Süddeutsche Zeitung

Start-up:Mode zum Mieten

Wenn Klamotten ohnehin nur ein paar Mal getragen werden - warum nicht einfach ausleihen? Eine Berliner Unternehmerin will diese Idee jetzt im großen Stil umsetzen.

Von Thomas Hürner

Die Zukunft der Modeindustrie, davon ist Robina von Stein überzeugt, verbirgt sich hinter einem dunklen Vorhang in Berlin-Mitte. Er trennt ein kleines Café und einen Vorraum mit Tischtennisplatte, durch den man in ein Coworking-Space gelangt. Hier sitzen Jungunternehmer an quadratisch angeordneten Schreibtischen, die kahlen Wände sind mit Zeichnungen von Raumschiffen und Zitaten verziert. Eines geht angeblich auf Amazon-Gründer Jeff Bezos zurück: "Es ist kein Experiment, wenn du weißt, dass es funktionieren wird", steht da. Robina von Stein, 28, zieht darunter zwei bunte Damenmäntel aus einem gelben Recyclingpäckchen und sagt: "Die Modemarken wissen, dass Leihen die Zukunft ist. Und ich will ihnen zeigen, wie es geht." Für zwei Wochen waren diese beiden Mäntel bei einer Kundin, jetzt werden sie mit nachhaltigen Chemikalien gereinigt, bevor es für sie wieder auf die Reise geht.

Robina von Stein, groß, schlank, schmales Gesicht, hat früher einmal gemodelt, dadurch habe sie "natürlich ein besonderes Faible für Mode". Wenn sie von den Entwicklungen in der Textilbranche spricht, dann weicht ihr heiteres Gemüt kurz dem Vokabular einer studierten Wirtschaftswissenschaftlerin. Ein neues Bewusstsein müsse her, sagt Robina von Stein dann etwa immer wieder, "ein Bewusstsein für effizienteren Konsum".

In der idealen Welt hätte jeder nur eine Basisgarderobe, die dann temporär ergänzt wird

Nun sind Leihmodelle für Kleidung eigentlich nichts Neues. Anlassmode wie Smokings und Abendkleider gibt es bereits seit jeher im Frackverleih. Im Netz sorgen Plattformen wie "Rent the Runway", "Le Tote" und "Fashion Pass" besonders im amerikanischen Markt schon für viel Bewegung in Sachen Leihgarderobe. Im Fokus sind dabei vor allem Businessfrauen oder Influencer - beides Zielgruppen, die großen Bedarf an neuen, repräsentativen Teilen haben. Bei Tchibo in Deutschland hingegen gibt es seit Kurzem einen Service für Kinderklamotten auf Zeit. Und Start-ups wie "Stay Awhile" oder "Myonbelle" liefern Abonnenten monatlich eine Box mit Leihklamotten nach Hause, die von Mitarbeitern nach Größe und Stil der Kundin abgestimmt wird.

Das sind aber alles noch Nischenmodelle, Robina von Stein will das ändern, und zwar mit "absoluter Freiheit für den Kunden" und einem besonderen Fokus auf bewussten Konsum. Ihr Start-up heißt "Re-nt", das Ziel der damit ausgerufenen "Re-nt Revolution" ist nicht unambitioniert: Durch etwas, das Stein einen "zirkularen Kreislauf" nennt, soll absolute Nachhaltigkeit erreicht werden.

Eine Bluse kommt dann beispielsweise direkt von der Marke zu Re-nt, ohne Zwischenhändler und häufig aus der branchentypischen Überproduktion. Re-nt verleiht diese dann weiter, nach einer bestimmten Anzahl an Kunden geht die Bluse zurück an den Hersteller. Dort wird sie recycelt oder neuen Modetrends angepasst und schließlich wieder zum Leihen angeboten.

