Süddeutsche Zeitung

Modeinvasion:Paris liegt auf Kuba

Zwei Tage lang feierte Chanel in Havanna und machte die Stadt mit dem Modezirkus vertraut. Die Schäden für Land und Leute dürften sich in Grenzen halten.

Von Dennis Braatz

Am Tag nach der Show berichten Newsportale auf der ganzen Welt vom Grauen, das in Havanna eingefallen ist. Von einem sehr berühmten Mann und mehreren Frauen ist da zu lesen, die mit Cohiba-Zigarren vor bröckelnden "Fidel"-Schriftzügen posiert und dabei Duckface-Selfies gemacht haben. Alle zwei Minuten sollen sie sich darüber beschwert haben, dass es nirgendwo ordentliches Wlan gebe! Eine angewiderte US-Kongressabgeordnete gibt den folgenden Satz zu Protokoll: "Hat Kuba nicht schon genug gelitten?"

Schuld am Eklat ist aber nicht Karl Lagerfeld, der mit seinem Tross aus Models und Chanel-Kundinnen zur selben Zeit in Havanna gastiert. Es sind die Kardashians. Sie sind in die Stadt eingefallen, um neue Folgen für ihre TV-Show zu drehen. Man ahnt, wie gern sich Kanye, Kim und Co. auch gleich noch in der ersten Reihe breitgemacht hätten. Aber so weit ist es zum Glück nicht gekommen.

Für einen Inselaufenthalt von 48 Stunden werden 600 Gäste aus aller Welt eingeflogen

Ein Luxusgigant aus dem feinen Paris - geschätzter Jahresumsatz: mehr als sechs Milliarden US-Dollar im Jahr - inszeniert sein Schauen-Spektakel im sozialistischen Karibikstaat. Nicht auszudenken, wer oder was da noch alles einen Skandal hätte auslösen können. Nachgebaute Kolonial-Fassaden? Ein Sieben-Gänge-Menü? Selbst die kleinsten französischen Pfeffermühlen, wie man sie bei Louis Vuitton letztes Jahr nach Palm Springs hat bringen lassen, wären ein PR-Debakel gewesen.

Stattdessen hatte Chanel nur die Cruise-Linie im Gepäck, ursprünglich gemacht für reiche Frauen, die den Winter auf Kreuzfahrtschiffen verbrachten. Cruise auf Kuba - dass hier trotzdem zwei Welten aufeinanderprallen werden, ist klar.

Für einen Inselaufenthalt von 48 Stunden werden 600 Gäste aus aller Welt eingeflogen. Die längste Anreise haben die Australier: 30 Stunden. Verschnaufen gibt's aber nicht, denn Chanel lädt schon am ersten Morgen zu einer "Old Havana"-Tour.

Der Guide heißt Ariel, war noch nie außerhalb Kubas unterwegs, spricht aber fließend Deutsch - wegen der Verwandtschaft, die aus der ehemaligen DDR zu Besuch kam. Er zeigt den Gründungsplatz der Stadt, die holzgetäfelten Straßen und das "Ambos Mundos", wo im Zimmer 511 einst Hemingway schlief. Alles für die Touristen restauriert. Zum Glück muss man mit ihm nur einmal falsch abbiegen, um auch das echte Havanna zu sehen, also die überfüllten Schotterwege, auf die jederzeit noch ein Balkon krachen kann - und wo die tropische Hitze den Gestank von Müll und Tiermist aufsteigen lässt. "Lagerfeld und seine Show sind hier überall ein großes Thema", sagt Ariel. Ab und zu gebe es in der Stadt zwar schon Gucci oder Versace zu kaufen. Also die Parfums, natürlich nicht die Mode. "Aber es gibt nie was von Chanel. Wozu dann diese Show?"

