Mode:Taschen für Apple und Jogi Löw

Tasche Lili Radu

Einprägsam: Ein Modell von Lili Radu mit dem charakteristischen Streifenmuster.

(Foto: PR)

Handtaschendesign aus Berlin: Die Karriere von Lili Radu begann mit Hüllen für Laptops und einer Lüge. Heute tragen viele Prominente ihre schlichten Entwürfe.

Von Verena Mayer

Das Erste, was die Berliner Handtaschen-Designerin Lili Radu erzählen will, ist "die Story". Die Story geht so: Lili Radu hatte gerade ein paar Laptop-Taschen entworfen und stand damit auf der Berliner Modemesse Bread & Butter. Es war der letzte Tag, kurz vor sechs Uhr, die meisten bauten ihre Stände schon ab. Lili Radu nicht, der Instinkt sagte ihr, dass die wichtigen Dinge am Ende einer Messe passieren, wenn alle zum Abschluss noch mal durchlaufen.

Ein Typ kam an ihren Stand, der sich als Paul aus London vorstellte. Radu fragte beiläufig, für wen er arbeite, er sagte: Apple. "Da wusste ich, das ist eine einmalige Chance, die kann ich nicht vermasseln."

Lili Radu zeigte ihm ihre Taschen und sagte, sie sei demnächst ohnehin mit ihrer Firma in London, da würde sie für eine Präsentation bei ihm vorbeikommen. Nichts davon stimmte. Radu hatte keine Firma, kein Büro und schon gar keinen imposanten Mitarbeiterstab, den sie bei Mails an Paul in Cc setzen konnte. Sie erfand also einfach zehn E-Mail-Adressen, die alle zu ihr führten. "Manchmal muss man sich größer machen, als man ist." Das war 2012, am Ende hatte sie den Job. Als erste und bislang einzige Deutsche entwarf sie eine Kollektion mit Laptop-Taschen für Apple.

Showrooms in New York und Tokio

Das also ist Radus Story. Sie handelt davon, dass es diese Start-up-Märchen tatsächlich manchmal gibt: Junge Gründerin, die niemand auf dem Zettel hat, landet bei einer der bekanntesten Firmen der Welt. Sie handelt aber auch davon, dass sich heutzutage Dinge am besten verkaufen lassen, wenn man eine Geschichte dazu erzählen kann.

Lili Radu, 36, sitzt zur Mittagszeit bei einem durchgestylten Asiaten in Prenzlauer Berg und bestellt Vegi Wok. Mit ihren Taschen hat sie seither eine erstaunliche Karriere hingelegt. Sie ist in Showrooms in New York und Tokio vertreten, die Schauspielerinnen Hilary Duff und Cynthia Nixon haben Clutches von Lili Radu auf dem roten Teppich getragen, deutsche Prominente wie Hannah Herzsprung, Iris Berben oder Anna Maria Mühe kommen regelmäßig in ihren Showroom in Berlin.

Und kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2014 spazierte Bundestrainer Jogi Löw in Brasilien mit einer Laptop-Tasche von Lili Radu herum, einem Modell aus dunkelblauem Leder mit schwarzen Rändern und Trägern, das aussah wie eine Kreuzung aus Sport- und Herrenhandtasche.

Radu erzählt schnell, während ihr Essen kalt wird, immer wieder summt das Handy auf dem Tisch. Sie sagt Sätze wie "Das ist ein super-kompetitives Business" oder "Ich muss mich immer neu challengen". Man merkt, dass sie aus der Betriebswirtschaft kommt. Lili Radu, die wirklich genau so heißt, ist in Frankfurt geboren, sie hat in Wien Wirtschaft studiert und in Mailand an der Wirtschaftsuniversität Bocconi Fashion-Management.

Damals suchte sie für sich eine Laptop-Tasche, die aus Leder ist und mit der man abends auch in der Bar sitzen kann. Sie fand nichts - also entwarf sie eine und schrieb auch gleich einen Businessplan, den sie für ihren Master einreichte. Kurz darauf machte sie sich selbständig, dann passierte "die Story", und Lili Radu gelang der Durchbruch.

It-Bag oder Weltanschauungstasche

Wenn die blonde Jungunternehmerin erzählt, klingt es pragmatisch, als hätte sie genauso ein Turnschuh-Label oder einen Modeblog aufgezogen, wenn der Moment es verlangt hätte. Zwar habe sie einen Sinn für Künstlerisches, ihre Mutter war Schauspielerin und arbeitete am Berliner Renaissance-Theater, bis die Kinder kamen. Aber am liebsten bezeichnet sich Lili Radu als Unternehmerin: "Ich wollte immer ein eigenes Business haben."

Taschen sind ein schwieriger Markt mit zwei extremen Polen. Entweder wird ein großes Bohei um sie gemacht und jede Saison eine neue It-Bag für mehrere Tausend Euro ausgerufen. Oder, das Gegenmodell, die Weltanschauungstasche: Man kehrt damit sein Innerstes nach außen und trägt mit Schlüssel, Handy und sonstigem Kram auch die eigene Geisteshaltung spazieren. Indem man nur vegane Beutel aus lokaler Manufaktur kauft oder den Weekender, der nachhaltig aus alten Lkw-Planen gefertigt wurde.

