Modemuse Beth Ditto:Das Anti-Püppchen

Lesezeit: 4 min

Die Modebranche reißt sich um sie - und das, obwohl Beth Ditto zwar die perfekte Schminkpuppe, aber alles andere als eine klassische Schönheit ist. Das modische Vorbild der Stilikone? "Fett, glamourös, weiblich und eigensinnig": Miss Piggy.

Miriam Stein, Berlin

Ein grauer Plattenbau, direkt am Alexanderplatz. Genau die Location, wie es in Berlin gerade schick ist. Links ein schmaler Gang mit rotem Teppich, rechts eine Absperrung, hinter der sich bestimmt 100 Fotografen und Videoleute drängeln. Gerade schlendert Michi Beck von der schwäbischen Combo Die Fantastischen Vier vorbei, dann Sängerin Mimi Müller-Westernhagen, dicht gefolgt von Kollegin Inga Humpe und Performance-Star Peaches. So geht das immer weiter. Die Kameras klicken mechanisch, aber wegen Berlins Sternchen ist keiner wirklich hier. Alle schielen aus den Augenwinkeln nach einer kleinen Frau mit der Figur eines Medizinballs und sehr viel Schminke im Gesicht. Auf einmal schreckt die Pressemeute förmlich hoch: "Beth, Beth!" "Beth, schenk uns ein Lächeln!" "Beth, bitte!"

Die Umschwärmte grinst, Beth Ditto, die gerade scheinbar überall gleichzeitig ist: auf Zeitschriftencovern, den Filmfestspielen von Cannes, bei Rock am Ring, außerdem spielte sie in der Finale-Show von Germany's Next Topmodel. Und jetzt ist sie auch noch hier, in diesem Club namens Made, wo die Make-up-Firma Mac ihre Beth-Ditto-Linie präsentieren wird. Ob sie sie mitentworfen hat, oder ihr nur ihren Namen geliehen hat, das spielt in diesem Moment keine Rolle. Ditto trägt ein rotes Kleid mit Fledermausärmeln, einen kurzen, rabenschwarzen Pony über ultradünnen Augenbrauen, sie sieht aus wie eine wohlgenährte, sehr fröhliche Mangapuppe.

Erstaunlich, diese gute, gar nicht aufgesetzte Laune. Die meisten Künstler mit einer solchen Auftrittsdichte sind irgendwann müde, desinteressiert, abwesend, im besten Falle zicken sie nur ein wenig herum. Die US-Musikerin aber steht nach einem langen Interviewtag auf der Tanzfläche und grinst: "Es ist wie Urlaub hier, deswegen trage ich heute auch mein Urlaubsoutfit!" Dann dreht sie ein paar Pirouetten in ihrem Kimono-Minikleid und plappert weiter: "Dort wo ich herkomme, arbeiten die Menschen. Sie gehen in die Fabrik und rackern sich ab. Im Vergleich dazu ist das hier so was von stressfrei!"

Um sie herum tanzen währenddessen ihre Verlobte, Assistentin Kristin Ogata im Hosenanzug, die langjährige Gossip-Managerin Tara Perkins mit wasserstoffblonder 80er-Jahre-Dauerwelle zu Leoparden-Leggings und US-Blogger Perez Hilton in neonpinker Röhrenjeans. Eine Gruppe, die man, von der Ferne betrachtet, irgendwo zwischen Highschool-Nerd-Clique und Gay-Club einordnen würde, nicht aber in den Modekosmos. Hier, in Berlin-Mitte, zwischen all den nachtblauen A.P.C.-Tops, Kaviar-Gauche-Handtaschen, beigefarbenen und schwarzen Liebig- und Roland-Mouret-Kleidchen zu aschblonden gescheitelten Bobfrisuren, bleiben sie ästhetische Extremisten.

"Jahrelang hatte ich in meiner Küche einen Punk-Frisör-Laden namens ,Salon du Gay', ein Punk-Bob kostete 3 Dollar", schrieb Ditto einmal in ihrer Lifestyle-Kolumne "What would Beth Ditto do?" im britischen Guardian, "seit es mit Gossip so gut läuft, ist der Service gratis!" Sollte es mit der Band irgendwann nicht mehr so gut laufen, könne sie sich "durchaus vorstellen, Visagistin und Frisörin zu werden, das war auch immer ein Traumberuf für mich".

Flucht aus Searchy

Beth Ditto wuchs in einer Wohnwagensiedlung in Arkansas auf, am Rande eines Dorfes mit dem Namen Searchy, ohne MTV, ohne Telefon, es gab noch nicht mal fließendes Wasser. Als Beth Dittos Jugendfreundin und Ex- Gossip-Schlagzeugerin Kathy Mendonca zum Studium nach Olympia - bei Portland im Bundesstaat Oregon - zog, wollte sie nicht ohne Ditto gehen. Sie zwacke ein paar Dollar ihres bescheidenen Stundenlohns ab, den sie am Tresen einer US-Fastfoodkette verdiente, um ihrer Freundin die Flucht aus Searchy zu ermöglichen. Die musikalische Karriere von The Gossip begann in der schwul-lesbischen Punkszene von Portland, wo sie bis heute mit ihrer Verlobten lebt.

