Modewelt:Model per Erbrecht

Model Kaia Gerber presents a creation by German designer Karl Lagerfeld as part of his Haute Couture Spring-Summer 2018 fashion collection for fashion house Chanel in Paris

Ein bisschen Schlosspark: Kaia Gerber in Chanel - und in Versailles.

(Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters)

Kaia Gerber ist 16, internationales Model und die Tochter von Cindy Crawford. Kein seltenes Muster: Die Modewelt liebt Dynastien - und so stellt sich die Frage, ob es eine Kate Moss heute noch nach ganz oben schaffen würde.

Von Jan Kedves

Man nennt es wohl Blitzkarriere: Es ist erst ein paar Monate her, dass das Model Kaia Gerber in New York, Mailand und Paris debütierte, bei keinen geringeren Schauen als denen von Calvin Klein, Fendi, Prada und Versace. Es dauerte dann nur noch ein paar Monate, bis sie Ende Januar ihre erste Haute-Couture-Schau lief - mit strassbesetztem Blumenschleier in den berankten Arkaden, die Chanel ins Pariser Grand Palais hineingepflanzt hatte. Ein bisschen Schlosspark von Versailles war natürlich ein würdevoller Rahmen für Prinzessin Kaia. Und für Kaiser Karl. Der hat Kaia dann auch gleich eingeladen, für sein eigenes Label, Karl Lagerfeld, eine CapsuleLinie zu entwerfen.

Während die 16-jährige Kaia Gerber gerade noch so gut wie unbekannt war, gibt es in der Branche derzeit eine gewisse Aufregung ob der Frage, was sie für ihren plötzlichen Erfolg denn getan habe. Die Antwort ist relativ simpel, denn Kaia Gerber hat nicht nur schöne, lange Beine und ein makelloses Gesicht. Herumgereicht wird sie, weil sie die Tochter von Cindy Crawford ist, der Brünetten mit dem legendären Leberfleck an der Oberlippe aus dem Geschlecht der Supermodels der Neunzigerjahre. Kaia ist eine Fashion-Prinzessin - und schon auf dem Cover der Pariser Vogue.

Sicher, die Mode hat immer Träume von Hochwohlgeborenheit und der Sorglosigkeit verkauft, die der Reichtum mit sich bringt. Neu ist aber, wie sehr beim Verkaufen dieser Träume auf ein Personal gesetzt wird, das tatsächlich mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen ist. Abkömmlinge von Millionären, Erben aus Promi-Clans, Symptome einer neuen Ordnung in der Mode? Kaia wirbt für Calvin Klein auch im Tandem mit ihrem 18-jährigen Bruder Presley Gerber - der sieht seinem Vater Rande Gerber, der früher natürlich auch Model war und dann Spirituosen-Millionär wurde, ähnlicher als seiner Mutter.

Ohnehin scheinen Dynastien und Clans gerade das große Ding zu sein: In einer anderen Calvin-Klein-Anzeige rekeln sich alle fünf Kardashian- und Jenner-Halbschwestern, Kendall, Khloé, Kim, Kourtney und Kylie. "Our Family" steht darüber, wobei Familie ein viel zu ordinärer Begriff für das ist, was man hier sieht: Seit der Reality-Soap "Keeping Up with the Kardashians" sind die Kardashians und Jenners eher so etwas wie die Royals der Vereinigten Staaten. Jede der fünf Ks hat zig Millionen Follower auf Instagram, Vorfahrt in den Klatschmedien und auf den Laufstegen, und auch bei ihnen fragt sich so mancher: Wofür genau sind sie noch mal berühmt?

Die neuen Mode-Dynastien

In der Mode werden gerade dynastische Träume geträumt, und es stellt sich die Frage: Warum vertraut man in den Chefetagen der Industrie darauf, dass angeborene Privilegien intensive Sehnsüchte bei der Kundschaft wecken werden?

Eine Antwort könnte lauten, dass die Mode schon immer auf dieses Paradox gebaut hat. Einerseits ist sie ein Phänomen der bürgerlichen Gesellschaft und trat erst in Erscheinung, als das alte Regime aus Royalismus und Religion schon abgelöst war. Während sich das System Mode konfigurierte, im 19. Jahrhundert, setzte sich die Ansicht durch, dass alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, die gleichen Chancen haben sollten (was freilich erst mal nur für Männer galt). Auf der anderen Seite hörte die Mode aber nie auf, sich sehnsüchtig, und manchmal ironisch, auf die vergangene Zeit zu beziehen - und auf deren Insignien: königliche Macht, gottgegebener Reichtum, Adel.

Die Beispiele sind endlos: Das Rot, das die Sohlen der Pumps von Christian Louboutin heute zum Inbegriff von Sex und Luxus macht, war im 17. Jahrhundert der Ausweis des Sonnenkönigs Louis XIV. Im berühmten Porträt des Malers Hyacinthe Rigaud posiert er mit Seidenstrümpfen und zierlichen Schuhen mit rotem Absatz und roter Schleife - ein Herrscher, der im Gegensatz zum Fußvolk nicht "das beliebige Auf und Ab des Rades der Fortuna" illustriert, sondern reine göttliche Vorsehung, wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in ihrem Buch "Angezogen" schreibt.