Vor allem aber ist der Markt für Taschen gesättigt. Auch bei den Luxuslabels sind Handtaschen schon lange keine Selbstläufer mehr für satte Gewinne. Es gibt einfach schon alles, jede Form von jedem Designer, zu jedem Preis vom Einstiegsbetrag bis zur echten Investition. Und wer sich kein Original leisten will, kriegt die Tasche irgendwo als Fake.

Schlicht und dennoch markant

Dass es Lili Radu dennoch gelang, auf diesem Markt Fuß zu fassen, liegt daran, dass ihre Taschen schlicht sind und dennoch markant. Das ist eine geschickte Kombination, die den Bedürfnissen unterschiedlicher Kundinnen gerecht wird. Die Shell Clutches etwa, die mit ihren silbrigen Streifen Schmuckkästchen ähneln und trotzdem praktisch in der Hand liegen wie ein Brillenetui. Oder die rechteckigen Modelle in gedeckten Farben wie Anthrazit oder Bordeauxrot. Schlicht in der Form, aber auf der Umschlagklappe haben sie ein liniertes Muster mit leichtem Retro-Touch, das an Basteleien aus Papierstreifen im Werkunterricht erinnert.

Lili Radu zahlt das Mittagessen, checkt einmal mehr ihr Handy, dann geht es zum Showroom um die Ecke. Früher präsentierte sie ihre Kollektionen zu Hause in ihrer Dachgeschoßwohnung. Die sah mit dem edlen Küchenblock und der Sofa-Landschaft zwar viel zu durchgestylt aus, um ein Home-Office zu sein. Aber auch das gehört zur Story: Dass man als junge Start-up-Unternehmerin am eigenen Küchentisch angefangen haben muss. Inzwischen ist ihr Mann in die Firma eingestiegen, sie hat mehrere Mitarbeiter, und der Showroom ist in einer Parterrewohnung in Prenzlauer Berg untergebracht. Hohe Decken, Stuck, Flügeltüren, dazwischen schlichte Kleiderständer, an denen die Taschen baumeln.

Umhängetaschen, Clutches und Shopper, Taschen mit geflochtenen Henkeln oder schwarzen Fransen, und alle mit dem zum Buchstaben "V" geformten Streifenmuster, Radus dezentem Markenzeichen. Mit dem Wort "unprätentiös" sind ihre Entwürfe am treffendsten charakterisiert, was in Berlin, wo man nichts so sehr liebt wie das Abseitige, Nie-Dagewesene, ein schlimmes Schimpfwort ist. Doch genau das macht das Label besonders, die Unaufdringlichkeit, die Mischung aus Handwerk und klassischem Design.

Und das zu einem Preis, der mit einigen Hundert Euro zwar hoch ist, einen aber nicht ruiniert. Nur der Zippverschluss an fast allen Entwürfen weise das Label als typisch deutsch aus, sagt Lili Radu. Die Deutschen legten bei Taschen Wert darauf, dass man sie sicher verschließen kann.

Taschen aus Kalbsleder oder der Haut von Zuchtrochen

Die Taschen bestehen aus Kalbsleder oder aus der Haut von Zuchtrochen, was der Oberfläche eine gepunktete Struktur verleiht. Radu lässt in einer Manufaktur in Istanbul fertigen, alles ist von Hand gemacht, sie selbst sitzt oft dort und näht jedes Modell acht Mal selbst, bis es in die Fertigung geht. Wo sie ihre Ideen findet? Die pragmatische Antwort: in Modeblogs oder auf Instagram, wo man in Echtzeit mitverfolgen könne, was den Leuten gefällt, sagt Lili Radu.

Und im direkten Kontakt mit Kunden hörte sie zuletzt heraus, dass es einen Wunsch nach Taschen aus leichten Stoffen gibt, die sportlich und multifunktional aussehen. Prompt hat sie unter dem neuen Label Vee Collective große Beutel aus gestepptem Metallic-Kunststoff herausgebracht, die ein wenig an Windeltaschen erinnern, allerdings an glamouröse Windeltaschen.

Im harten Modegeschäft sei sie froh, sagt Lili Radu, "dass ich Business-Pläne erstellen kann und weiß, wie mein Cashflow funktioniert". Und sie hat ihre Lektionen gelernt. Zum Beispiel, dass bei jedem nur halbwegs wichtigen Star Stylistinnen für einen einzigen Auftritt auf dem roten Teppich verschiedenste Outfits zusammenstellen mit verschiedensten Taschen - und man am Ende heilfroh sein kann, wenn das eigene Label zum Zug kommt.

Sie hat aufgehört, reine Business-Kollektionen zu machen, "denn eine Computer-Tasche kauft man sich meistens nur einmal". Auch sie setzt jetzt auf das schöne, elegante Accessoire, mit dem man jede Saison neue Begehrlichkeiten wecken kann. Allerdings werde sie immer eine Laptop-Tasche im Sortiment haben, sagt Lili Radu. Das sei schließlich ihre Story.

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