Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Die Nutzhose

Cargopants sind derzeit wieder in allen Schaufenstern zu sehen. Unelegant? Vielleicht, aber der Workwear-Trend macht in harten Zeiten durchaus Sinn

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Der neue Stauraum

Jahrelang trugen Frauen Cargohosen nur noch beim Angeln, also nie. Jetzt hängen sie überall in den Läden. Es gibt sie von Luxuslabels wie Bottega Veneta, aber auch von Zara; außerdem mit weitem oder schmal zulaufenden Bein, immer aber mit mal mehr (an den Hosenseiten), mal weniger (frontal auf dem Oberschenkel) vorteilhaft aufgesetzten Taschen. Bleibt abzuwarten, ob Utility Pants die neuen Jeans werden - oder nur ein kurzes Buschabenteuer sind. Die Vorteile liegen aber auf der Hand. Sie bieten jede Menge Raum, im Gegensatz zur Jeans, die nach zu viel Zeit in Jogginghosen nur noch zwickt, genau wie die präpandemisch postbotenmäßig getragene Crossbody-Tasche. In der Cargohose lässt sich das Nötigste rückenschmerzfrei am Oberschenkel unterbringen! Außerdem ist sie die schönste Variante des Y2K-Fiebers, also des Hypes um Mode aus den frühen Nullerjahren: Die älteren Modeopfer unter uns erinnern sich natürlich an den Sommer 2002, in dem der Designer Nicolas Ghesquière für Balenciaga tief auf der Hüfte hängende Cargohosen mit knappen Party-Tops auf den Laufsteg schickte. Das sah so gut aus, dass ohne diese Hose damals niemand weiterleben wollte (aber aus Budgetgründen meistens musste). Jetzt gibt es schöne Modelle sogar beim preiswerten Label COS, und sie lassen sich, wie man hier sieht, hervorragend in triste deutsche Wintergarderoben integrieren. Und dann kommt ja schon wieder der Frühling, in dem man sie mit hohen Sandalen tragen und ein kleines Taschenmesser in der Seitentasche verstauen kann - fürs Blumen pflücken.

Für ihn: Die innere Baustelle

Der Baustellen-Ausrüster Engelbert Strauss hat bekanntlich die Einkleidung des deutschen Freizeitmannes weitgehend übernommen. Die Beliebtheit der Marke lässt sich mit der hiesigen Vorliebe für Kleidung erklären, die stabil, funktional, informell ist und vor allem etwas hat, das sich "gute Preisleistung" nennt. Schließlich möchte man gerne so wenig Geld wie möglich für sein Äußeres aufwenden und das Zeug soll halten, bis man in die Grube fährt (die man sich vorher selbst geminibaggert hat. Mach es zu deinem Projekt!). Im Zuge des Hypes um die Workwear ist jedenfalls auch die Cargohose wieder allgegenwärtig und wurde immer wieder von Streetwear- und anderen Labels interpretiert. Tatsächlich haftet der aufgesetzten Schenkeltasche auch in der Luxusversion wie hier von Reese Cooper etwas robust Männliches an, selbst wenn sehr selten "Cargo" darin transportiert wird. Wenn es darauf ankommt, bin ich nützlich - das suggerieren Hose und der darin befindliche Typ. Freizeitmänner platzieren einen Kugelschreiber in der Schenkeltasche oder sogar einen Meterstab, damit wirken sie sofort wie jemand vom Kampfmittelräumdienst. Auch wenn man es nicht gerne zugibt, als Mann weiß man: Die gefühlte Selbstwirksamkeit erhöht sich, wenn man in so eine Textil gewordene Werkbank schlüpft. In Zeiten, in denen man scheinbar nichts mehr in der Hand hat, ist es zumindest beruhigend, sich wie ein Handwerker anzuziehen.

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