Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Taschen der Stunde

Die Not zur Tugend machen bedeutet diesen Sommer: nüchterne Funktionsobjekte als Fashionaccessoires zu feiern.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Der Not-Eimer

Es gab eine Zeit, da dachten Frauen viel über sogenannte It-Bags von Chloé und Gucci nach, so als wäre ein Leben ohne sie an der Schulter sinnlos. Jetzt haben alle schmerzhaft erfahren müssen, dass es auch anders geht, denn eine Luxustasche auf dem Weg vom Sofa an den Kühlschrank kommt bei Mitbewohnern eher schräg rüber. Außerdem fühlt sich jede Form der Statusfeststellung durch ein Accessoire jetzt noch billiger an. Es soll Leute geben, die sich mit ihrem alten Modell von Chanel gar nicht mehr aus dem Haus trauen, weil sie das irgendwie peinlich finden. Was wohl daran liegt, dass Mode auf Instagram und Co. so hemdsärmelig demokratisiert wurde, dass sie jetzt einfach kein feines Distinktionswerkzeug mehr ist. Aber es hilft nichts, irgendwo muss das ganze Zeug hin, wenn man rausgeht. Im Winter ist es einfach mit dem Taschenhass, weil im Daunenungetüm genügend Platz für das Notwendigste ist. Aber bei den ersten Sonnenstrahlen ist das Transportproblem von Handy, Schlüssel und Hundekacktüten wieder da. Was jetzt geht: Ein einfacher Strohkorb, wie ihn Jane Birkin immer trug, bevor Hermès ihr ein riesiges, nach ihr benanntes Ledermonster in die Hand drückte. Oder eine Tasche, die nicht aussieht wie eine Tasche. Zum Beispiel diese Bucket-Hat-Variante von MM6 Maison Margiela (über matchesfashion.com). Da passt alles rein, außerdem signalisiert sie die einer erwachsenen Frau angemessene Aprilschauerskepsis. Wir sind ja keine Influencer, die alles mega finden. Aber huch, die It-Bag ist doch kein alter Hut.

Die Anti-Viren-Bag

Die Geschichte des Designs ist voll von Beispielen, bei denen vorhandene Formen in einen anderen Kontext übersetzt wurden. Schwerter zu Pflugscharen, Aliens zu Zitronenpressen, Frauenkörper zu Colaflaschen und so weiter. Wenn nun als heißester Trend auf Etsy derzeit diese Handtaschen in Form der notorischen FFP2-Maske kursieren, ist das also erst mal nur ein ganz gewöhnlicher Reflex von kreativen Geistern. Andererseits ist es auch eine gute Gelegenheit, um noch mal festzustellen, dass etwas an dieser Maskenform für den stilistischen Betrachter irgendwie unbefriedigend ist. Der Virenbeutel lässt sich ja geometrisch nicht ganz erfassen, mit seinen stumpfen Winkeln, runden Rändern und Ohrhenkeln. Eine FFP2 falten zu wollen, macht jedenfalls ungefähr so viel Spaß, wie ein ausgeleiertes 180-cm-Spannbettuch zu falten. In der Verwendung als Tasche ergibt das Funktionsdesign also zunächst eigentlich sogar mehr Sinn, denn das Verlangen, Taschen zu falten, hält sich in Grenzen. Andererseits weiß man als Mensch von Welt auch: Behälter, bei denen die Bodenfläche deutlich schmaler und kleiner ist als die Einfüllöffnung, sind auf Dauer in der Praxis furchtbar unpraktisch. Der Inhalt verteilt sich schlecht, man kann sie nicht gut abstellen, und irgendwann fallen Sachen an der Seite raus. Zu solchen praktischen Bedenken kommt noch eines rein emotionaler Natur. Ja, diese hippen Maskentaschen tragen eine Anti-Covid-Aufschrift, die Mut machen soll. Das ändert aber nichts daran, dass man das Zeug eigentlich schon längst nicht mehr sehen kann.

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