In Europa eroberte Gossip im Nu den Mainstream. 2007 druckte das Londoner Musikmagazin New Musical Express ein Coverfoto, das eine nackte Beth Ditto über und über mit Lippenstift-Kussmündern zeigte. Prompt lag ihr die europäische Modewelt zu Füßen. Ob der geschasste Dior-Designer John Galliano, Balenciaga-Chef-Designer Nicolas Ghèsquiere, Karl Lagerfeld oder der erklärte Ditto-Fan Jeremy Scott: All diese ehemaligen Sonderlinge erklärten sie zu ihrer Muse, machten ihr Platz in den ersten Reihen ihrer Modenschauen, ließen sie auf Aftershow-Partys spielen (Fendi), überhäuften sie mit Geschenken und Kleidern.

"Wenn Menschen glauben, du wärst reich, bekommst du alles umsonst", sagte Ditto einst in Bezug auf die vielen, teuren Kleider, die man ihr zukommen ließ, "wenn du arm bist, bekommst du nichts." Die Gossip-Frontfrau designte schon Übergrößenmode für die englische Firma Evans. Und jetzt hat sie noch eine eigene Make-up-Kollektion. Der Made-Club ist wie gemacht für das Event, es sieht hier aus wie in einem riesigen Make-up-Döschen. Die Decke ist gepunktet, wie dicke Punkte sehen auch die Ledersessel aus, die an der Bühne stehen und mit einem "Reserviert"-Zeichen beklebt sind. Ein paar Gäste hält das nicht davon ab, mit ihren hohen Absätzen auf die Sitze zu steigen, als Ditto - einmal komplett umgestylt: neues Paradiesvogelkleid, neue Frisur - auf die Bühne steigt. Der Auftritt ist kurz: drei Songs, plus ein kleiner Barry-Manilow-Ausflug an die "Copacabana". Hinterher wird die Dame vom Partyservice panisch versuchen, den Dreck aus dem Leder zu putzen, vergeblich.

Die Party läuft nicht richtig heiß, die Gäste - Models, Vorabendserien-Schauspieler, Lifestylesendung-Moderatoren - möchten lieber die Ditto mit dem iPhone filmen als selber tanzen. Diese schwitzt wie wild: sie springt, tanzt, hüpft. Auf Konzerten zieht sie sich oft nach und nach bis auf die Unterwäsche aus, weil das Wasser in Sturzbächen an ihr herunterläuft. Ihre Stimme hält dem Gehopse erstaunlich gut stand. Es ist schon ein seltsames Bild: Der füllige Sonderling aus der Wohnwagensiedlung singt sich die Seele aus dem Leib, begafft und gefilmt von den Schönen und Feingeistigen der Berliner Szene. Ihren Kimono behält sie auch nach drei Liedern artig an, danach nimmt sie ein kurzes Bad in der Menge.

Die etwa vierhundert geladenen Gäste grölen, noch einen Song!, doch Ditto hat erst einmal genug. Innerhalb kurzer Zeit scheint die Party zu Ende zu sein, der Club leert sich, der Abend wird schon wenige Stunden später im Netz etwas ausgeschmückt nacherzählt. Einige schreiben, auch Paris Hilton sei da gewesen, und Heike Makatsch, wie immer.

Was taugt sie, Dittos Schminke-Kollektion? Der hübsche hautfarbene Lippenstift mit Namen "You're perfect already" aus der Linie ist nun käuflich in Kaufhäusern mit Mac-Station zu erwerben, die schwarze Mascara und falsche Wimpern, wie sie auch Ditto trägt, sind nach wenigen Tagen im Internet ausverkauft. Der Schminkhersteller hat mit der flamboyanten Sängerin, die nicht gerade ein klassisches Beauty-Werbegesicht ist, offenbar einen Nerv getroffen. Ihr großes ebenmäßiges, flächiges Gesicht macht aus ihr jedenfalls die perfekte Schminkpuppe.

Wer wohl ihre Stilikone ist? "Miss Piggy", antwortet sie nach dem Konzert. Die Schweinelady aus der Muppet-Show verkörpere alles, was auch sie selber ausmache: "Fett, glamourös, weiblich und eigensinnig". Gegen Mitternacht entscheidet sich Beth Ditto spontan, dass die Modesippe einen Nachtisch verdient hat, und legt mit dem Madonna-Song Vogue nach. "Das habt ihr nicht erwartet, was?" ruft sie von der Bühne, "ich mache nie das, was man von mir erwartet, sondern immer nur das, was ich will." Ihr Abend endete, so jedenfalls twitterte es Blogger Perez Hilton live, erst früh am Morgen - im Dachterrassen-Pool des Privatclubs Soho-House.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: