Mode:Großes Kino in Paris

Die Modebranche nähert sich immer mehr Hollywood an. Man produziert große Spektakel, schiebt Stars über den Teppich. Aber Arthouse gibt es bei der Modewoche in Paris zum Glück auch noch.

Von Silke Wichert, Paris

Unwahrscheinlich, dass Angela Merkel den vergangenen Sonntagvormittag damit verbracht hat, das Video zur Balenciaga-Show zu gucken. Naheliegender wäre der "Presseclub" oder das "Europastudio" im ORF. Aber Letzteres gab es im Grunde bei Balenciaga auch, nur knalliger: In der Cité du Cinéma, wo der französische Regisseur Luc Besson vorzugsweise seine Filme dreht, war ein Auditorium in sattem Europablau als Laufsteg-Kulisse gebaut worden. Eine einzige Bluebox aus Teppich, Samtvorhängen und Stühlen, die in einer Abwärtsspirale angeordnet waren. Also ungefähr in die Richtung, in die sich die Welt gerade bewegt. Schauplatz für eine Denkübung in Sachen "Power Dressing" und der etwas schiefen Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.

Angeblich soll der deutsch-georgische Designer Demna Gvasalia auch über Angela Merkel und ihre Uniform nachgedacht haben. Die scheidende Bundeskanzlerin als Inspiration für eine der angesagtesten Marken der Stunde, die Ironie könnte nicht größer sein, das Ergebnis nicht verstörender und zugleich betörender. Gecastet wurden nicht nur Models, sondern Berufstätige jeder Couleur, Lehrer, Galeristen, Krankenschwestern sowie eine gewisse Nadja Auermann, "Model, Schauspielerin, Mutter". Sie tragen kastige Anzüge mit Schulterpartien, wuchtig wie Schwebebalken. Dazu Kreditkarten- oder Rolexohrringe, kantige Schuhe, Logos bis in die Rasta-Spitzen.

Auch die bessergestellten Frauen in den typischen plissierten Seidenkleidern oder die disneyhaften Prinzessinnen mit den riesigen Reifröcken zum Schluss tragen wenig Make-up, dafür Prothesen im Gesicht. Eine Parabel auf die Schönheitsideale unserer Zeit, das "Contouring" der Wangenknochen, die aufgespritzen Lippen. Früher hieß es, Geld verdirbt den Charakter, heute versaut es einem mitunter die Visage. Und während man all diese Menschen wie ferngesteuert in die Abwärtsspirale (zur Arbeit?) laufen sieht, denkt man: Die Welt ist ein böser, kalter Ort. Es fröstelt einen hier nicht nur, weil die Temperatur extra runterkühlt wurde.

Gvasalia zeigt erneut eine der besten Schauen der Pariser Modewoche, weil er sich mit der Realität auseinandersetzt und dabei trotzdem jede Menge guter, auch irre gut vermarktbarer Produkte herauskommen. Etwa der neue Sneaker Tyrex, dessen Oberfläche so sehnig aussieht wie Gunther von Hagens' Körperwelten und der in Kürze das Gelddruck-Modell Triple S ablösen dürfte. Vor drei Wochen hat der 38-jährige Designer erklärt, dass er sich von seinem eigenen Label Vetements verabschiedet, weil er seine Mission dort für beendet hält. Nicht auszudenken, was die Kundschaft demnächst erst erleben wird, wenn der Mann seine ganze Energie nur noch in Balenciaga steckt.

Das böse Wort "kommerziell" geisterte durch die Reihen

Die Begeisterung über diese Show war in Paris auch deshalb riesig, weil andere große Modehäuser lieber in ihrer ästhetischen Komfortzone blieben. Sie spielten mit den bekannten Codes, experimentierten in homöopathischen Dosen. Das böse Wort "kommerziell" geisterte durch die Reihen. Aber trotz allem Gemaule, dass es in der Mode mehr denn je ums Verkaufen geht: Zurzeit geht die Strategie voll auf.

