Süddeutsche Zeitung

Mode:Zurück in die Zukunft

Paco Rabanne war ein großer Futurist, dann verlor die Marke an Bedeutung. Mit Designer Julien Dossena wird das Label gerade wieder zu einem der spannendsten von Paris.

Von Silke Wichert

Julien Dossena ist heiser. Das viele Reden, entschuldigt sich der Franzose lächelnd. Er sitzt an seinem weißen Schreibtisch in einem ohnehin sehr weißen Büro in Paris. Womöglich liegt das mit der Stimme aber auch an ein paar ziemlich krachenden Partys nach seiner letzten Modeschau, die an diesem Herbstnachmittag erst einige Tage zurückliegt. Denn erstens hat die Marke Paco Rabanne, deren Chefdesigner Dossena ist, allen Grund zu feiern. Zweitens ist der 37-Jährige gewissermaßen prädestiniert dafür, gute Partys zu schmeißen.

Beim Namen Paco Rabanne denken die einen sofort an Jane Fonda aus dem Science-Fiction-Film "Barbarella". An die berühmten Chain-Mail-Kleider, metallene Kettenhemd-Kreationen, die im Space Age und der Disco-Ära der Sechziger- und Siebzigerjahre für maximales Aufsehen sorgten. Deshalb gilt der heute 85-jährige Baske Rabanne bis heute neben Courrèges und Pierre Cardin zu den großen Futuristen der Branche, der die Grenzen der Mode mit neuen Materialien auslotete. Bedauerlicherweise gestaltete sich die weitere Zukunft des Labels nicht mehr ganz so innovativ. Die Kollektionen wirkten zunehmend repetitiv, Ende der Neunziger zog sich der Couturier nach und nach aus dem Geschäft zurück.

Andere hingegen haben kaum mitbekommen, dass es da überhaupt mal richtige Mode gab, weil die Düfte der Marke Paco Rabanne später so irrsinnigen Erfolg hatten, dass alles andere zweitrangig war. Von dem Herrenduft "1 Million" in Goldbarrenform, der 2008 auf den Markt kam, wurde noch vergangenes Jahr alle fünf Sekunden irgendwo auf der Welt ein Flakon verkauft. Auch "Invictus" in Pokalform oder "XS", gesprochen "Exzess" - alles ähnlich subtil und ähnlich erfolgreich.

Keiner kannte ihn. Er glaubt, das war ein Vorteil

Erst seit ein paar Jahren gibt es eine neue Generation, die Paco Rabanne wieder als Modehaus wahrnimmt, was diesem heiseren jungen Mann in Jeans und Turnschuhen zu verdanken ist. Julien Dossena hat es geschafft, das alte Heavy Metal neu aufzulegen. Paco Rabanne nannten sie gern "den Klempner", weil er statt mit Nadel und Faden gerne mit Zangen an Ösen und Drähten hantierte. Bei Dossena kommt die Signatur des Hauses nun deutlich leichter daher. Oft sind Kleider nur mit einem Metallgerüst überzogen, das schimmernde "Mesh" wird mittlerweile bedruckt, von Cut-outs durchzogen oder wie Spitze gearbeitet. Was für Chanel der Tweed, ist für Paco Rabanne das Metall.

Trotzdem hat Dossena nie nur das eine Motiv durchgehämmert, sondern von Anfang an eine weitere Handschrift entwickelt. Eine retro-futuristische Mischung aus Sportswear, Sex-Appeal und Tailoring mit aristokratischen Elementen, die vor allem bei der jungen Zielgruppe ankommt. Die Umsätze haben sich 2018 verdoppelt, dieses Jahr könnten sie noch stärker wachsen. Die neue Version der legendären "1969" Handtasche aus lauter kleinen Messingblättern gehört laut der Modesuchmaschine Lyst bereits zu den zehn gefragtesten Teilen der Saison. Entsprechend überlaufen ist der Showroom, wo vier Etagen unter Dossenas Büro gerade die Kollektion für nächstes Frühjahr geordert wird.

