Süddeutsche Zeitung

Mode und Interior:Die Soft-Ware

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Weich und richtig schön warm: Ohne Schaffell geht in diesem Winter nichts in der Wohnung und unserem Kleiderschrank. Sogar Luxusdesigner haben das Material schon entdeckt.

Von Anne Backhaus

Überall Fell. Es liegt auf dem Boden, ist auf ein Bett drapiert oder über einen Stuhl geworfen. In nahezu jedem Ausstellungsraum bei Ikea findet sich ein Schaffell. Es ist ein Verkaufsschlager des schwedischen Möbelhauses, insbesondere in der Vorweihnachtszeit. In der Textilabteilung, gleich neben den Kuhhautteppichen, stapelt es sich hüfthoch. Sortiert in weiß, braun und grau.

Ein Pärchen steht vor den Fellhaufen. "Schau mal, wie flauschig", sagt die Frau. Sie greift eins heraus, hebt es an ihr Gesicht, streicht es sich über die Wange. Sie lächelt durch die langen Schafhaare ihren Freund an. Dann legt sie das Fell schnell wieder hin. "Aber das kann man doch nicht kaufen, oder?" Er runzelt die Stirn, streicht dann prüfend über einen der Fellstapel. "Schatz, ich bin mir sicher, dass dafür kein Tier extra sterben musste."

Also gleich vorweg: Schaf- oder auch Lammfell ist echte Tierhaut. Diese Haut wird toten Schafen erst abgezogen, dann gereinigt und gegerbt. Manchmal wird das Fell gefärbt, meist bleibt es aber in seinem natürlichen, hellen Beige. Das Lammfell ist seit Ewigkeiten beliebt, eben weil es ein Naturprodukt ist. In diesem Winter ist es allerdings ein ausgewachsener Trend und nahezu überall zu sehen. In der günstigen Variante oft schon ab knapp 20 Euro zu haben, gehört es zum Deko-Inventar der Möbelhäuser. Doch auch in Onlineshops, Interieur-Magazinen und Stil-Blogs kommt man nun kaum noch am Schaffell vorbei. Auf ihm liegen bunte Kelimkissen, es wird über den Eames-Stuhl im Homeoffice oder vor das Sofa geworfen.

Designfreunde mögen das also, aber können sich auch Tierfreunde damit wohlfühlen? Nun, der Mann, der vor den Fellen bei Ikea seine Frau beschwichtigte, hat nicht ganz unrecht: Schafe werden nicht extra für die Pelzproduktion gezüchtet. Wer sie züchtet, der tut das entweder, um ihre Wolle zu verkaufen oder ihr Fleisch. Das Fell ist ein Nebenprodukt aus der Fleischindustrie. Deshalb wird für ein Lammfell kein Tier extra getötet, sondern einfach nur komplett verwertet. Es ist also ein natürliches, tierisches Produkt, das man guten Gewissens kaufen kann, zumindest, wenn man das auch sonst tut.

Das Lammfell ist gerade schwer gefragt, was auch daran liegt, dass es Kindheitserinnerungen weckt und sanfter, anschmiegsamer ist als andere Materialien. Babys werden seit jeher auf die Tierfelle gebettet und zwar nicht nur, weil sie im Winter wärmen und im Sommer kühlen. Lammfell ist schmutzabweisend und hautfreundlich. Es kann bis zu dreißig Prozent seines Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen, ohne dass es sich feucht oder kalt anfühlt. Die Wollfasern sind strapazierfähig, leicht und weich. Ein echtes Fell ist nicht vergleichbar mit einer synthetischen Kuscheldecke oder nachgeahmtem Fell aus Polyester. Selbst manche Erwachsene legen sich Schaffell ins Bett, denn ihm wird eine heilende Wirkung bei Kreuzschmerzen, Rheuma und Schlaflosigkeit nachgesagt.

Noch dazu geben Lammfelle eben plüschige und von der Natur individuell designte Vorleger ab. Leinenfarbenes Langhaarfell aus Neuseeland gehört zu den bestverkauften und erinnert an einen handlichen Flokati. In hellem Weiß oder Farben wie "Cool Grey" und Petrol ist Schaffell auf den ersten Blick kaum noch als tierisches Produkt zu erkennen. In einer Zeit, in der sogar Autobahnraststätten mit veganen Gerichten werben, ist das ein nicht ganz unwichtiger Faktor seines Comebacks. Konsumenten leben heute gerne bewusst, sind aber zugleich weit entfernt vom alten Öko-Lifestyle, als die Statement-Wollpullis am besten auch noch nach Schaf gerochen haben.