Gute Frage. Die Sache ist nämlich die: Wo immer das Haus in den vergangenen zwölf Jahren seine Cruise-Kollektion präsentiert hat, ob nun in Saint-Tropez, Dubai, Singapur oder Seoul, immer war da auch ein boomender Markt für Luxusmode. In Kuba liegt der monatliche Durchschnittslohn bei 25 Euro. Ein Nagellack von Chanel kostet 24,99 Euro.

Auch wenn sich das Land seit einem Jahr nach und nach öffnet, es gibt hier weder Einheimische, die sich Luxusmode leisten können, noch Boutiquen für reiche Touristen. Genauer gesagt: noch nicht. Schon vor sieben Jahren machte das Gerücht die Runde, Prada habe sich eine Immobilie in Havanna gesichert. Als nun Chanel im Oktober die Kuba-Pläne bekannt gab, begannen die Spekulationen aufs Neue.

"Die Show ist auf keinen Fall als Zeichen zu verstehen, nicht wirtschaftlich und auch nicht politisch", sagt Mode-Direktor Bruno Pavlovsky. Er sitzt im eisig runtergekühlten Foyer des Teatro Martí; draußen zeigt das Thermometer 34 Grad. Im Nebenraum lagert die Kollektion, von Polizeipatrouillen bewacht; Chanel hat das alte Theater für ein paar Tage zum Hauptquartier umfunktioniert. "Es geht uns um Inspiration, die kubanische Musik, die Literatur, die Farben", referiert Pavlovsky. Dass man nun in Kuba ist, hat man Karl Lagerfeld zu verdanken. Lange bevor der Papst, Obama und die Stones kamen, hat er gesagt: "Ich will schon immer mal da hin."

Eine Bedingung der Regierung war, dass auch die Kubaner etwas vom Chanel-Besuch mitbekommen. Weshalb die Show diesmal lange vor dem eigentlichen Defilée beginnt: 170 bonbonbunte Oldtimer sind gechartert worden, um die Gäste über den Malecón zu kutschieren. Bis auf ein paar Asiaten, die sich aus Angst vor den Abgaswolken die Seidentücher auf Mund und Nase drücken, finden das auch schon mal alle Gäste ziemlich "amaaazing". Am Straßenrand winken die Passanten.

Die Fahrt endet am Paseo del Prado, einer fotogenen Flaniermeile zwischen baufälligen Kolonialhäusern. Von ihren Balkonen schauen die Anwohner auf insgesamt 160 Meter Laufsteg. Es muss ein urkomisches Bild für sie sein, wie sich die Leute da unten in ihren viel zu dicken Tweed-Kleidern und -Jacken Luft zufächern. Plötzlich Jubel: Alexander Delgado, der kubanische Reggeaton-Superstar, ist da! Hinter ihm Omara Portuondo, die als Teil des Buena Vista Social Club zu so etwas wie einer Schutzheiligen für viele Kubaner geworden ist. Sogar Mariela Castro, Tochter des Staats- und Regierungschefs Raúl Castro, ist gekommen. Für Tilda Swinton, Vin Diesel und Gisele Bündchen interessieren sich zu diesem Zeitpunkt noch nur noch die angereisten Paparazzi.

Cruise-Kollektion

In der europäischen Modegeschichte tauchte der Begriff "Cruise" erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Gemeint war eine besonders sommerliche Mode, die immer im November erhältlich war, für Frauen, die vor dem Winter auf Kreuzfahrtschiffe flüchteten. Der Auslieferungstermin ist bis heute geblieben. Der Sinn einer Cruise-Kollektion hat sich aber komplett verändert: Weil diese Zwischenkollektionen im Vergleich zu den Hauptkollektionen (Sommer und Winter) viel tragbarer waren, sind sie in den letzten zwanzig Jahren für Häuser wie Chanel, Gucci, Louis Vuitton oder Dior zu Umsatzbringern geworden. Deshalb werden sie mittlerweile auch immer pompöser inszeniert. Chanel sucht jedes Jahr einen neuen Austragungsort.

