Bettter mit drei "t". Irgendwo im Netz stand kürzlich, der Name des Labels sei ursprünglich ein Tippfehler gewesen. "Aber das stimmt nicht", sagt Julie Pelipas. "Wir haben an dem Wort natürlich bewusst herumgeschraubt, es gewissermaßen noch einen Tick bessser gemacht." Denn genau darum geht es beim Konzept dahinter ja. Konkret: nicht noch mehr Mode zu produzieren, sondern lieber all die unverkauften Sachen - genannt Deadstock - als Ausgangsmaterial zu nutzen. Noch konkreter: Bei Bettter werden Männeranzüge, die keiner will, zu Frauenkleidern umgeschneidert, die dann ziemlich viele wollen. Die Kollektionen aus jeweils 40 bis 50 Teilen sind stets innerhalb von Stunden ausverkauft. Auch aktuell ist auf der Webseite das meiste schon wieder vergriffen.
"Den Entwurf hier machen wir gerade für Angelina Jolie", sagt Pelipas und greift an einer vollgehängten Kleiderstange in ihrem Londoner Studio zu einem perfekt geschnittenen, beigefarbenen Blazerkleid, dem man sein vorheriges Leben nicht mehr ansieht. Bis vor Kurzem war es noch ein gewöhnliches Männerjackett, das mit dem Stoff der Hosenbeine verlängert wurde, die Silhouette wurde schmaler gemacht, ein neues Innenfutter eingesetzt. Die Ärmel lassen sich, wenn das Kleid komplett fertig ist, mit kleinen Druckknöpfen abnehmen. Mit dem üblichen, oft alternativ angehauchten "Upcycling" von Vintageklamotten hat das nicht mehr viel zu tun. Hier geht es um modisches Finetuning auf höchstem Niveau.
Schließlich ist die 39-Jährige alles andere als eine Anfängerin in der Modebranche. Pelipas arbeitete lange als Stylistin, war Modechefin der ukrainischen Vogue, ist extrem gut vernetzt. Bei den Modeschauen wurde sie oft fotografiert, weil sie mit 1,85 so groß und sehnig erscheint wie ein Model, auch insgesamt eine außergewöhnliche Erscheinung ist, aber nicht zuletzt, weil sie diese tollen, maskulinen Anzüge und Hosen trug. Ein rosafarbenes Modell stammte sichtbar aus der Phoebe Philo-Zeit bei Céline, weshalb die meisten automatisch annahmen, der Rest ihrer Garderobe stamme ebenfalls von dieser Marke. Dabei hatte Pelipas schon damals meist eigene Entwürfe an, beziehungsweise "converted garments", wie sie es nennt. Frühe Prototypen, aus denen nach und nach die Marke Bettter entstand.
Als der Krieg ausbrach, mussten sie innerhalb von 24 Stunden das Atelier räumen
2020 kündigte sie ihren Job, um sich voll und ganz ihrem Projekt zu widmen. "Alles lief perfekt. Ich hatte ein tolles Team, die besten Schneiderinnen, ein großes Studio", erzählt Pelipas. "Wir standen kurz vor der ersten Investorenrunde - dann brach der Krieg aus." Das Atelier lag in einem Industriegebiet in der Nähe von Kiew, das ukrainische Militär konfiszierte das Gelände sofort für die Truppen. Die Bettter-Mitarbeiter hatten 24 Stunden Zeit, das Atelier zu räumen, Nähmaschinen, Stoffe, Schnittmuster, alles musste über Nacht irgendwo in Sicherheit gebracht werden.
Pelipas hatte damals als eine der wenigen schon eine Woche vor der Invasion die Stadt verlassen und war mit ihren zwei Kindern zu ihrer Mutter nach Griechenland geflogen. "Ich hatte schon die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl. Ich habe die beiden Revolutionen 2004 und 2014 miterlebt. Den Anblick von echtem Blut vergisst du nicht. Ich wollte nicht, dass meine Kinder dasselbe mitansehen", sagt Pelipas. Also packte sie kurzerhand zwei Koffer, ihr Mann war gerade auf Geschäftsreise. Kurze Zeit später zog die Familie gemeinsam nach London. Das kleine Bettter-Studio liegt nun in einem Midcentury Bürogebäude in Sheperd's Bush.
Ihr Haus in Kiew am Fluss ist seit mittlerweile zwei Jahren verwaist, aber immerhin steht es noch. In Mariupol, wo sie aufgewachsen ist, sieht sie in einer Whatsapp-Gruppe ständig Fotos der Zerstörung. Ihre Schule, die Plätze, auf denen sie als Kinder gespielt haben, unter der russischen Besatzung ist nichts mehr, wie es einmal war. Umso wichtiger sei es ihr, einen Teil der Kollektion noch in der Ukraine fertigen zu lassen, um die dort verbliebenen Schneiderinnen zu unterstützen, sagt Pelipas. "Viele aus meinem Team hatten solches Heimweh, dass wir vergangenen August sogar die gesamte Produktion wieder zurück nach Kiew verlegten. Aber nach zwei Monaten fingen die Drohnenangriffe an, das Gebäude nebenan wurde getroffen." Die meisten der rund zwanzig Mitarbeiter wollten dennoch bleiben. "Aber ich trage ja die Verantwortung. Ich konnte keine Nacht mehr ruhig schlafen." Jetzt lässt sie das meiste in Portugal fertigen, während Design und Entwicklung hier in London passiert.