Oder: Louis Vuitton fing im 19. Jahrhundert als Kofferpacker von Eugénie de Montijo an, der Gattin von Kaiser Napoléon III. Als er 1854 seinen Laden in Paris eröffnete, nannte er das Segeltuch, mit dem er seine Koffer bespannte, "Trianon", so wie die Schlösser in Versailles. Und auch bei Prada ist man stolz auf seine royalen Verbindungen: Die Gebrüder Prada wurden 1919 vom italienischen König Viktor Emanuel III. zu Hoflieferanten ernannt, weswegen bis heute das Wappen des Hauses Savoyen Teil des Prada-Logos ist.

Wappen machen sich in der Mode immer gut, Monogramme sowieso. Die Trägerin, oder der Träger, fühlt sich damit gleich selbst ein bisschen geadelt. Das ist eine Funktion der Mode: die Kunden durch die gesellschaftlichen Hierarchien hindurch symbolisch emporzuheben. Die beiden verschlungenen Cs im Logo des Hauses Chanel weisen nicht zufällig starke Ähnlichkeit zum Monogramm der Katharina von Medici (1519 - 1589) auf. Der italienische Designer Franco Moschino hat sich in den Achtzigerjahren über diese ganze Monogramm-Manie in der Mode lustig gemacht, er verschlang nach demselben Prinzip zwei Fragezeichen ineinander. Jeremy Scott, der heutige Moschino-Chefdesigner, griff dieses Logo wieder auf. Zum Fashion-Monogramm sagt er lakonisch: "Das ist einfach ein Ding, das man macht, um nobel zu wirken."

Nobel wirken ist das Stichwort: Wenn heute die Anzeigen und Laufstege der Mode vom Nachwuchs des modernen Finanzadels bevölkert werden, dann soll das auch nobel wirken. All diese Kinder von Supermodels, von früheren Zehnkampf-Weltrekord-Haltern und Staranwälten oder - wie bei Gigi und Bella Hadid - von Immobilien-Tycoons mit einem echten Prinzen von Nazareth im Stammbaum, haben ihre Plätze im Rampenlicht fast sonnenköniglich mit einer Mischung aus Geld und Geburtsrecht verdient. Und mit ihrem gut besuchten Instagram-Account.

Hat die Mode kapituliert?

Muss man darüber schlechte Laune bekommen? Man könnte zumindest fragen, wann es zum letzten Mal ein Gesicht schlicht aufgrund seiner besonderen Schönheit oder schönen Besonderheit in der Mode ganz nach oben geschafft hat. Kate Moss zum Beispiel stammt aus einfachen proletarischen Verhältnissen in Croydon, entdeckt wurde sie im Vorbeigehen am Flughafen in New York. Naomi Campbell, auch aus einfachen Verhältnissen stammend, wurde in Covent Garden angesprochen. Ihre Karrieren starteten per Zufall, danach folgten viel Disziplin und Willenskraft. Die Schönheit verhalf sich sozusagen, trotz widriger Umstände, zu ihrem Recht. Solche Geschichten scheinen heute keinen Appeal mehr zu haben. Schön ist, wer schon reich ist.

Deprimierend ist dabei nicht nur, dass hier auch jeglicher Generationenkonflikt flöten geht. Die Kinder müssen im Grunde ja genauso sein wie ihre Eltern, weil man die schon kennt und sich vor allem ihretwegen für die Kinder interessiert. Vielleicht sind die Kinder nur glatter. Cindy Crawford hatte mit ihrem Leberfleck einen Makel, der ihre Karriere früh hätte beenden können. Er symbolisierte: Du musst nicht hundertprozentig perfekt sein, du kannst den Makel für dich arbeiten lassen, ihn zum Trademark machen. Prinzessin Kaia hat keinen Leberfleck.

Noch deprimierender ist aber, dass die Mode hier nur das zu spiegeln scheint, was gesamtgesellschaftlich ohnehin Trend ist. Die Privilegierten und Reichen werden privilegierter und reicher, die Armen ärmer, die Durchlässigkeit - also: die soziale Mobilität - nimmt ab. Für die Demokratie und ihren Zusammenhalt stellt das eine Gefahr dar. Für die Mode auch?

Mode war in den vergangenen Jahrzehnten oft progressiv und an wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen beteiligt. Ob sie der arbeitenden, sich emanzipierenden Frau eine neue, zeitgemäße Garderobe gab. Ob sie den Mann mit neuen Möglichkeiten ausstattete, sich aus Anzug und Krawatte zu befreien und ein neues Selbstbild zu entwickeln. Jetzt scheint die Mode vor der im neuen Jahrtausend um sich greifenden Oligarchisierung zu kapitulieren. Oder sollte man sagen: Trumpisierung? Denn reaktionärer geht es ja eigentlich nicht.

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