cordhosen und Broschen, Blousonjacken mit Tapeten- und Vorhangmustern. "Wir sind ein großes Ganzes", sagt Etro, und wird dabei von seiner kleinen Tochter unterbrochen, die ihm ein Küsschen auf die Wange gibt. "So denke ich auch beim Entwerfen. Interior beeinflusst Mode, und andersrum." Angefangen hat Etro mal mit Stoffen und Heimtextilien. Das ist nicht unüblich. Auch bei Ermenegildo Zegna begann man mit Anzugstoffen. 1910 war das, heute ist Zegna die weltweit größte Modemarke für formelle Herrenkleidung.

Vor einem Jahr nun heuerte Designer Alessandro Sartori an. Seine ersten beiden Shows gehörten damals zu den Highlights in Mailand. Er hat dem Anzug die Strenge genommen, seine Silhouette gelockert und ihn sportlicher gestaltet. Das setzt Sartori nun zwar fort, allerdings wirkt es etwas weniger mutig als zuvor. Die Silhouette ist wieder schmaler und strenger, das Alpin-Thema schon öfter da gewesen (die Models laufen durch Kunstschnee). Er zeigt dicke Lederblousons im Farbton Vicunja, gefütterte Sweatshirts in Olivgrün - und den schönsten Mantel der Modewoche - nachtblau und auf der Rückseite mit gestickten Bäumen und Ästen in Orange. Der vermögende Geschäftsmann wird in dieser Kollektion garantiert fündig werden.

Stilistisch wirklich weiterbringen konnte die italienische Männermode am Ende einmal wieder nur Miuccia Prada. Zum ersten Mal präsentierte sie ihre Kollektion nicht im Firmensitz in der Via Fogazzaro, sondern im neuen "Prada Warehouse", einer Industriehalle, die zur Kunststiftung Fondazione Prada gehört. Die ersten Looks sind schwarz und aus wattiertem Nylon: Funktionspullover, weite Hosen und Regenhüte. Die Models tragen Ausweisschilder mit ihrem Foto und jeder Menge neuer Prada-Logos am Revers (eine Antwort auf den grassierenden Logo-Trend). Backstage sagt die Designerin, sie sei verliebt in schwarzes Nylon. "Ich kann davon im Moment nicht genug bekommen." Warum auch? Sie hat dem Material eine Menge zu verdanken. Ihre Nylon-Taschen haben dem Unternehmen in den Neunzigerjahren einen riesigen Boom beschert.

Herzog & de Meuron, Rem Koolhaas und Konstantin Grcic machen jetzt in Nylon

Für die Show durften sich nun auch erstmals andere daran probieren. Die Architekten und Designer Rem Koolhaas, Jacques Herzog & Pierre de Meuron, Ronan und Erwan Bouroullec und Konstantin Grcic haben aus dem Material je ein Kunstwerk gestaltet. Während Modemarken derzeit vor allem mit Modemarken kooperieren, ist das mal eine neue Form der Zusammenarbeit. Obwohl Miuccia Prada auf dem Laufsteg natürlich auch noch eine Antwort auf den grassierenden Koop-Trend hat. Im zweiten Teil der Show zeigt sie Hemden und Shorts, die je aus zwei Prints bestehen: Bananen und Flammen, Hawaii-Blumen und ein sich küssendes Paar. Sie hat einfach Motive aus ihren bekanntesten Kollektionen aneinandergeschnitten, sozusagen mit sich selbst kooperiert. Sollte irgendwann auch Prada ihre Männerkollektion in die Show der Frauenlinie integrieren, muss man leider zugeben: Die Männermodewoche könnte endgültig einpacken.

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