Modetrend Ethno-Muster:Wie die Wilden

Früher trugen sie nur Globetrotter: Kleidung, die aussieht, als hätte sie ein Naturvolk gefertigt. Jetzt ist eine wahre Ethno-Manie in der Mode ausgebrochen, auch Prominente sind dem Trend bereits verfallen. Doch was ist der Unterschied zwischen Ikat, Navajo, afrikanischem Wachsdruck und Aborigine-Print? Eine kleine Musterkunde.

Miriam Stein

Was ist eigentlich "Ikat"? I-Kat - vielleicht ein neues Apple-Produkt? Eine Fitnessart aus Hollywood? "Ikat" ist ein neuer Mode-Sammelbegriff. So werden Stoffe bezeichnet, die mit geometrischen Mustern bedruckt sind und so aussehen, als hätte sie ein Naturvolk fabriziert. Auch beliebt sind die Namen "Navajo" oder "Aztec".

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Auch die Tapeten sehen aus, als hätten sie Naturvölker entworfen.

(Foto: PR)

Es war der japanische Designer Kenzo Takãda, der folkloristische Dschungel-Muster Anfang der 70er Jahre auf den Laufsteg holte; Yves Saint Laurent folgte 1976 mit einer Folk-Kollektion. Als der Begründer der jüngeren Ethnomode gilt Nicolas Ghesquière. Er zerrte 2007 die Prints vom Eine-Welt-Laden auf den Laufsteg. In seiner Kollektion, die bis heute - oder richtiger: heute wieder - von Passanten in Streetstyleblogs aufgetragen wird, zitierte Ghesquière keine spezielle ethnische Gruppe. Er studierte die Druck- und Webstile verschiedener Kulturen und präsentierte sie in einem globalen Mix.

Fünf Jahre später haben die farbenfrohen Muster nicht nur die Mode geflutet, von H&M bis hin zu Oscar de la Renta. Sie zieren auch Schmuck, Möbel und Wohnutensilien. Jeder kann seine eigene kleine Lebenswelt ganz kosmopolitisch einrichten, er muss die eigenen vier Wände noch nicht mal verlassen. Man sitzt auf Ottomanen von Anthropology vor einer Gobelindecke mit Zickzackstreifen, und an den Füßen baumeln Pantoffeln mit Ikatmuster.

Am vergangenen Wochenende verließen die Musterfans dann doch ihre Höhlen. Auf dem Musikfestival Coachella in der kalifornischen Wüste führte die wilde Besucher-Meute - darunter die deutsche Hollywood-Schauspielerin Diane Kruger und US-Model Karlie Kloss - Indianer-Accessoires und neonfarbene Kriegsbemalung vor, die sicherlich bald Einzug in die Stadtparks von Berlin halten wird. Peinlich? Ist eigentlich nur, dass wenige Modelabels den Unterschied zwischen "Ikat" und "Navajo" kennen - und die Begriffe synonym verwenden.

Ikat-Muster

Das echte Ikat erkennt man nicht an Punkten oder pinkfarbenen Strichen, sondern am Garn. Das Wort "Ikat" entstammt dem Malaiischen und bedeutet "abbinden, umwickeln und verknüpfen". Mittlerweile ist es in den englischen Sprachgebrauch eingeflossen und bezeichnet dort sowohl das Muster als auch die traditionelle Herstellungweise. Die Fäden werden in variierenden Abschnitten eingefärbt, sodass am Ende geometrische Formen mit ungeraden, flimmernd verlaufenden Linien entstehen.

Ikatgarn wird auf Trommeln gespannt und in Laufrichtung wieder und wieder angemalt, getrocknet und dann versponnen. Die Technik hat sich unabhängig voneinander in verschiedenen Teilen der Welt zeitgleich entwickelt und ist deswegen nicht einer einzigen Kultur zuzuordnen. Sie gilt als eine der ältesten Traditionen in der Herstellung dekorativer Textilien.

Wo sie zuerst angewandt wurde, bleibt offen. Die US-Ikat-Experten Jack Lenor Larsen und Garrett Solyom finden erste Aufzeichnungen von "Ikat" im 6. Jahrhundert bei chinesischen Stämmen. Laut der Anthropologin Chelna Desai gab es noch früher indische Varianten. Laut Lenor Larsen und Solyom ist die Kunst der Ikat-Färbung aus China über die Seidenstraße nach Usbekistan und Afghanistan gekommen. Spanische Eroberer und holländische Kaufleute haben sie nach Westeuropa importiert. Bis heute entstammen die berühmtesten europäischen Ikat-Webereien der Urlaubsinsel Mallorca. Mit der Technik werden auch Kimonos und Sarongs in Süd- und Ostasien gefertigt. Die meisten der heute so genannten Ikat-Prints sind keine traditionell eingewebten Muster. Schon gar nicht die "Ikat-Grußkarten" des Labels Topshop.

Navajo-Webkunst

Navajo-Muster gehen zurück auf die Webkunst der Navajo, der amerikanischen Ureinwohner aus dem "Four-Corner", dem Grenzgebiet zwischen den heutigen Bundesstaaten Utah, Colorado, New Mexico und Arizona. Bruce Bernstein, ehemaliger Direktor des "Museum for Indian Art and Culture" in Santa Fe und Experte für Navajo-Teppiche, hat zurückverfolgt, dass die Navajo das Weben um 1650 vom Nachbarstamm, den Pueblo, gelernt haben.

