Wenn Künstlerinnen oder Künstler in der Mode aktiv werden, denkt man oft: Na gut, die haben ordentlich Geld dafür gekriegt, und der Aufwand ist überschaubar. So war es zum Beispiel, als Marina Abramović vor einigen Jahren für eine Givenchy-Kampagne modelte, oder als Jeff Koons der Marke Louis Vuitton 2017 erlaubte, ihre Luxus-Taschen mit Klassikern der Kunstgeschichte zu bedrucken, die er aus den Museen der Welt zusammenkopiert hatte. Easy.
Die Künstlerinnen Anne Imhof und Eliza Douglas haben da einen anderen Ansatz: Sie arbeiten mit dem System Mode so, dass nicht sofort klar wird, wer hier von wem profitiert, oder was das überhaupt soll. Zum Beispiel vor einigen Wochen in Berlin: Da war wieder Fashion Week, diesmal digital, weil Corona. Die Labels streamten also neue Kollektionen. Oder Designer sprachen auf Panels darüber, wie Corona aus Mode jetzt eben Streams macht. Mäßig spannend. Aber im vernebelten Rund des Berliner Zeiss-Planetariums standen nebeneinander Imhof und Douglas. Sie schickten E-Gitarren-Feedbacks durch Verstärker und sangen mit beschwörenden Stimmen rätselhaft statische Rocksongs über Jungs, die erst noch zu Männern werden müssen.
Dazu vollführten ein paar hübsche Jungs Vogel-flieg-Bewegungen, und als Eliza Douglas begann, ihr hüftlanges Haar wild zu schütteln, machten die Jungs es ihr nach. Keiner von ihnen hatte so richtig lange Haare, weswegen es ein wenig so aussah, als würden sie Buße tun und ihre schmalen Brustkörbe demütig zu Boden werfen. Einige zogen an E-Zigaretten und bliesen den Qualm hoch zu Douglas, während sie sang. Ein treffendes Bild für die aktuelle Aerosol-Panik, die wohl auch in Aerosol-Lust umschlagen kann. Douglas trug dazu ein Merchandise-Shirt von der Metal-Band Dying Fetus mit dem Aufdruck "Orgy of the Sick", Orgie der Kranken.
Superlässige Pose der Lebensverachtung
Die Performance, die ohne Livepublikum gefilmt und von der Berliner Senatsverwaltung kofinanziert wurde, hatte mit Mode im Grunde nicht viel mehr zu tun, als dass sie im Rahmenprogramm der Fashion Week, beim "Reference Festival", gestreamt wurde. Aber sie ließ diese Jungs wahnsinnig gut aussehen, sogar den, der ein Radeberger-T-Shirt trug. Und sie packte Affekte wie Wut und Lethargie zusammen mit dieser superlässig abgründigen Pose der Lebensverachtung, so wie nur die allercoolste Jugend sie rüberbringen kann - und wie sie von der Mode immer gerne aufgesaugt wird.
Natürlich hätten sie und die Jungs vorher mehrere Corona-Tests gemacht, erzählen Douglas und Imhof einige Tage nach der Performance bei einem Zoom-Interview. Sie sitzen auf der Couch in ihrer Loftwohnung in Berlin-Kreuzberg, beide tragen schwarz. Imhof, im weiten Burberry-Hoodie, ist ein Superstar der Kunst, seit sie 2017 bei der Venedig-Biennale den Goldenen Löwen für ihre fünfstündige Performance-Installation "Faust" im Deutschen Pavillon gewann. Douglas, im Balenciaga-Hoodie, ist ebenfalls Künstlerin. Sie malt, performt in Anne Imhofs Werken und ist eines der prägnantesten Gesichter in der Mode, seit sie 2016 vom Designer Demna Gvasalia auf den Laufsteg in Paris geholt wurde. Es war sein Debüt bei Balenciaga. Seitdem ist Douglas - androgyn, sehr ernst, 1,86 Meter groß - immer mit dabei, wenn Balenciaga mal wieder die Mode vor sich hertreibt. Douglas ist 36 und in New York geboren. Anne Imhof ist 42 und in Gießen aufgewachsen. Die beiden sind ein Paar. Ein richtiges Kunst-Power-Couple? Wenn das nur nicht so doof klänge!
Kennengelernt haben sich die beiden bei einer Gala für das Magazin Texte zur Kunst vor sechs Jahren im Haus der Berliner Festspiele. Imhof war eingeladen, auf der Bühne etwas zu sagen. "Aber weil ich totale Angst vor der Theaterbühne hatte, habe ich ein Konzert gespielt", sagt sie. "Wir lernten uns vor ihrem Auftritt kennen, in der Pause im Foyer. Anne war nervös, und ich redete ihr gut zu: Das wird bestimmt super!", erinnert sich Douglas. Wie arbeitet es sich zusammen, wenn man auch sonst zusammen ist? "Es kann sehr inspirierend sein. Bei uns verschwimmen Privatleben und Arbeit total", meint Imhof. "Es kann gleichzeitig ein Vorteil und ein Nachteil sein", ergänzt Douglas. Beide lächeln sich an.
