Modellbau:Der Teilchenbeschleuniger

Super Modellautos

Jedes Detail der Modellautos sieht genauso aus wie bei einem normal großen Rennwagen.

(Foto: Michael Niemas)

Michael Niemas ist Modellbauprofi. Er konstruiert realistisch aussehende Mini-Rennwagen mit denen man auf Carrera-Rennbahnen fahren kann. Sammler zahlen Tausende Euro für seine Feinmotorik-Kunstwerke.

Von Titus Arnu

Es ist wie in einem Traum, in dem sich die Größenverhältnisse verschoben haben. Entweder der Betrachter ist so riesig wie Gulliver im Land der Liliputaner, oder alles ist geschrumpft. In der Werkstatt von Michael Niemas stehen realistisch wirkende Autos, die allerdings auf eine Handfläche passen. Auf der grell mit LED-Lampen beleuchteten Arbeitsfläche liegen winzige Zubehörteile im Maßstab 1:24 - Schnallen für die Sicherheitsgurte, Lüftungsgitter, Tacho und Rückspiegel, CNC-gefräste Radmuttern und Reifenventile, die man eigentlich nur mit der Lupe richtig erkennt.

Es riecht nach Lack, Klebstoff und Metall. Niemas sitzt an seinem Arbeitsplatz und schraubt mit filigranem Werkzeug, das an Zahnarztinstrumente erinnert, an einem Rennwagen-Chassis herum. Säuberlich aufgereiht liegen Zangen, Pinzetten, Scheren und Feilen bereit. Der Durchmesser des Bohrers, mit dem er vorsichtig Mini-Löcher in die Karosserie dreht, beträgt 0,3 Millimeter. Manche Teile sind so leicht, dass man sie beim Ausatmen vom Tisch blasen könnte. Bei der Arbeit trägt er daher eine Gesichtsmaske, auch um seine Atemwege vor dem feinen Staub zu schützen, der beim Schleifen von Kunststoff und Metallteilen entsteht. In einer beleuchteten Vitrine stehen die Ergebnisse dieser feinmotorischen Geduldsarbeit: Rennwagen in den Maßstäben 1:24 und 1:8, die meisten davon Klassiker aus den 60er- und 70er-Jahren.

Super Modellautos

Man muss schon genau hingucken, um zu erkennen, dass die Autos eigentlich nur auf eine Handfläche passen, wie hier ein Maserati 570S.

(Foto: Michael Niemas)

Michael Niemas hat in seinem Kellerlabor in Biebesheim am Rhein eine Miniatur-Autoindustrie aufgezogen, auf hohem Niveau. Der 37-Jährige hat seine Liebe zum Motorsport und seine Besessenheit für Details zum Beruf gemacht - und ist nun einer der gefragtesten Modellbauprofis, weltweit gibt es nur etwa zehn Spezialisten wie ihn. Die meisten seiner Autos verstauben nicht in der Vitrine, sie werden bei Wettbewerben eingesetzt, bei denen sowohl die Optik als auch die Schnelligkeit bewertet werden. Niemas ist spezialisiert auf so genannte Slotcars im Maßstab 1:24 - das sind Rennwagen, mit denen man auf Carrera-Bahnen fahren kann. Es handelt sich nicht um Kinderspielzeug, sondern um ein Hobby für wohlhabende Technikfans. Ein funktionsfähiger Slotcar wie die Nachbildung des Lola T70 aus dem Jahr 1966 kostet um die 2000 Euro. Der knallrote Fiat Spider im Maßstab 1:8, der gerade zur Überholung in die Werkstatt gebracht wurde, ist um die 10 000 Euro wert. Seine Kunden: ausschließlich Männer. Es komme vielleicht mal vor, dass eine Frau ein Auto als Geschenk für ihren Mann in Auftrag gebe, sagt Michael Niemas, aber ansonsten interessieren sich nur Männer für seine Produkte.

Manche wollen sich ihre Oldtimer in klein ins Wohnzimmer stellen

Was sind das für Leute, die sich Modellautos bauen lassen für den Preis eines echten Kleinwagens? "Viele meiner Kunden besitzen tolle Autos, haben aber aus beruflichen Gründen nicht die Zeit, sie zu benutzen", sagt Michael Niemas, "sie wollen die Modelle anfassen und streicheln, wie Stofftiere." Manche sammeln Oldtimer und historische Rennwagen, die zu wertvoll sind, um sie auf der Straße zu fahren, und stellen sich Modelle im Maßstab 1:8 ins Wohnzimmer. Der amerikanische Modemacher Ralph Lauren, der mehr als 80 Oldtimer besitzt, ließ viele seiner Fahrzeuge als Modell in diesem Maßstab nachbauen, von Sandy Copeman, dem Mitbegründer der britischen Modellbaufirma Amalgam Collection, für die Michael Niemas auch schon gearbeitet hat. Autofans können einige dieser Modelle auf der Website von Ralph Lauren bestellen, etwa das Replikat eines Mercedes Benz Flügeltüren-Coupé, Kostenpunkt 1880 Euro. "Die Kunden wissen diese Handwerkskunst eben zu schätzen", sagt Michael Niemas, "das ist wie bei einer Schweizer Uhr."