Saint Laurent, Chanel und Givenchy haben alle kräftig zugelegt in den letzten Jahren, Dior steuert unter der Designerin Maria Grazia Chiuri gerade auf drei Milliarden Euro Umsatz zu. Ein Plus von 26 Prozent. Es überrascht deshalb nicht, dass Chanel in der ersten Prêt-à-porter-Kollektion unter der alleinigen Führung von Virginie Viard vor allem, nun ja, Chanel bleibt. Allein die Hotpants über Strumpfhosen und kurzen Glockenröcke hätte es bei Karl Lagerfeld nicht gegeben. Der schieferfarbene Laufsteg ist diesmal dem Dach des Stammhauses in der Rue Cambon nachempfunden, was weniger bombastisch daherkommt als, sagen wir, Eisberge, Supermärkte oder Raketen, aber durchaus symbolisch verstanden werden kann: Hier steht man haushoch über den Dingen.

Mode: Dior war die erste Blockbuster-Show gleich am Anfang der Pariser Modewoche. Das Oberthema war diesmal "Gardening", inspiriert von der gärtnernden Schwester von Christian Dior. Unter dem Motto "Planting for the future" fand die Show inmitten von 164 Bäumen statt, die demnächst bei verschiedenen Landschaftsprojekten eingepflanzt werden.

Dior war die erste Blockbuster-Show gleich am Anfang der Pariser Modewoche. Das Oberthema war diesmal "Gardening", inspiriert von der gärtnernden Schwester von Christian Dior. Unter dem Motto "Planting for the future" fand die Show inmitten von 164 Bäumen statt, die demnächst bei verschiedenen Landschaftsprojekten eingepflanzt werden.

(Foto: Dior)

Eine kleine Sensation gibt es beim Finale dann doch noch. Eine französische Komikerin mischt sich im Tweedkostüm unter die Models - und manchen Gästen fällt der Flitzer gar nicht groß auf.

"OMG, I want it all!"

Die Megabrands sind die Blockbuster der Mode, die Branche nähert sich immer mehr dem Showgeschäft an. Insofern hat Gvasalia den Nagel auf den Kopf getroffen, als er ins Filmstudio lud. Man produziert große Spektakel, schiebt Stars über den Teppich, schickt die Bilder um die Welt. Im besten Fall haut das den Betrachter genauso um wie großes Kino. Aber auch die Erfolgsmasche kommt immer häufiger aus Hollywood: Wer die Formel erst mal gefunden hat, produziert ein Sequel nach dem anderen. Um ein möglichst breites Publikum an die Kasse zu locken, überfordert man die Leute lieber nicht.

Anthony Vaccarello zeigt bei Saint Laurent also weiterhin vor allem Schwarz, rockig, sexy, dazu ein bisschen mehr Bohème als sonst mit goldenen Tüchern um den Kopf, alles vor einer Kulisse von 400 Scheinwerfen und dem hübsch glitzernden Eiffelturm. Über Nacht steigen die Anfragen auf der globalen Modesuchmaschine Lyst um 20 Prozent. Noch Klagen?

Genau so einen Boxoffice-Hit braucht der frühere Saint-Laurent-Designer Hedi Slimane bei seinem neuen "Studio" Celine. Sein bourgeoiser Siebzigerjahre-Look, der aktuell in den Läden hängt, scheint sich besser zu verkaufen als die ersten Entwürfe, denn er zeigt für nächsten Sommer, ta-daaa: fast das Gleiche. Bluse unterm Blazer, Hosenrock, Stiefel, viel Jeans (aber Bootcut), aufwendig bestickte Kleider und ebenfalls goldene Kopftücher. Gefühlt 60 von 63 Models tragen eine Handtasche. Der Look wird so präzise durchgehämmert, dass am Ende jeder Anwesende die Celine-Frau im Schlaf beschreiben könnte. Aus Sicht von Marketingstrategen schon mal nicht der schlechteste Effekt.

Einen Pennyloafer für die Gedanken von Catherine Deneuve! Die dienstälteste Front-Row-Frau sitzt eisern jede Saison bei Celine wie bei Saint Laurent. Lächelt sie? Döst sie? Oder wird ihr wie so vielen anderen im Fachpublikum gerade klar, dass sie ein Remake erlebt - perfekt gemacht, aber mehr auch nicht? Auf Instagram lauten die ersten Kommentare zu Celine Teil III bereits: "OMG, I want it all!"

