Man will mit Mode doch auffallen, will sich mit ihr so richtig zum Spektakel hochstylen, auf dass sich alle Hälse drehen - oder nicht? Auf dem roten Teppich mag das so sein, beim Opernball, in New York bei der Met-Gala. Aber natürlich kann Kleidung bisweilen auch deshalb getragen werden, weil sie verspricht, unsichtbar zu machen, was nicht nur auf die klassische Jacke im Tarnmuster zutrifft, auf Camouflage also, was Soldaten ermöglichen soll, sich möglichst wenig von ihrer staubigen Umgebung zu unterscheiden. Auch im ganz zivilen Kontext ist man ja manchmal froh, mit seinem Outfit keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Im digitalen Zeitalter allerdings, in dem jeder Mensch an fast jedem Ort überwacht werden kann, bekommt die Klamotte mit Tarnfunktion gerade eine völlig neue Bedeutung. Denn für eine Gegenwart, in der Funknetze, GPS-Tracking, automatische Gesichtserkennung und Überwachungskameras zum Alltag gehören, ist eine Mode gefragt, die vor all diesen Techniken Schutz bietet. Vom Tarnkappen-Style ist deshalb seit einiger Zeit die Rede, der zwei Maßgaben gleichzeitig erfüllen soll: Man will mit ihm gut aussehen, im besten Fall sogar richtig cool, man will aber auch seine Identität verbergen.
SZ Magazin Vorgeknöpft: die Modekolumne:Das ganz kleine Schwarze
Bralettes sind ausgerechnet im Winter zum Trend geworden. Zu verdanken haben wir das Katie Holmes, Zoë Kravitz und Kaia Gerber. Aber kann man es wirklich als Freiheit verstehen, wenn Frauen oben fast ohne gehen - oder nur als Freizügigkeit?
Das wohl bekannteste modische Mittel der Verhüllung im öffentlichen Raum ist die Kapuze, und tatsächlich ist sie ein guter Einstieg ins Thema, wie gerade in Rotterdam, im Designmuseum Het Nieuwe Instituut, in der exzellenten Ausstellung "The Hoodie" (bis 12. April) zu sehen ist. Sie wurde von der britischen Modejournalistin Lou Stoppard kuratiert und feiert, mit mehr als 200 Exponaten, den ursprünglich aus der Sportswear stammenden Kapuzenpulli als Designklassiker - und Ur-Variante des Unkenntlichmachens in der Öffentlichkeit. Von außen betrachtet liegen das Einmümmeln in eine Kapuze und die Vermummung ja nah beieinander. Dabei dürften es Träger von Kapuzenpullis in den wenigsten Fällen darauf anlegen, bedrohlich auszusehen oder gleich unerkannt die Juwelen aus der nächsten Schatzkammer zu rauben. Es geht ihnen vielmehr darum, ungestört zu bleiben, bei sich zu sein, sich beschützt zu fühlen und es dabei schön kuschlig um die Ohren zu haben.
In Hongkong vermummt man sich mit Taucherbrille und Fahrradhelm
Die "The Hoodie"-Ausstellung zeigt, wie Kapuzen in der Mode der vergangenen Jahre wahnsinnig populär wurden - bei Raf Simons, bei Vetements, bei Gucci und vielen anderen Labels. Das hatte sicher mit dem Einfluss der amerikanischen Streetwear zu tun, aber sehr wahrscheinlich auch damit, dass sich in den vergangenen Jahren das Verständnis von Öffentlichkeit so stark gewandelt hat. In der analogen Vorzeit war die Öffentlichkeit der Ort, an dem man anonym bleiben konnte. Man mochte mit Mode zwar auffallen, das hieß aber noch lange nicht, dass computerisiert Rückschlüsse auf den eigenen Namen, die Adresse, die Krankengeschichte und so weiter gezogen werden konnten. Heute ist Öffentlichkeit der Ort, an dem man immer schon davon ausgehen muss, dass das eigene Gesicht erfasst, dass die eigene Identität ermittelt wird. Für die Mode ist das eine völlig neue Situation. Kapuzen, die über die Stirn hängen, sind da immerhin schon eine textile Maßnahme gegen Überwachungskameras. Diese Geräte sind ja meist etwas erhöht angebracht - und erfassen dann eben nur noch das Kinn, den Mund, vielleicht die Nasenspitze. Aber nicht die biometrisch so wichtigen Augen.
Weitere Dringlichkeit bekommt das Thema durch die Nachrichten und Bilder aus Hongkong. Sie zeigen, welche vestimentären Anstrengungen die prodemokratischen Demonstranten dort, in der chinesischen Sonderverwaltungszone, auf sich nehmen, obwohl kürzlich ein Vermummungsverbot erlassen wurde. Sie wollen sich nicht nur vor Tränengas schützen, sondern vor allem vor der smarten Überwachungs- und Erkennungstechnik der Polizei. Kapuzen sind da nur ein Anfang. Weiter geht es mit Atemschutzmasken, Sturmhauben, verspiegelten Taucherbrillen, Fahrradhelmen, Regenschirmen und dergleichen ziviler Schutzausrüstung. Die Demonstranten wickeln sogar ihre Ausweise in Alufolie ein, damit deren Funk-Mikrochips vor den Radiowellen verborgen bleiben, mit denen die Polizei die privaten Daten auslesen könnte.
Das alles ist unfassbar dystopisch, und man könnte so wohl auch zu der Frage kommen: Warum nicht gleich kapitulieren und nackt auf die Straße gehen? Das wäre die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit wäre es, das Thema von Designseite aus noch trickreicher anzugehen, oder eben: noch technologischer.