Der so skizzierte "closing loop" ist noch nicht eingetreten, dafür sind das Unternehmen zu jung und die Kunden noch nicht zahlreich genug. Entsprechende Vereinbarungen bestehen aber mit den insgesamt 15 Marken, mit denen Re-nt derzeit zusammenarbeitet. Das Sortiment umfasst vor allem Kleidung aus der mittleren Preiskategorie, es sind aber auch Luxuslabels wie Vivienne Westwood oder Isabel Marant dabei. Noch sind nicht alle der angebotenen Klamotten nachhaltig produziert, "aber wir wollen den Marken auch einen Anreiz dazu geben", sagt Robina von Stein. Sie weiß aber auch: Der Weg dorthin führt nur über den Konsumenten.

Aus diesem Grund muss Re-nt so einfach und flexibel wie möglich werden. Ab diesem Frühling sollen Kunden deshalb über eine Smartphone-App die Kleidung auswählen können: Mit einer Flatrate von mindestens 30 Euro monatlich erhalten sie dann Zugang zu einem virtuellen Kleiderschrank, aus dem sie sich bis zu vier Teile gleichzeitig nach Hause schicken lassen können. Das funktioniert dann nach einem Punktesystem, wobei ein Punkt den Wert von zehn Euro hat. Abhängig vom Einkaufswert der Kleidung können die Kunden dann ihre Punkte einlösen - und diese beliebig oft im Monat umtauschen. Die neue Jeansjacke hat schon nach ein paar Tagen ihren Reiz verloren? Eine modische Alternative ist sicher schnell gefunden, kleinere Schäden sind außerdem über das Unternehmen mitversichert.

In der idealen Welt von Robina von Stein hätte ohnehin jeder Mensch nur eine schlichte Basisgarderobe mit Denim-Jeans, weißen T-Shirts und schwarzen Pullovern, die dann je nach Stimmung oder Anlass durch die gemusterte Bluse, den eleganten Wintermantel oder den gepunkteten Minirock temporär ergänzt wird - auch mit Marken, die man sich sonst nicht leisten kann oder will.

Um wirklich den Geschmack der breiten Masse zu treffen, benötigt Re-nt aber mehr Auswahl. Robina von Steins Taktik, um neue Marken von ihrer Vision zu überzeugen lautet: Fragen kostet nichts. Und Kaltakquise funktioniert am besten dort, wo potenzielle Kooperationspartner zahlreich vertreten sind. Auf der Premium Messe in Berlin etwa, einer Veranstaltung im Rahmen der Fashion Week.

Mehr als 1000 Marken präsentieren hier die Trends der neuen Saison, die Kleidung wird in grellem LED-Licht präsentiert, Stein trägt schlichtes Schwarz. In eiligen Schritten läuft sie durch das dichte Gedränge von Modebegeisterten, ihren ersten Halt macht sie beim Stand des dänischen Labels "Minimum", wo sie bereits von einer blonden Frau erwartet wird. Küsschen links, Küsschen rechts, dann geht es erst einmal um Vertriebsmöglichkeiten, Kommissionen, Zahlen. "Girls", sagt die Dame vom dänischen Label, wünschten sich Outfits für ein Wochenende oder eine Nacht, "deswegen ist das eine gute Idee". Auch der ökologische Aspekt würde immer mehr ins Bewusstsein der Marken rücken. Aber ist gemietete Kleidung die Zukunft? "Eine Konkurrenz zum Kaufen wird das nie", ist sich die Frau von "Minimum" sicher.

Auch die beiden Herren von Etienne Aigner, Hersteller von exklusiven Lederwaren aus München, zeigen sich eher skeptisch. Robina von Stein sagt später: "Natürlich fürchten sich die Labels auch vor der Kannibalisierung ihres Geschäftsmodells."

Immer schon sind Geschäftsmodelle obsolet geworden, neue profitierten. Und leiht man sich heute nicht wie selbstverständlich schon Autos, Fahrräder, Bohrmaschinen? Das Eigentum verliert an Bedeutung, junge Großstädter proben mit der Sharing Economy das Modell einer selbstlosen Gesellschaft. Mode ist aber noch mal individueller als ein Auto, sie ist Ausdruck der eigenen Identität, für bestimmte Milieus oder Gruppen sogar ein Mittel der Distinktion. "Ich glaube, die Vorbehalte werden bei den Menschen weniger", sagt Robina von Stein, und so ganz Unrecht dürfte sie damit nicht haben. Der Second-Hand-Markt boomt, gerade bei einer jungen, gut gebildeten Käuferschicht. Und das nicht, um Geld zu sparen: Für sie ist Vintage vor allem ein modisches Statement. Und dann gibt es ja auch die verbreitete Unsitte, sich eine neue Jacke nur für ein Instagram-Foto zu bestellen. Knipsen, hochladen, zurückschicken. Der Internet-Händler Zalando, so heißt es in Branchenkreisen, soll auch deswegen eine Retourenquote von bis zu 50 Prozent haben.