Dries Van Noten liefert den besten Plot von Paris

Natürlich gibt es auch in der Mode weiterhin die Arthouse-Abteilung, die sich an die Grenzen des guten, gelernten Geschmacks wagt: Comme des Garçons, Noir, Marine Serre, Rick Owens. Und die Autorenfilmer: Der nordirische Designer Jonathan Anderson hat die Handwerker des spanischen Ateliers von Loewe diese Saison jede Menge Überstunden schieben lassen. Er zeigt Kleider aus feinster Margeriten-Spitze, eingefasst in Leder, mit aristokratisch angehauchten, ausgestellten Panieren auf den Hüften. Praktischerweise sind sie, wie auch die Krinolinen und Schulterpolster bei Balenciaga, abnehmbar, also alltagstauglich. Reifröcke tauchen auch bei Thom Browne auf, bei Alexander McQueen werden Korsagen oder deren Streben in Blusen und Kleider eingearbeitet. Vieles in Paris wirkt wie ein Aufbäumen gegen die formlose Sportswear der letzten Jahre. Vielleicht geht es auch um mehr Haltung in schwierigen Zeiten.

Wer beim Stichwort Sportswear nun an Virgil Abloh und sein Label Off-White denken muss: Der Multi-Wonderboy der letzten Jahre legt auf Rat seiner Ärzte gerade drei Monate Pause ein. Bei Ablohs Pensum kaum verwunderlich: Kooperationen mit Ikea, Rimowa und Nike, die Männerlinie von Louis Vuitton, Kunstprojekte, alle wollten Abloh. Deshalb läuft die Show diesmal in Abwesenheit des Meisters. Sie heißt "Meteor Shower", Stiefel, Taschen und Kleider werden von Löchern durchzogen. Noch auffälliger sind die Lücken in den Sitzreihen, wo vor einigen Saisons noch mörderischer Andrang herrschte.

Die größte Menschenschlange findet sich neben dem Showzelt von Valentino. Na bitte, denkt man, keine Stadt lebt so für die Mode wie Paris! Wie sich herausstellt, haben sich die Leute jedoch aufgereiht, um vom früheren Staatspräsidenten Jacques Chirac Abschied zu nehmen; er ist im nahe gelegenen Invalidendom aufgebahrt. Wären sie für Pierpaolo Piccioli angestanden, es hätte einen aber auch nicht gewundert. Der Italiener hat bei Valentino seit Jahren einen unglaublichen Lauf. Diesmal trimmt er weiße Shirtdresses und Blusen mit Volumen und Schnittführung auf Couture-Niveau. Dann folgen lange Kleider in Neonfarben, ungefähr das Letzte, was man zurückhaben wollte in der Mode. Piccioli jedoch kann sogar Leuchtfarben anmutig aussehen lassen. "Haute Neon" tauchte dann auch bei Chanel auf, "das große Weiße" war in der gefeierten Miu-Miu-Kollektion und beim großen Finale von Louis Vuitton zu sehen.

Es gibt also durchaus Labels, auf die sich Kritiker und Kunden einigen können, die Tarantinos und Wes Andersons der Modewelt. Balenciaga, Alexander McQueen oder Hermès, wo die Sattlerschürze des Hauses diesmal Kleider und Tops inspiriert. Und natürlich Dries Van Noten.

Der Belgier liefert den besten Plot von Paris. Auf der einen Seite entwirft er seit jeher betont undramatisch, auf der anderen Seite pinnte er diesmal immer wieder opulente Entwürfe von Christian Lacroix aus den Neunzigern an sein Moodboard. Schließlich schrieb er dem Couturier eine höfliche Mail: Ob der sich vorstellen könne, gemeinsam an einer Kollektion zu arbeiten? Lacroix, dessen Maison 2009 schließen musste und der seitdem vor allem Theaterkostüme entwirft, stimmte zu. In der bunkerhaften Opéra Bastille wird das Publikum nun Zeuge, wie sich die beiden gegensätzlichen Handschriften ergänzen, ineinanderlaufen, sich gegenseitig verstärken oder auch neutralisieren. Röcken mit Rüschenkaskaden werden mit nüchternen Tops, Zebra- und Leoprints mit noch mehr Mustern oder mit Schleifen kombiniert. Eine Kooperation, wie sie sein soll: Zwei Künstler bündeln ihre Kräfte.

Am Ende stehen Van Noten und Lacroix Hand in Hand auf der Bühne, sie strahlen, während das ältere Modevolk den Tränen nahe ist. Im Kino wie in der Mode ist auf eines Verlass: Gute Liebesgeschichten haben immer Saison.

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