Süddeutsche Zeitung

Mode:Total versohlt

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Ein Schuh pro Fuß reicht heute nicht mehr, man zieht noch einen zweiten darüber oder doch zumindest eine Hülle aus dünnem Plastik. Über einen erstaunlichen Trend, der gerade jetzt, zur Festivalsaison, zu beobachten ist.

Von Jan Kedves

Die Regenwahrscheinlichkeit in diesem Sommer tendiert in vielen Regionen gen null, was unter anderem Landwirten, Klimaforschern und Feuerwehren größte Sorgen bereitet. Aber Festivalbesucher freut es, sie müssen dann nämlich keine Gummistiefel mitschleppen. Matsch-matsch, patsch-patsch, das war früher einmal, als sich die Äcker und Wiesen, auf denen Musikfestivals im Sommer stattfinden, im Nu per Wolkenbruch in Schlammfelder verwandeln konnten. Dagegen wappnete man sich mit Gummistiefeln oder mit Plastiktüten, in die man spontan seine Füße und Schuhe steckte. Oder man machte es wie die Hippies 1969 beim Woodstock-Festival: Die suhlten sich lustvoll quiekend im Matsch, ohne Stiefel, ohne Plastiktüten, überhaupt ohne Kleidung. Sie fühlten sich frei damit.

Heute würde so etwas auf einem Musikfestival allerdings kaum mehr passieren, nicht nur wegen der Trockenheit. Sondern weil man auf Festivals viel modebewusster geworden ist und auf seine Garderobe, vor allem auf die Schuhe, streng achtet. Anders lässt sich nicht erklären, dass seit einer Weile - genauer: seit Beginn der Festivalsaison - in den verschiedenen Kanälen der sozialen Medien permanent Werbung angezeigt wird für etwas, das man wohl am besten als "Schuhkondome" bezeichnen könnte. Die Marke Hello Sunny aus Hongkong bietet welche an, die Marke Sixup aus Taiwan auch: milchig-transparente, elastische, angeblich wasserdichte Plastikbeutel, die man über seine Schuhe stülpt. Diese sehen dann so aus, als habe man sie für die Tiefkühltruhe vakuumieren wollen.

Sauteure Sneaker in einer Art Gefrierbeutel? So richtig cool ist das eigentlich nicht

Solche Schuhschutzhüllen - im Englischen werden sie "waterproof shoe covers" genannt - sind letztlich die Weiterentwicklung jener improvisierten Festival-Regenschutz-Plastiktüte, die man sich oben am Schienbein mit Klebeband abdichtet. Sie schützt auch gegen Sand und Staub, und gegen die Unachtsamkeit anderer Festivalbesucher, die einem andauernd auf die Füße treten. Im Gegensatz zur einfachen Plastiktüte haben die neueren Schuhkondome aber unten sogar noch ein kleines Rillenprofil, damit man nicht so ausrutscht, falls unerwarteterweise doch noch mal ein kleines Tröpfchen vom Himmel fällt.

Man könnte nun sagen: Ja, gut, ist doch alles praktisch - und damit wäre die Sache dann erledigt. Interessant ist aber die ästhetische Dialektik der Schuhkondome: Sie sind einerseits extrem hässlich, andererseits ist zu beobachten, dass meist sehr begehrte, teure, rare Sneaker in sie gesteckt werden. Hello Sunny zum Beispiel bewerben ihre Schuhschutzbeutel mit Fotos, auf denen durch deren milchiges Plastik die "Yeezy Boost 700" von Adidas zu erkennen sind. Früher wäre man für verrückt erklärt worden, wenn man 300 Euro teure Schuhe auf ein Festival angezogen und sie dann unter eine Plastikschicht gesteckt hätte. Heute überstrahlt das Begehren, das die neuen Statussymbole Edel-Sneaker wecken, ganz leicht jegliche Hässlichkeit der Schutzhülle. Die Träger präsentieren sich so als zugleich coole und maximal unentspannte Menschen - cool, weil sie eben diese Sneaker besitzen, und doch unentspannt, weil sie sich so sehr um deren Zustand sorgen.

So oder so passen die Festival-Schuhkondome sehr gut hinein in den allgemeineren Schuhtrend, der da aktuell lautet: Schuhe, die über Schuhe noch drüber gezogen werden (oder die zumindest so aussehen). Es ist sozusagen das Prinzip der Galosche, welche zum Schutz von Herrenlederschuhen bekannt ist, übertragen auf Schuhe, die viel moderner sind als Herrenlederschuhe. Los ging das 2013, als der belgische Designer Raf Simons für Adidas die "Ozweegos" gestaltete. Sie sahen aus, als habe man erst einen Sneaker angezogen und sei mit diesem dann noch in einen zweiten, größeren Sneaker hineingestiegen - wobei der obere halb aufgeschnitten wurde wie eine Galosche. Die "Ozweegos" wurden wahnsinnig erfolgreich. Danach brachte Balenciaga die "Triple-S" auf den Markt. Die sahen für 800 Euro aus, als habe man unter ein Paar wulstige Sneaker sogar noch zwei Extrasohlen geklebt.

Weiter ging es mit interessanten Sandalen-Interpretationen, nämlich: Sandalen in Übergröße, die man nicht barfuß trägt, sondern die man um seine normalen Schuhe noch drum schnallt. Das britische Designduo Cottweiler zeigte solche im vergangenen Jahr in Kooperation mit der Marke Reebok, und die chinesische Marke Sankuanz hat ähnliche Modelle im Angebot. Diese Über-Sandalen trägt man beispielsweise mit Basketballstiefeln. Man sieht dann zwar aus wie jemand, der enorme Klumpfüße hat, aber die Sohlen der Basketballstiefel werden nicht dreckig, weil darunter ja noch eine andere Sohle ist, und im Treibsand versinken kann man so auch nicht mehr. Man könnte vielleicht sogar in der Fortsetzung des Films "Dune - Der Wüstenplanet" (1984) mitspielen.

Mit anderen Worten: Die Schuhmode ist aktuell nach dem Schuh-im-Schutzschuh schon beim Schuh-im-Schuh-im-Schutzschuh und beim Schuh-in-der-Schutzsandale angekommen. Der nächste Designer, der etwas wirklich Überraschendes zeigen will, sollte seine Models barfuß über den Laufsteg schicken. Oder ihnen Festival-Schuhkondome über die nackten Füße ziehen.

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Quelle:
SZ vom 06.07.2019
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