Die Pueblo wiederum haben ihre technischen Feinheiten wohl bei den spanischen Eroberern abgeguckt. Die Pueblo-Indianer haben horizontale Linien in ihre Teppiche gewebt, die Navajo erweiterten die Webekunst um "lazy lines": diagonale Linienführung und ihre klaren, charakteristischen Rauten, Quadrate und Treppenlinien. Die Qualität der Muster, vor allem der Textilien selbst, machten Navajo-Teppiche und Decken aus dicker Schafswolle schnell zum Verkaufshit. Um 1860 tauchen erste Aufzeichnungen von Siedlern zu Navajo-Textilien auf.

Die Spinnenfrau lehrte sie Weben

Bis heute wird eine Stammeslegende überliefert, nach der "ein mystisches Wesen namens Spinnenfrau vom Himmel herabstieg und den Frauen der Navajo die Kunst des Webens lehrte." Die Modekette Urban Outfitters druckte ihre Navajo-Muster nicht nur auf T-Shirts, sondern auch auf Unterhosen und Flachmänner, ohne vorher die Erlaubnis des Stammes einzuholen. Daraufhin verklagte die Navajo Nation die Kette wegen Urheberrechtsverletzungen und Verstoßes gegen den Schutz indianischer Kunst.

Dank des Hypes indianischer Motive erleben derzeit auch die farbenfrohen Decken der US-Traditionsmarke Pendleton Woolen Mills ein Comeback. Seit 1909 pflegt das Label enge Kontakte zu Stämmen in den USA, um mehr über traditionelle Muster und deren Bedeutung zu lernen.

Afrikanischer Wachs-Druck

Die mehrfach eingefärbten Stoffe sind in diesem Frühling durch das britische Modehaus Burberry Prorsum in den Fokus von Moderedakteuren gerückt. Mit Hilfe von Wachsschablonen werden großflächige, geometrische, aber auch filigrane Muster auf den bereits gewebten Stoff gedruckt und anschließend gefärbt. Die Farbe perlt von den Wachsdrucken ab. Entfernt man anschließend die Schablone, bleibt das Motiv übrig. Wachsdrucke erkennt man an Linien und Formen, die wie gebatikt aussehen und dort entstehen, wo das Wachs durchlässig wird.

Die Stoffe sind überhaupt nicht authentisch afrikanisch", sagt der in London lebende, nigerianische Künstler Yinka Shonibare, der sich seit Jahren mit der Herkunft der Wachs-Drucke beschäftigt. In Westafrika heißen sie "Dutch Wax Prints", was ihren Ursprung deutlich macht: Holland. Mitte des 19. Jahrhunderts gelangten die ursprünglich für den indonesischen Markt hergestellten Textilien über westafrikanische Sklaven erstmals nach Ghana, Nigeria, Togo und an die Elfenbeinküste. "In Westafrika ist man sich völlig darüber im Klaren, dass die Drucke keinerlei lokale Wurzeln haben", erklärt die Anthropologin Nina Sylvanus.

Dieses krosskulturelle Missverständnis führte zu einem peinlichen Zwischenfall, als der japanische Modeschöpfer Junya Watanabe 2009 für eine Kollektion vermeintlich "afrikanische" Drucke adaptierte. In den Augen des Designers unterlagen diese "Stammestrachten" keinerlei Copyright. Dumm nur, dass die Rechte beim angesehenen, niederländischen Stoffhersteller Vlisco lagen, der seine Drucke natürlich schützen ließ. Man einigte sich, laut Vlisco-Pressemitteilung, "außergerichtlich und freundschaftlich".

Neu: der Aborigine-Print

Während Topshop online ein Oberteil mit abstraktem "Ureinwohner-Aufdruck" verkauft, hat sich das Prèt-â-Porter-Label Rodarte für die Winter-Kollektion 2012 auf die Ureinwohner Australiens gestürzt. Die Designerinnen Kate und Laura Mulleavy präsentierten unter anderem schwarze Handmotive auf weißen Seidenroben.

Diese Handabdrücke gelten unter den Aborigines als spirituelle Bilder. Prompt polterte die UN-Beauftragte Megan Davis gegen die Nutzung der "heiligen Kunst für kommerzielle Zwecke in der Modeindustrie." Der Konflikt ist geklärt, die Schwestern lizensierten Aborigine-Kunst für die Kollektion und beteiligen die Witwe des mittlerweile verstorbenen Künstlers Benny Tjangala an den Umsätzen.

Azteken-Muster

Im Fall von "Aztec" wird es richtig schwierig. Die Bezeichnung Aztek - "Jemand, der aus Aztlàn stammt"- meint eine mesoamerikanische Volksgruppe unterschiedlicher Stämme, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert im Tal von Mexico lebten. Sie selbst nannten sich "Mexica". Textilien spielten eine zentralen Rolle für die Mexica. Alle mesoamerikanischen Völker verehrten einen eigenen Gott der Webekunst. Motive und Verzierungen wurden eingestickt, gefärbt, gebatikt und gewoben, viele hatten religiöse Bedeutungen.

Die britische Textildesignerin und Bloggerin Ruth O' Leary vermutet, dass es sich bei den jetzt als "aztec" bezeichneten Mustern im besten Falle "um Ikat-Imitatdrucke aus mittelamerikanischen Regionen" handle, schlimmstenfalls um "eine wüste Computergrafik, die dem Käufer ein Gefühl von Exotik vermitteln soll". Zwischen echten und falschen Ethno-Prints liegen eben Welten.

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