Schon in der achten Klasse trug sie einen umgenähten Anzug ihres Opas
Ihre Vorliebe für Herrenmode fing schon zu Teenagerzeiten an. Sie sei immer eine der Kleinsten gewesen, sagt Pelipas. Dann kam ein Wachstumsschub, und noch einer. In der achten Klasse maß sie plötzlich schon 1 Meter 80, nichts in den Geschäften passte ihr mehr. "Ich fühlte mich schrecklich unwohl in meinem Körper. Dann entdeckte ich diesen tollen, cappuccinofarbenen Anzug meines Opas, wahnsinnig hochwertig gemacht", erinnert sie sich. "In der Sowjetunion gab es ja keine Mode im Überfluss. Wenn du etwas Gutes haben wolltest, musstest du es dir selbst machen. Deshalb haben wir so viele gute Schneider im Land." Mit ein paar Stichen nähte sie den Bund um, aus einem Pelzmantel machte sie mit zwei Knöpfen an den Seiten eine Weste mit Stehkragen. Ihre neue Uniform. "Ich fühlte mich wie eine Königin", sagt die Frau, die heute ein schlichtes weißes T-Shirt, Turnschuhe und keine Schminke trägt, um ihren Hals baumelt ein lederner Brustbeutel.
Frauen plündern seit jeher die Männermode, aber ihr gehe es dabei nicht nur um die Ästhetik, sagt Pelipas. "In Männeranzügen stecken hunderte Jahre Tradition und Knowhow. Sie sind so gut gearbeitet, dass sie fast sämtliche Unzulänglichkeiten der Figur ausgleichen. Jeder Mann kann mit einem guten Anzug ein bisschen wie James Bond aussehen." Anzüge für Frauen dagegen sollen immer noch die Proportionen des weiblichen Körpers betonen. "Am Ende sieht fast keine Frau darin gut aus", findet sie.
Warum also nicht einfach die besseren Schnittmuster als Grundlage nehmen? Wo es doch haufenweise Material davon gibt, mit dem keiner etwas anzufangen weiß? "Selbst die großen Luxusmarken produzieren viel mehr, als sie am Ende verkaufen", sagt Pelipas. Nach dem Sale kommen die Sachen ins Outlet, was dann keinen Abnehmer finde, gehe vielleicht noch in den Mitarbeiterverkauf. Der Rest wurde - wie vor ein paar Jahren herauskam - heimlich verbrannt. "Jetzt, wo die Firmen keine Ware mehr vernichten dürfen, landet der ganze Deadstock in Lagern", so Pelipas weiter. Neulich habe sie in China eine Halle mit 70000 nagelneuen Anzügen gesehen. "Aber selbst, wenn es nur 50 oder 100 sind, kann man daraus Upcycling im großen Stil machen", ist Pelipas überzeugt. "Ich rede nicht von in Handarbeit umgenähten Einzelstücken, sondern von automatisiertem Upcycling, das sich dann auch finanziell rechnet."
Dieses Jahr hat Bettter beim prestigeträchtigen LVMH Prize gewonnen
Mit einer ukrainischen Softwarefirma hat Bettter einen Algorithmus entwickelt, der ein vorhandenes Schnittmuster analysiert und dann mit dem dafür am besten geeigneten Bettter-Entwurf "matcht", um möglichst wenig Verschnitt zu haben. Die Maschine fertigt dann aus Herrenjacketts Westen mit offenem Rücken oder schmalere Damenblazer mit Cutouts. Aus weiten Männerhosen werden Bleistiftröcke, Shorts mit verstellbarem Bund oder eben einfach schmalere Hosen für Frauen genäht. Pelipas versteht Bettter auch als Plattform, von der andere Firmen lernen können, wie sie ihre überschüssige Produktion verwerten können. Kooperationen mit bekannten Marken sind bereits in Planung.
Beim prestigeträchtigen LVMH Prize hat Bettter dieses Jahr den mit 200 000 Euro dotierten "Karl Lagerfeld Award" gewonnen. Finanziell natürlich ungemein hilfreich, aber vor allem auch ein Zeichen, dass sie auf dem richtigen Weg ist. "Als der Krieg ausbrach, haben wir Bettter die ersten Monate fast nur als Kommunikationsplattform genutzt und versucht, die kreative Community zu unterstützen." Sie sei oft kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen, weil Mode im Vergleich plötzlich so sinnlos erscheint. "Aber letztlich kann ich meinem Land so am besten dienen. Jeder muss tun, was er am besten kann", meint Pelipas. Irgendwann werden sie die Ukraine ja wieder gemeinsam aufbauen müssen.
Bislang wurde Bettter ausschließlich über den eigenen Online-Shop verkauft. Das funktioniert nicht zuletzt auch deshalb so gut, weil die Fotos der Entwürfe dort - Stylisten-Ehrensache - perfekt inszeniert sind. Aber viele Frauen wollen gerade Anzüge immer noch nicht übers Internet kaufen, sondern lieber vorher anprobieren. Im November wird die neue Kollektion nun zum ersten Mal bei der bekannten Boutique "Brown's" in London verkauft, danach bei Bergdorf & Goodman in New York, auch weitere große Händler haben angefragt. Gute, nein, besssere Nachrichten für alte Anzüge.