Wie Michael Niemas arbeiten viele Männer akribisch an der Miniaturisierung von Autos, Eisenbahnen oder Kriegsschiffen. Ist es der Wunsch, die Welt übersichtlicher zu machen, eine geschrumpfte Version der komplizierten Wirklichkeit im Hobbykeller zu erschaffen, um sie besser verstehen zu können? Michael Niemas hat sich schon von klein auf mit der Verkleinerung von Verkehrsmitteln beschäftigt, erst mit Schiffen und Flugzeugen, später dann mit Autos. Als Siebenjähriger fing er mit dem klassischen Modellbau an, er bastelte Bausätze aus Plastik und Balsaholz zusammen. Als Jugendlicher war er sehr sportlich und fuhr Rennrad, nahm an nationalen und internationalen Wettbewerben teil, fuhr im Nationalteam mit, sein Keller ist voller Pokale.

Super Modellautos

Schon als Zwanzigjähriger fuhr Niemas Rennen, erst mit Tourenwagen, dann in der Formel BMW.

(Foto: Michael Niemas)

Der Führerschein war eine wichtige Zäsur in Niemas Leben, denn mit der Fahrberechtigung verlegte er sein Interesse vom Rennrad auf Autos. Schon als Zwanzigjähriger fuhr er Rennen, erst mit Tourenwagen, dann in der Formel BMW. Und er machte sein Hobby zum Beruf, indem er eine Lehre als Modellbauer bei Opel in Rüsselsheim absolvierte und dann sechs Jahre lang dort in der Designabteilung tätig war. Anschließend trat er eine Stelle in einer Stuttgarter Designwerkstatt an, die für Porsche, Mercedes, Hyundai und andere große Hersteller arbeitet. Niemas baute Prototypen für Automessen und Konzeptfahrzeuge im Maßstab 1:1 - der absolute Traum für einen autoverrückten Modellbauer wie ihn. Das Ziel bei der Umsetzung solcher Design-Studien: Der Betrachter soll nicht merken, dass es sich nur um ein Modell handelt.

Ein Modellschiff der Firma Amalgam kostet bis zu 200 000 Euro

Danach bekam Niemas die Chance, in der britischen Firma Amalgam mitzuarbeiten, die im Modellbau als weltweit führend gilt. Eine Gruppe von Architekten und Designern hatte die Firma in den 80er-Jahren gegründet, die sich zunächst auf Architekturmodelle und Industriedesign konzentrierte. Amalgam arbeitet für Formel-1-Teams, für große Schiffswerften, Airbus und namhafte Autohersteller. Ein detailgetreues Modellschiff aus dem Hause Amalgam kann 200 000 Euro kosten, zu den Kunden gehören neben superreichen Privatsammlern auch Museen. Für die britischen Meister-Modellbauer fertigte Michael Niemas Autos in Großbritannien und China, wurde Creative Director und Europa-Chef, baute eine Manufaktur in Ungarn auf.

Einer der lukrativsten Aufträge kam von Bugatti. Kunden, die den Supersportwagen Veyron für rund 2 Millionen Euro bestellten, bekamen bei der Anzahlung ein hochwertiges Modell zugeschickt, um die Wartezeit zu überbrücken. 800 Exemplare des Mini-Bugatti wurden in der Amalgam-Manufaktur gebaut, zum Einzelpreis von 10 000 bis 15 000 Euro, je nach Ausführung. Die hochproduktive Zeit und die internationale Zusammenarbeit mit Amalgam brachten Niemas große Anerkennung in der Szene, aber auch viel Stress. Zu viele Autos, zu viele Reisen, zu viele Kunden. "Ich hatte das Gefühl, ich muss einen Gang runterschalten", sagt er, deshalb machte er sich selbständig. Nun produziert er in der Kellerwerkstatt eines unscheinbaren Hauses in Biebesheim, in dem er mit Frau und Kleinkind wohnt, pro Jahr etwa 15 bis 20 Autos.

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Michael Niemas legt viel Wert auf Details, wie bei diesem preisgekrönten Nachbaus eines Ferrari 350 CanAm von 1967.

(Foto: Michael Niemas)

Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Wer ein Modell bei Niemas bestellt, muss mit einer Wartezeit von zwei Jahren rechnen - länger als beim echten Rolls-Royce Phantom. Neben den funktionsfähigen Mini-Rennwagen baut er auch detaillierte Modelle im Maßstab 1:8. Gerade hat er einen Fiat Spider auf der Arbeitsfläche stehen, bei dem die kleinsten Details originalgetreu nachgebildet sind, bis zu den Gebrauchsspuren am Nummernschild. Die Türen lassen sich öffnen, die Sitze sind mit Leder bezogen, wenn man die Motorhaube hochklappt, sieht man präzise nachgebildete Zylinderköpfe und Zahnräder. Das Auto ist eher eine Skulptur als ein Spielzeug. Etwa 400 Arbeitsstunden hat Niemas in dieses Auto gesteckt, der Preis des Modells liegt bei rund 10 000 Euro. Im Moment ist der Spider zum Umlackieren da. Der Auftraggeber hat seinem echten Fiat eine neue Farbe spendiert, nun soll das Modell angepasst werden.

Den Motorsport hat Michael Niemas mittlerweile aufgegeben, er fährt Rennen nur noch mit seinen Modellautos, und das sehr erfolgreich. Außerdem betreibt er ein virtuelles Rennteam, mit dem er bei E-Sport-Wettbewerben antritt. "Beim E-Sport kann man sich nicht verletzen, es ist nicht so teuer - und man muss nicht so sehr auf das eigene Gewicht achten", sagt der Motorsport-Enthusiast. Bei der Verabschiedung nach dem Werkstattbesuch fällt auf, dass im Hof kein einziger Oldtimer steht, kein Rennwagen, nicht mal ein teurer SUV. Niemas fährt einen Passat Kombi. "Das ist praktisch, auch wegen unserem Nachwuchs", erklärt er, "mein Auto muss mich von A nach B bringen, alles andere brauche ich in Wirklichkeit nicht."

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