Modetrend "Füßlinge":Sie sind unter uns

Der ausklingende Sommer war sehr warm und sehr nass. Beste klimatische Bedingungen für eine neue Modeplage: Füßlinge. Vor allem junge Herren sind betroffen - selbst solche, die es besser wissen müssten.

Verena Stehle

Stellen Sie sich vor, Sie fänden bei sich zu Hause, auf dem Bett!, eine ovale Hülse aus Naturfaser, mit einem Loch oben, die aussieht, als sei gerade eine fette Raupe aus ihr geschlüpft. Und dann noch eine, im Bad. Und im Flur. Sie würden erschrecken. Sich fragen, was das bitte ist. Und was es da macht. Richtig?

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Auch modisch versierte Männer können irren: Der Designer Henry Holland trägt bei einer Shoperöffnung in London Sneaker in Military-Grün, dazu graue Füßlinge.

(Foto: Getty Images)

Genauso ergeht es uns, seit der Sommer offiziell begonnen hat. Diese unansehnlichen Dinger sind überall. Jeder Zweite hat sie immer dabei, meist sind es Männer. Das korrekte Wort für diese Hüllen lautet "Füßlinge". Es handelt sich um eine Sockenart. Und es besteht kein Zweifel daran, dass wir es in diesem Sommer mit einer ernsten Füßlingsplage zu tun haben.

Menschen, die in ihrer Freizeit zelten gehen und Vulkane besteigen, tragen auch Füßlinge in ihren Jack-Wolfskin-Trekkingschuhen. Aber berichtenswert ist es erst jetzt, seit ein ganz spezieller Typ Mann sie mit größter Selbstverständlichkeit trägt. Junge Herren, denen der eigene Kleidungsstil extrem wichtig ist - und die gerne mit dem Finger auf andere Männer zeigen, die aus Prinzip natürlich alle immer schlechter gekleidet sind als sie selbst.

Kein halbwegs ernstzunehmendes Männeridol hat es vorgemacht

Der übercoole Designer Henry Holland trug kürzlich, bei einer Shoperöffnung in London, graue Füßlinge in seinen Turnschuhen - das Beweisbild haben wir oben abgebildet. Der dandyhafte Kollege hier in der Redaktion favorisiert Schwarz. Der Bekannte, der immer mit dem Skateboard durch die Gegend donnert, Weiß. Die drei hatten etwas gemein: Sie waren modisch stets auf der Höhe der Zeit. Manchmal sogar noch schneller. Bis - jetzt.

Als aufmerksamer Modebeobachter kann man nur verzweifeln angesichts der kurzen Socke. Kein halbwegs ernstzunehmendes Männeridol - Richard Burton, Bryan Ferry, Hélio Gracie - hat es vorgemacht. Und trotzdem machen es alle nach.

Dabei spricht schon die Physiognomie des Füßlings gegen ihn. Er ist nichts Ganzes (das wäre logischerweise ein Kniestrumpf, dazu später) und nichts Halbes (eine Socke). Wen wundert es da, dass der Nobody auch keine Erwähnung in Modewerken findet: Das "Taschenlexikon der Mode-Begriffe" kennt die "Klimasocke", aber keinen Füßling.

Da muss man wohl kurz Wikipedia anzapfen. Dieser reicht, steht da, "vom Zehenende bis zum Fersenansatz und ist am Rist ausgeschnitten". Und nun die entscheidende Passage: "Aus modischen Gründen soll diese Form der Socke (...) nicht sichtbar sein."

Traurige Realität aber ist: Ein kleines, ausgeleiertes, verwaschenes Baumwollrändchen lässt niemals Zweifel an seiner Existenz. Logischerweise ist so ein Teil, das erschaffen wurde, um im Verborgenen zu agieren, designmäßig nicht besonders ausgeklügelt. Dieses Schicksal teilen Füßlinge mit Skiunterhosen und transparenten Zahnschienen gegen Knirschen. Aber mit denen geht man ja auch nicht aus.

Frauen lernen schon sehr früh in Frauenmagazinen, wie man nicht so schöne Details versteckt; wie man sie kaschiert und "camoufliert". Männer hingegen wollen es den anderen immer zeigen, und zwar alles. Das neue Fixiebike, den so hart trainierten Bizeps, sie stellen sogar den Blick aus ihrem Küchenfenster bei Facebook rein. Bedenken aber nicht, dass die anderen sie dann auch betrachten. Von oben bis ganz weit unten.

Verniedlichungsformen wirkten noch nie männlich

Überhaupt der Name ist arg. Im Englischen heißen sie "footies", was die Sache auch nicht besser macht. Verniedlichungsformen wirkten noch nie männlich. Und genauso wenig, wie man von seinem Liebsten "Himbeerpfötchen" genannt werden möchte, will man, dass der Kerl andauernd seine "Füßlinge" sucht. Sie sind im Bett, im Bad, im Flur! Und jetzt: Klappe!

Es ist egal, ob man sie bei Brooks Brothers in New York oder Ernsting's Family in Sirksfelde erwirbt. Auch Designer-Füßlinge verkürzen optisch das Bein, ihre Gummiränder schneiden in den Knöchelspeck, was nicht gerade chic ist. Wenn man an Schuhen den Charakter eines Menschen erkennt, dann rufen Samtslipper mit Söckchen: Mein Träger hat einen Bombenstil. Und, hurra, vielleicht auch Fußpilz!

Wie kann man nur? Schnell wird die Frage im männlichen Bekanntenkreis gestreut. Schon die nonverbalen Reaktionen sind aufschlussreich: Auf-den-Boden-Gucken und genantes Herumdrucksen. Also, Jungs, raus mit der Antwort. "Die sind echt praktisch." Das gilt leider nicht. Wer praktisch denkt, darf nie wieder über Haremshosen lachen, die mit dem sehr tiefen Schritt. Es gibt wenig, was Männer an Frauen mehr hassen.

"Barfuß in Schuhen ist noch ekelhafter"

Also wird ein weiteres Argument nachgereicht. "Aber, äh, barfuß in Schuhen ist noch ekelhafter." Soso: Die Minisocke ist eine Art kleineres Übel. Das, vermuten wir mal, zwei riesigen Übeln gegenübersteht, die sich in der männlichen Phantasie aufbauen wie zwei "Transformers"-Bösewichte. Erstens: Geruch. Zweitens: Nässe. Und das haben Männer im Axe-Deo-Werbespot gelernt: Schlagen diese üblen Typen zu, laufen die Armeen bikinitragender Amazonen davon. Bloß: Füßlinge vertreiben sie für immer.

Deutsche Männer sind Sockenfanatiker. 78 Prozent wechseln täglich die Strümpfe - häufiger als die Franzosen, so eine Studie des Marktforschungsinstituts Gfk Switzerland. Doch wer jetzt, wenn es warm ist, so gerne Socken trägt, sollte wenigstens zu denen rüberschielen, die immer noch die stilvollste Sommergarderobe von allen haben: die Italiener.

In Florenz, Mailand, Rom, wo die Männer oft noch besser gekleidet sind als die Frauen, gilt die simple, seit Jahrzehnten von Generation zu Generation weitervererbte Regel: entweder Kniestrümpfe, oder farbige Socken, oder barfuß im Schuh. Warum auch nicht? Es gibt wunderbare Waldmoos-Einlegesohlen und Pfefferminz-Rosmarin-Fußdeodorants. Die man eben nicht sieht.

An die Strumpfregel hielten sich auch die Designer, bei den Männerschauen für Sommer 2013. Nur Phillip Lim präsentierte die Tennissocke als Modegag. Der Füßling war nirgendwo zu sehen. Weil er so gar keine Pointe hat, vielleicht?

Ganz tief drinnen finden Männer Füßlinge auch schlimm

In Zeiten, in denen Männer wie im Schlaf elegante Schuhe kaufen, sind Socken die lesenswerten Fußnoten. Socken mit Zeilen wie "Be active" oder "Stoff" sind halb so schlimm. Es gibt Füßlinge mit Comicgesichtern, deren Mund das Loch ist, wo man mit dem Fuß reinschlüpft. Das ist obszön.

Die modischen Füßlingsträger sind clever, sie wissen, dass sie die Füßlingsschlacht verlieren werden. Dass auch das Argument "Sie waren schon in diesem irre tollen Modeblog, wie heißt er doch gleich -, Thesartorialist'!" nicht zieht. Ganz tief drinnen finden Männer Füßlinge nämlich auch schlimm. Abtörnend und unmännlich. Sie tragen sie aus keinem anderen Grund als aus purer Not. Und sie sind perplex, dass sie dabei ertappt worden sind.

Gehen wir am Ende dahin, wo ja so oft alles endet, und manchmal auch beginnt: im Schlafzimmer. Mal angenommen, der Schauspieler Richard Burton, das wohl männlichste aller Männervorbilder, hätte sich schon bis auf die Füßlinge ausgezogen. Wie hätte wohl Elizabeth Taylor reagiert, seine große Liebe, die ja Streiten ähnlich liebte wie Sex und Wodka? Vielleicht so: "Ich warne dich, walisisches Pockengesicht, wehe, du schleppst deine liederlichen Stoffhufe mit ins Bett . . .!!"

Die Taylor war sehr eifersüchtig. Auf alles und jeden. Sogar auf kleinere Übel.

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