Viel Aufmerksamkeit hat zum Beispiel zuletzt die amerikanische Designerin Kate Rose bekommen. Mit ihrem Label "Adversarial Fashion" bietet sie Pullis an, die mit lauter falschen Autokennzeichen bedruckt sind. "Die Muster sind so designt, dass automatische Kennzeichen-Lesegeräte auf sie anspringen. So werden also Schrottinformationen in jene Systeme gefüttert, die der Staat und seine Auftragnehmer verwenden, um Zivilisten zu überwachen und zu orten", schreibt die Designerin auf ihrer Website. Könnte man, um die Erkennungssysteme weiter zu sabotieren, auch falsche Gesichter, falsche Geburtsdaten, falsche Adressen auf die Pullis drucken? Würde man die Systeme damit zum Absturz bringen?
Eine Folie in der Kapuze soll Nachtsichtkameras verwirren
Unwahrscheinlich. Am merkwürdigsten an Kate Roses Ideen ist aber, dass bei ihr die Gesichter erkennbar bleiben, dass also manche ihrer Pullis keine Kapuzen haben. Das heißt, die Überwachungssysteme wissen dann leider doch genau, wer sie verwirren wollte. Noch dazu sind die Muster der Pullis leider ziemlich hässlich. In Leipzig gibt es die Designerin Nicole Scheller. Sie nennt ihre Kollektion "IP/Privacy" und hat sie ganz ohne billige Drucke dem Thema Anti-Überwachung gewidmet. Scheller schlägt zum Beispiel einen Kapuzenmantel für die Nacht vor, der Nachtsicht- und Wärmebildkameras verwirren soll. Das funktioniert so: Am Rand der Kapuze ist eine Folie eingenäht, die das Infrarotlicht von Wärmebildkameras reflektiert, sodass es nicht bis zum Gesicht vordringen kann. Außerdem blinken in der Kapuze LEDs in der Frequenz von Überwachungskameras. Für das menschliche Auge unmerklich erscheint der Kopf im Fokus der Kamera als gleißender Lichtball. Hervorragende Idee. Macht es da etwas aus, dass man in dem Mantel aussieht wie Kenny, der Junge mit der riesigen Tauchglocken-Kapuze aus der Serie "South Park", der in verschiedenen Folgen immer wieder sterben muss?
Ebenfalls von Nicole Scheller kommt ein Mantel, den sie kürzlich in einem MDR-Bericht als "Marshmellow" bezeichnete. Er hat eine recht wulstige, man könnte auch sagen quallige Form und ist aus steifem Material genäht. Auf diese Weise soll es Überwachungskameras erschwert werden, Rückschlüsse auf den Körperbau des Trägers zu ziehen. Der liefert ja - wie ein Gesicht oder ein Fingerabdruck - wichtige biometrische Daten und kann, wenn man ihn mit einer Datenbank abgleicht, die Identität verraten.
Formsprachlich liegt der Marshmellow-Mantel gar nicht so weit entfernt von extravagant ausladenden Polstermänteln, wie es sie in der Mode aktuell auch von Comme des Garçons oder von Rick Owens gibt. Auch könnte man an die Weltraumschlafsäcke denken, die der Designer Craig Green für die Daunenmarke Moncler entwirft. Allerdings: So ein Anti-Überwachungs-Mantel ist nicht gerade schwungvoll, und die Diät bringt er schon gar nicht zur Geltung. Wer schön sein will, muss leiden? In Zukunft könnte es heißen: Wer modisch unerkannt bleiben will, darf kein Problem damit haben, dick auszusehen.
Sieht man mit einer schimmernden Mütze aus wie ein Aluhutträger?
Wobei - zurück in Rotterdam in der "The Hoodie"-Ausstellung - manche Vorschläge sind auch verlockend hübsch, und erscheinen schon fast marktreif. Der Gang durch die Räume endet zum Beispiel mit dem Kapuzenmantel zweier Rotterdamer Designer, die sich "Project Kovr" nennen. Kovr ist eine stilisierte Schreibweise des englischen Wortes "Cover", also: Schutz, Hülle, Tarnung. Marcha Schagen und Leon Baauw verwenden dazu für ihren locker sitzenden Anti-Überwachungs-Mantel ein leichtes, schimmerndes Polyester-Metall-Gemisch, in das Nickel und Kupfer eingewebt sind. Damit soll der Mantel zu einer Art tragbarem Faradayschen Käfig werden, also: zum strahlendichten Raum, der dank des Metalls Signale weder hinein noch hinaus lässt. Man kann dann sein Handy, seinen Pass, seine Kreditkarten und alles, was einen Chip enthält, der unbemerkt per Funk abgescannt werden könnte, in die Innentasche stecken und sich so aus der datensaugenden Infosphäre ausklinken.
Sieht man in so einem Mantel, der eine übergroße, silbern schimmernde Kapuze hat, schon aus wie ein Aluhut-Träger? Nein, keine Angst, die Kapuze geht gut als Designstatement durch, sie könnte genauso an einem Mantel von Stone Island hängen, dem italienischen Label, das seit einigen Jahren wieder so angesagt ist. Stone Island verwendet bisweilen ganz ähnliche, metallisch schimmernde Stoffe. Sprich: Der Mantel von Project Kovr wirkt nicht nur gegen die Überwachungsroutinen der digitalen Gegenwart, sondern man sieht in ihm dabei sogar modisch aus - dank des gekonnten Zusammenspiels von Design und Technologie. "Disconnect in Style" lautet der Slogan von Project Kovr.
Die Designer produzieren ihre Entwürfe bislang zwar nur in kleinen, limitierten Auflagen. Aber die Nachfrage scheint zu steigen. Gerade erst vor ein paar Tagen haben sie auf Instagram eine weitere Bestellung gefeiert. Woher sie kam? Siehe da: aus Hongkong.