So sind Naturprodukte zwar angesagt, aber schön und edel sollen sie trotzdem sein. Praktisch ist das Fell ebenfalls: Es muss nur selten gereinigt werden, ist relativ geruchsneutral und robust. Auf den ebenfalls beliebten Mid-Century-Möbeln und alten Designerstücken macht es sich außerdem optisch ziemlich gut. Kühles Leder wird durch das Geflausche plötzlich behaglich, das puristische Wohnzimmer gemütlich.

In diesem Winter kommt auch kaum eine Mode-Kollektion ohne das weiche Leder mit Echthaar aus. Labels wie Burberry, Chloé, Sacai und Louis Vuitton haben Taschen, Handschuhe und Mäntel aus Lammfell im Sortiment. Selbst Instagram-Styling-Bekanntheiten wie Alexa Chung oder Pernille Teisbaek zeigen sich in ihren Schaffell-Outfits. Der neue Trend trägt den Namen: "Shearling". Die Bezeichnung ist angelehnt an das englische Wort für scheren und bezieht sich auf das gestutzte, weiche Innenfutter. Lammfell gehört nämlich zu den sogenannten Pelzvelouren. Also Pelzen, bei denen die Tierhaut weich zugerichtet ist, das angewachsene Fell dann durch Schermaschinen gekürzt wird und später im fertigen Bekleidungsstück als wärmende Innenseite dient. Seit den Sechziger- und Siebzigerjahren nimmt solches Schaffell in der Mode immer wieder neue Formen an. John Lennon trug einen bestickten Afghanenmantel, Pink Floyd und Leonard Cohen hatten kürzere Lammfelljacken. In den Achtzigern machte Tom Cruise dann mit seiner Rolle in dem Actionfilm "Top Gun" die Fliegerjacke mit dem weichen Fellkragen populär. Sie wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg von dem Amerikaner Leslie Irvin erfunden und war wegen ihrer Leichtigkeit und Funktionalität lange das Kleidungsstück für Piloten und Rennfahrer. Heute ist der Lederblouson mit Fellinnenseite zurück, unter anderem im Herrensortiment von Marken wie Belstaff und Tommy Hilfiger. Oder auch als oversized Damenjacke bei Acne.

Viele Frauen stapfen in Ugg-Boots herum, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sie da mit Füßen treten

Ähnlich wie in der Inneneinrichtung ist das Lammfell auch deshalb für die Mode so attraktiv, weil es als politisch korrekter Ersatz für Pelz gilt. Miuccia Prada hatte es vor zwei Jahren in ihrer Kollektion, um sich von Jacken aus gezüchteten Pelzen zu distanzieren. Laut dem Deutschen Pelz-Institut sind Schafe, mit Millionen jährlich produzierten Fellen, inzwischen sogar die wichtigsten domestizierten Pelzlieferanten. Ab und an gibt es aber doch noch kleine Skandale, wenn Verbraucher feststellen, was sie da tragen: liebe Lämmchen.

Das war zum Beispiel so, als die UGG Boots Anfang des Jahrtausends in Mode kamen. Zur Erinnerung: Die Stiefel sehen so aus, als hätte man einfach ein Lamm umgestülpt, um die Füße tief in sein Fell stecken zu können. Viele Frauen stapften in den Schuhen herum, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Unter ihnen Baywatch-Star Pamela Anderson, ebenfalls bekannt als nackte Peta-Tierschützerin. Die zählte aber irgendwann Fell und Haut zusammen und stellte fest, was sie da mit Füßen trat. Seitdem hat sie eine eigene vegane Schuhlinie. Die australische UGG-Firma hat noch immer gut zu tun, aufgebrachten Kunden zu erklären, dass keine Babytiere einzig für ihre Stiefel gestorben sind. Sie wird auch für vermeintliche Tierquälerei bei der Schlachtung von Schafen angegriffen. Viele Unternehmen veröffentlichen deshalb Listen ihrer Züchter und Bezugsgerbereien, um offenzulegen, woher die Tierhäute für ihre Lederprodukte stammen.

Bei Ikea liest das Paar den Infoaufkleber hinten auf ihrem Lieblingsschaffell. Es kommt aus China und ist bei 30 Grad waschbar. "Super", sagt die Frau. Sie nehmen zwei weiße, für jeden eins.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2016
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