Süddeutsche Zeitung

Kleidung:Gerne getragen, aber nicht bezahlt

  • Weltweit, vor allem aber in den USA, ist die Modebranche in einen Mehrfrontenkampf verstrickt, den sie kaum gewinnen kann.
  • In einer britischen Umfrage gestand jüngst jeder fünfte Modekunde, "Wardrobing" zu betreiben - zumindest gelegentlich.
  • Die US-Bekleidungskette Urban Outfitters, eine der größeren und bekannteren im Land, will nun gegensteuern.

Von Claus Hulverscheidt, New York

In den US-Presseagenturen erschien diese Woche eine Meldung, die es früher einmal vielleicht in die abendlichen Fernsehnachrichten geschafft hätte: Die Modekette Dressbarn mit ihren mehr als 600 Geschäften stellt nach fast 60 Jahren den Betrieb ein. Doch statt allgemeiner Aufregung herrschte nur Schulterzucken. 600 Läden, 60 Jahre - was ist das schon in einer Branche, in der jede Woche irgendwer für immer seine Pforten schließt.

Weltweit, vor allem aber in den USA, ist die Modebranche in einen Mehrfrontenkampf verstrickt, den sie kaum gewinnen kann. Da ist der Online-Riese Amazon, der ihr ein gutes Stück des Geschäfts weggenommen hat. Da sind die knapper gewordenen Budgets junger Menschen, die zu allem Überfluss auch noch gerne ausgehen und in Urlaub fahren. Und da ist das neue Phänomen des "Wardrobing", das man sehr frei mit "Klamottenklau" übersetzen könnte und das die Händler Unsummen kostet.

Kunden bestellen online eine Bluse, eine Hose oder eine schicke Jacke, ziehen sie einen Abend lang an und senden sie dann mit dem Vermerk "passt nicht" oder "gefällt nicht" zurück. Zwar entdecken die Händler oft Indizien, dass die Sachen getragen wurden, etwa intensiven Parfümgeruch. Da aber echte Beweise meist fehlen, müssen sie den Kaufpreis erstatten. In einer britischen Umfrage gestand jüngst jeder fünfte Modekunde, "Wardrobing" zu betreiben - zumindest gelegentlich. Zu manchen Händlern werden 50 Prozent aller Waren zurückgeschickt.

Die US-Bekleidungskette Urban Outfitters, eine der größeren und bekannteren im Land, will nun gegensteuern. Für eine Monatsgebühr von umgerechnet 78 Euro sollen sich Kunden alle vier Wochen sechs besondere Stücke aus dem eigenen Sortiment und dem von Partnern leihen können, darunter der Schuhhersteller Reebok. Hinzu kommen Modeklassiker, die das Unternehmen selbst auf Flohmärkten und bei Spezialhändlern einkauft.

Zielgruppen: Instagrammer, Nachhaltigkeitsfans, Gelangweilte

Das Konzept zielt auf gleich mehrere Gruppen: die Instagram-Generation, die scheinbar für jedes Foto ein neues Outfit braucht und sich mit dem grassierenden "Wardrobing" rechtlich auf sehr dünnem Eis bewegt; Nachhaltigkeitsfans, die sich freuen, wenn schicke Kleider regelmäßig getragen werden statt nur im Schrank herumzuliegen; und schließlich jene, denen aus Geldnot oder Frust über die sich ständig ändernden Trends die Modebegeisterung abhandengekommen ist und die nun wieder die Chance haben, sich stets aktuell zu kleiden.

Binnen eines Jahres rechnet Urban Outfitters mit 50 000 Abonnenten, auch noch größere Konkurrenten wie H&M denken über Leihoptionen nach. Für kleinere Firmen gibt es bereits eine Internetplattform, über die Anbieter das Mietgeschäft, die anschließende Reinigung und auch womöglich nötige Ausbesserungsarbeiten abwickeln können.

Ob sich der Verleihtrend durchsetzen wird, ist völlig offen - bislang funktionierte er nur für teure Spitzenmode. Auch müssen die Anbieter aufpassen, dass sie nicht ihre Verkäufe ruinieren, schließlich soll die Vermietung eine Ergänzung und kein Ersatz für das bisherige Geschäft sein. Urban Outfitters hält deshalb schon länger auch andernorts Ausschau, um die eigene Existenz zu sichern: Vor einiger Zeit übernahm die Modefirma eine Pizza-Kette.

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SZ vom 23.05.2019/fzg
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