Für den Alltag sei das Klamottenleihen aber kein Modell, sagt ein Kritiker

Kleidung wird massenweise durch die Welt transportiert, da macht auch Re-nt keine Ausnahme. "Das ist natürlich ein Problem", sagt Robina von Stein, die deshalb bald mit sogenannten Drop-Boxen in Großstädten arbeiten will. Die Kunden können ihre geliehene Kleidung an Sammelorten einwerfen, eine Testphase ist in Berlin bereits gestartet. Mit der App sollen sie zurückverfolgen können, wie viel CO2 im Vergleich zu gekaufter Kleidung eingespart werden konnte. "Kleine Trigger", sagt Robina von Stein, "um die Menschen zu effizienterem Konsum anzuregen."

Die Textilindustrie ist ein Ressourcenfresser, sie benötigt gewaltige Mengen an Wasser, Chemikalien und Energie. Die Produktion einer einzigen Jeans verbraucht bis zu 8000 Liter Wasser, zwischen 2000 und 2015 hat sich die weltweite Textilproduktion verdoppelt. Die sogenannte Fast-Fashion-Industrie stellt Kleidung in Bangladesch, Kambodscha und Vietnam her, von dort wird sie in die ganze Welt geflogen und verschifft. Bis zu 24 Kollektionen pro Jahr, Massenware, mit der die Bekleidungsindustrie weltweit zwei Billionen Euro Umsatz macht, Tendenz steigend. Der Modehändler H & M hatte vergangenes Jahr angeblich Überproduktion im Wert von 3,5 Milliarden Euro, was nicht verkauft werden kann, wird tonnenweise verbrannt.

Und der Konsument ist die treibende Kraft, weil er konsumiert. Laut einer Studie von Greenpeace haben die Deutschen durchschnittlich 95 Kleidungsstücke im Schrank, insgesamt 5,2 Milliarden Teile, Unterwäsche und Socken nicht einberechnet. Billigware wird angehäuft, jedes fünfte Kleidungsstück aber selten oder gar nicht getragen. In Teilen der Gesellschaft wandelt sich das Bewusstsein aber langsam und deshalb ist heute auch Weltverbesserungsrhetorik Teil vieler Geschäftsmodelle. "Der Kunde ist aber kritisch", sagt Robina von Stein, "wenn man damit wirbt, braucht man auch Transparenz."

Für die will sie selbst sorgen, bei einer Podiumsdiskussion der Fashion Week, zu der Branchenkenner im Brecht-Haus Berlin zusammengekommen sind. Gedimmtes Licht, im Publikum sitzen vor allem junge Modeinteressierte. Und in dem Creative Consultant und Fachjournalisten Joachim Schirrmacher hat Robina von Stein auf der Bühne gleich einen bekennenden Skeptiker gefunden. Für den Alltag sei das kein Modell, sagt er, vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsteile. Schirrmacher, graues Sakko und Einstecktuch, sieht darin eher Spaltungspotenzial, er zweifelt auch an der Wirtschaftlichkeit und an der Passform von gemieteter Kleidung. "Und wenn jemand für 600 Euro im Jahr Klamotten mietet und seinen Job verliert", sagt er, "dann hat er ja gar nichts mehr." Ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit, glaubt Schirrmacher, sei eher ein Verbot für kostenlose Retouren. Der Moderator will später wissen, wer sich Kleidung leihen würde, rund zwei Drittel des nicht ganz repräsentativen Publikums melden sich. Robina von Stein lächelt und sagt: "Jede Veränderung begann mal mit einer Vision."

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Quelle:
SZ vom 30.03.2019/edi
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