Das Szenario hat etwas Okkultes
Vor Kurzem haben sie für die britische Marke Burberry zusammengearbeitet. Entstanden sind zwei Filme, die auf Youtube zu sehen sind. Im ersten mit dem Titel " A Film by Anne Imhof for Burberry" steht Eliza Douglas an den Seven-Sisters-Kreidefelsen bei Brighton barfuß im Moos und singt einen schrill-düsteren Song in Zeitlupe. Um sie herum sind Verstärker-Türme im Halbkreis aufgebaut, eine Art Rocker-Stonehenge. Der Song heißt "Half Of Freud's Books", Imhof und Douglas haben ihn gemeinsam geschrieben. Am Ende wird das Burberry-Logo eingeblendet. Im zweiten Film ist die Frühjahr-Sommer-Kollektion 2021 zu sehen. Models, männlich wie weiblich, laufen durch einen Wald auf eine Festivalbühne zu und gruppieren sich in einer Arena, die durch Absperrgitter abgezirkelt ist. Alle blicken ernst. Douglas steht auf der Bühne und singt. Das Szenario hat etwas Okkultes, Magnetisches, wie oft in Imhofs Werken.
Dass Kunst, Pop und Mode hier verschmelzen, mag aus der Mode-Perspektive ungewöhnlich erscheinen. Für Douglas und Imhof ist es selbstverständlich. Beide sind Künstlerinnen, die heute in allen möglichen künstlerischen Bereichen arbeiten, aber ursprünglich von der Musik kommen. Douglas spielte - nachdem sie in der Highschool erst intensiv Basketball trainiert hatte und einige Male in New York bei Helmut-Lang-Schauen gelaufen war - in diversen Bands, unter anderem mit dem texanischen Folk-Sänger Devendra Banhart. Danach ging sie nach Frankfurt, um an der Städelschule Kunst zu studieren. Imhof erzählt, zwischen ihrem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und ihrem zweiten Studium an der Städelschule (einige Jahre vor Douglas) habe sie fast nur Musik gemacht - und geboxt. So habe sie sich aus ihrem "extrem niedrigen Selbstvertrauen und Selbstzweifeln herausgekämpft". Musik sei ihr Weg gewesen, "den Klauen der sogenannten hohen Kunst zu entkommen", sagt sie. Das heißt: Texte und Bilder werden Song-Lyrics, oder andersherum. Songs werden, live gespielt, zu Performances, zu Kunst.
Wenn man als Modelabel mit ihnen zusammenarbeiten will, was muss man dann tun? Imhof wird von zwei deutschen Top-Galerien vertreten, Buchholz und Sprüth Magers. Douglas hat eine französische Galerie, Air de Paris. Oder schreibt man eine E-Mail an Douglas' Model-Agentur? Es gebe keine Regel, sagen sie. Im Fall Burberry habe Riccardo Tisci, der Chefdesigner der Marke, einige Saisons lang immer wieder angefragt, aber sie hätten nie Zeit gehabt, sagt Imhof. Dann kam Corona, und Imhofs große Ausstellung "Natures Mortes", geplant für den Herbst 2020 im Pariser Palais de Tokyo, wurde verschoben. Plötzlich hatten sie Zeit. Und so ein Künstlerstudio, wie Imhof in Berlin eines hat, muss ja beschäftigt werden. Und wenn Models, die sonst bei Schauen laufen, stattdessen für Kunstvideos gebucht werden, bezahlt von einer Marke, ist das ja auch schön, und gut fürs Konto.
Als Kind hatte sie dafür keine Worte
Als Balenciaga-Model hat Douglas derweil einen sensationellen Auftritt als digitale Jeanne D'Arc. In der jüngsten Schau des Labels - wegen Corona wird sie als Online-Computerspiel präsentiert - trägt sie eine komplette Ritterrüstung. Es ist ihr ikonischster Look bislang. Ob die Rüstung und das Schwert aus der Frauen- oder der Männerkollektion stammen? Die Frage erscheint im Jahr 2021 irgendwie absurd. "Ich kenne mich mit Modegeschichte nicht so gut aus", meint Douglas. "Wenn ich es richtig verstehe, gab es schon Designer, die einer Frau die Haare streng zurückgekämmt und sie in einen Anzug gesteckt haben. Das war quasi Crossdressing. Aber eine androgyne, maskuline Frau wie ich in Womenswear gab es vielleicht noch nicht so oft. Manchmal fände ich es noch cooler, häufiger in Männerschauen mitzulaufen. Aber vermutlich ist es progressiver, mich in Frauenlooks zu zeigen."
Anne Imhof bestätigt, dass es auch wenn Douglas in ihren Performances auftrete, um "die Präsenz eines starken weiblichen Charakters" gehe. Um eine gewisse Gender-Ambiguität und -Fluidität. Sie selbst sei als jungenhaftes Mädchen, das in einer kleinen Stadt aufwuchs und Mädchen liebte, extrem einsam gewesen. "Ich hatte damals keine Worte und keine Orte, um meine Wut, meine Wünsche, mein Anderssein zum Ausdruck zu bringen", sagt sie. Jetzt haben sie beide die Kunst, und die ist mächtig.