Dabei hatte niemand auch nur die geringsten Erwartungen an diesen unbekannten Franzosen, als er 2013 mit gerade 30 Jahren seine erste Kollektion für Paco Rabanne präsentierte. Das Label hatte damals innerhalb kürzester Zeit zwei Designer verschlissen. Die Modelinie war nicht tot, sondern schlimmer: absolut unbedeutend. Dossenas Namen kannten nur Eingeweihte, weil er als rechte Hand von Nicolas Ghesquière bei Balenciaga jahrelang hinter den Kulissen gearbeitet hatte. Ähnlichkeiten mit dessen früheren Kollektionen sind deshalb nicht zufällig, Dossena hat einen Großteil davon mit entworfen.

"Die Bedingungen hätten rückblickend nicht besser sein können", sagt Julien Dossena. "Wenn niemand etwas von dir erwartet, kannst du niemanden enttäuschen." Eigentlich hatte er nur vorübergehend als Berater einsteigen wollen, um Geld für sein gerade gegründetes eigenes Label Atto zu verdienen. Mittlerweile aber sind sich alle einig - vor allem beim spanischen Konzern Puig, zu dem neben Paco Rabanne auch Nina Ricci und die Mehrheit an Dries van Noten gehören - dass es eine ziemlich gute Idee war, diesen Mann nicht mehr ziehen zu lassen.

Julien Dossena ist in einem kleinen Küstenort in der Bretagne aufgewachsen, wo sein Vater nicht etwa Fischer oder Handwerker war, sondern die örtliche "Discothèque" betrieb. Geht es symbolischer für ein Label, das wegen seiner schimmernden Metallplättchen vorzugsweise unter Discokugeln getragen wurde? "Ich bin quasi auf der Tanzfläche groß geworden", sagt Dossena. "Nachmittags habe ich meinem Vater beim Auffüllen der Bar geholfen. Alle Generationen kamen dorthin, um zu feiern, und am Ende wurde natürlich auch Klammerblues wie in 'La Boum' getanzt." Den Leuten eine gute Zeit zu verschaffen, das habe er von klein auf von seinem Vater gelernt. "Im Grunde mache ich als Designer ja nichts anderes", findet Dossena.

Wilde Mischung: Westernhemd zum silbernen Pailletten-Rock und Ankle-Boots

Seine nächste Frühjahrskollektion jedenfalls ist mehr Disco denn je. Der Laufsteg wurde zum Finale in bunte Punkte wie aus der Lichtorgel getaucht, die Entwürfe sind - wie bei so vielen Labels derzeit - stark von den Siebzigerjahren inspiriert. "Angeblich gehen die Jungen ja nicht mehr so viel in Clubs", sagt Dossena. "Dabei kannst du dort für einen Moment alles vergessen, die totale Freiheit spüren." Wenn sie noch feiern gehen, wissen sie Dank ihm zumindest, was sie dabei anziehen können: Die Schauspielerin Dree Hemingway erschien zu einem Event von Paco Rabanne mit Mytheresa während der Pariser Modewoche im Westernhemd zum silbernen Pailletten-Rock und silbernen Ankle-Boots. Eine ziemlich wilde Mischung für ebensolche Partys.

Im Januar kommt die erste Männerkollektion in die Läden, außerdem ist eine genderneutrale Make-up-Linie geplant sowie neue Düfte in Zusammenarbeit mit Dossena, damit das Image der beiden Sparten nicht mehr so weit auseinander driftet. Bis 2025 soll eine Milliarde Euro Umsatz angepeilt werden, was durchaus ambitioniert ist: So viel schafft Balenciaga erst seit Kurzem, obgleich die Düfte dort nicht so stark sind. Das Tempo wird also noch einmal deutlich angezogen, aber der 37-jährige Julien Dossena und der 35-jährige CEO Bastien Daguzan sind wahrscheinlich das jüngste Gespann an der Spitze eines bekannten Labels, die hohe Geschwindigkeit der Modebranche fühlt sich für ihre Generation nicht ungewöhnlich an. Außerdem habe er einen guten Ausgleich, sagt Dossena. Viel Disco? "Nein", antwortet der Designer lachend. "Meine Playstation. Für mich ist ,Tomb Raider' so entspannend wie ein Spaziergang im Wald." Was soll man sagen, das ist die Zukunft.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4720269
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.