Eine Firma wie Chanel überlässt selbstverständlich nichts dem Zufall, wenn es vor den Augen der ganzen Welt ein Gastspiel gibt. Und auf so heiklem Terrain wie Kuba schon gar >nicht. Beispielsweise steht auf der Einladung auch gleich der bitte zu verwendende Instagram-Hashtag #chanelcruisecuba. Dass der Prado und die rauen Steinbänke, auf denen nun die Gäste schließlich Platz nehmen, sandig und voller Blütenstaub sind? Wird man also kaum übersehen haben. Dass beim leichten Nieselregen nicht unverzüglich Schutzdächer aufgespannt, sondern nur ein paar Schirme gereicht werden? Ist bestimmt auch kein Versehen.

Chanel bewegt sich so dezent und respektvoll wie nur irgend möglich durchs Land. Der wichtigste Moment ist deshalb der, als das kubanisch-französische Gesangsduo Ibeyi auftritt. Sie singen auf Yoruba, einer Sprache, die im 17. Jahrhundert mit den afrikanischen Sklaven auf die Insel kam. Die Balkone sind inzwischen so brechend voll, dass manch ein Zuschauer schon aufs Dach geklettert ist.

Das erste Model ist Stella Tennant: in einer beige-gestreiften Anzughose und weißem Herrenhemd, weit aufgeknöpft, damit man ja auch die Perlenketten gut sieht. Eine Hommage an die Zeiten vor der Revolution, die chanelisierte Version der Countryclub-Mode sozusagen. Es folgen Panamahüte und wadenlange Fifties-Kleider. Dann das erste Barett und tarngrüne Commandante-Jacken mit Tweed-Einsätzen. Die Hosen sind jetzt rot gestreift. Che lässt grüßen! Schließlich blitzt die Tasche mit "Coco Club"-Schriftzug auf. Der Salsa wird aufgedreht, die Mode lauter. Azurblaue und bananengelbe Paillettenkleider; auf Morgenmäntel, Shorts, Flatterröcke und Blusen sind Oldtimer gedruckt. In Erinnerung wird vor allem das stinknormale T-Shirt mit extra blassem "Viva Coco Libre!"-Slogan bleiben.

Die Kollektion ist grandios einschlägig, wird sich bestens verkaufen: Sie adelt und ironisiert die kubanischen Klischees, für die gerade Touristen von überall her anreisen. Alle wollen noch einmal das alte Kuba erleben. Am Vortag hat zum ersten Mal seit 1959 wieder ein US-Kreuzfahrtschiff im Hafen angelegt.

Karl Lagerfeld tanzt, er sieht ein wenig steifbeinig aus, aber sehr glücklich

Lagerfeld, der Prophet. Er bekommt Standing Ovations, und weil 160 Meter Laufsteg ganz schön lang sein können für einen 82-Jährigen, läuft ihm die Hälfte des Publikums einfach entgegen. Als zum Schluss die Rumberos de Cuba den Zug der Models anführen sollen, ist schon kein Durchkommen mehr. In Paris hätte die Situation sofort Sicherheitstrupps in Bewegung gesetzt. In Kuba tanzt man einfach so lange miteinander, bis sich der kleine Stau von alleine auflöst. Knapp eine halbe Stunde geht das so. Dann sitzt man wieder im Oldtimer.

Auf der Plaza de la Catedral sollen die Gäste noch weiterfeiern. Diesmal aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Serviert werden Cuba Libre und Mojito. Wer unbedingt Champagner will, bekommt ihn, aber im Rotweinglas. Und Karl Lagerfeld tanzt, mit Vanessa Paradis und der Schauspielerin Cécile Cassel, er sieht ein wenig steifbeinig aus, aber sehr glücklich.

Natürlich kramen jetzt alle ihr Smartphone raus und versuchen das Video ins Netz zu stellen, unter #chanelcruisecuba. Leider spielt das Wlan aber nicht mit.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2016
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