Inflatable Fashion:Ganz schön aufgeblasen

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Kussmund oder zusammengeknotete Luftballons? Die Sonnenbrille von Loewe lässt einiges an Interpretationsspielraum. (Foto: Loewe)

Anoraks und Sonnenbrillen, die wie Ballons aussehen, Taschen, die an Schwimmflügel erinnern: Die Mode hat gerade große Lust auf Luft.

Von Jan Kedves

Pffft! Dieses Geräusch hört man in der Mode gerade oft. Luftmassen zischen durch supervoluminöse Ballon-Anoraks und in aufgepumpte Plastikwesten hinein, und füllen pneumatisierte Michelin-Männchen-Looks. Handtaschen sehen aus wie Luftmatratzen oder Schwimmflügel, und Sonnenbrillen wie Gestelle aus halb aufgeblasenen, zusammengeknoteten Kondomen. Oder wie ein quietschender Hund aus Ballons, den man sich auf dem Jahrmarkt hat andrehen lassen. Wie es scheint, hat die Mode gerade richtig große Lust auf Luft.

Das ist einerseits hübsch, denn das Pffft lässt Formen entstehen, die wulstig und dabei doch elegant und leicht sind. Oft muss man jedoch zweimal hinsehen, um zu begreifen, dass es tatsächlich Mode ist - und nicht irgendetwas aus dem Auto (Airbag), dem Spielplatz (Hüpfburg) oder der Nautik (Hovercraft-Boot). Und so etwas soll man jetzt anziehen? Damit wäre man bei der Frage, wie ernst gemeint diese Entwürfe sind.

Was ist das? Diese Frage darf man sich durchaus stellen bei diesem Entwurf von Craig Green. (Foto: Craig Green)

Sehr ernst, für manche jedenfalls. So erklärte etwa der Londoner Designer Craig Green bei der Vorstellung seiner Männerkollektion für den Herbst/Winter 2022, seine Entwürfe seien von einem Foto inspiriert, das er gesehen habe: darauf ein Mann, der in einer eisernen Lunge lebte. Der Gedanke, bis zum Kopf in einem Beatmungsgerät gefangen zu sein und so am Leben gehalten zu werden, ist schrecklich, besonders in Zeiten, in denen die Corona-Pandemie die Angst vor Lungenversagen drastisch aktualisiert hat.

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Verdutztes Model in aufblasbarem Gästebett

Aber Craig Green übersetzt seine Inspiration in einen Look, der nicht nach Intensivstation aussieht, sondern nach großer Albernheit: Seine absurd skulpturalen Plastik-Overalls wirken, als hätte man ein aufblasbares Gästebett und eine Haartrockenhaube auseinandergeschnitten, aufgeklappt, übereinandergelegt, dann alles wieder versiegelt und vor dem Aufpumpen noch ein verdutztes Model reingesteckt. "Ich schätze, es geht um Lust und Ersticken, auf eine nette Art. Das schlägt wohl auch um in etwas Sexuelles", sagte der Designer, recht kryptisch, in einem Vogue-Interview.

Ein Plastik-Beatmungs-Fetisch-Outfit also! Das bringt, fast schon nebenbei, die wunderbare Eigenschaft von Luft zum Tragen: Obwohl durchsichtig und leicht verleiht sie trotzdem allen möglichen und unmöglichen Formen Halt und Stabilität - wenn man sie nur genug verdichtet. Luft kann sehr viel aushalten, sie kann als architektonischer Träger dienen und die Statik stützen.

Natürlich wird niemand mit so einem Entwurf allen Ernstes über die Straße laufen. Es ist nichts Neues, dass es in der Mode oft sogenannte Konzeptentwürfe gibt, deren Sinn es nicht ist, genauso in die Läden zu kommen. In ihnen verdichten sich auf übertriebene Weise all jene Ideen und Gedanken, mit denen der Designer sich während der Entwurfsphase beschäftigt hat. In den sozialen Medien laufen solche Konzept-Looks meist ausgezeichnet, sie sammeln Herzchen und Likes, werden zu viralen Hits. Sie sind die beste Werbung für andere Entwürfe, die wie eine weniger absurde Lightversion des Konzepts wirken und tatsächlich verkauft werden. Bei Craig Green sind dies, seit einigen Jahren schon, Synthetik-Anoraks. Die Rap-Stars Drake und Kendrick Lamar tragen sie, der Regisseur Steve McQueen ("12 Years a Slave") ist ebenfalls ein Fan. Die Jacken sind von oben bis unten in schmalen Streifen gesteppt und dick wattiert, sodass sie fast aufgepumpt aussehen, oder: als seien sie aus Fahrradschläuchen genäht.

In der Wintermode dominieren aufgepufferte Jacken seit Jahren

"Eigentlich dürfte aufblasbare Mode nur ein kurzlebiger Trend sein (...), aber die Wahrheit ist, dass sie schon seit einigen Jahren nichts an Aktualität einbüßt. In Hundejahren gerechnet sind das Jahrzehnte, und in Modejahren? Eine Ewigkeit." So schrieb es vor einigen Wochen das Magazin The Face in einem Essay unter der Überschrift "Why are we so obsessed with inflatable fashion?" (Warum sind wir so besessen von aufblasbarer Mode?). Die Besessenheit zeigt sich unter anderem auch darin, dass in der Wintermode schon seit Jahren immer fetter aufgepufferte Jacken und Mänteln dominieren. Inzwischen wirken sie eher wie tragbare Heißluftballons oder Zeppeline (wobei sie immer noch mit Daunen gefüllt sind).

Original-Plastikweste zum Aufblasen von Virgil Abloh für Louis Vuitton. In China wurde sie häufig nachgebastelt, etwa aus leeren Chipstüten. (Foto: Louis vuitton)

Sie zeigt sich auch darin, dass eine aufblasbare Plastikweste, die der Designer Virgil Abloh im vergangenen Jahr für Louis Vuitton entwarf (Preis: knapp 4000 Euro), in China für einen Hype sondergleichen sorgte. Sie war dort im Nu ausverkauft, und während chinesische Social-Media-Stars mit ihr herumstolzierten, bastelten sich andere die Weste selbst - aus normaler Luftpolsterfolie, wie man sie beim Auspacken von Paketlieferungen aus dem Karton zieht, oder aus leeren Chipstüten. Ob diese Menschen den Hype um die Weste so verspotten wollten, war nicht immer klar. Das Magazin Women's Wear Daily sammelte auf der chinesischen Social-Media-Plattform Xiaohongshu einige Stimmen ein: "Als jemand, der 1500 Yuan (etwa 212 Euro) im Monat verdient, lässt mich diese Weste den Sinn des Lebens infrage stellen", schrieb ein User. Und ein weiterer User fragte: "Hält die überhaupt warm?"

Man könnte nun so weit gehen, luftgefüllte Mode als Zeichen der Zeit zu lesen. Ein sehr teurer Gegenstand, der mit nichts gefüllt ist. Passt das nicht in eine Ökonomie, deren Werte bisweilen auch kaum greifbar erscheinen? Wirtschaftswissenschaftler warnen immer wieder vor dem Platzen der Blase. Und manch hoch gehandeltes Aktiendepot löst sich über Nacht in Luft auf. Vielleicht ist so eine Interpretation aber im wahrsten Sinne aufgebläht.

In der Sportswear hingegen ist die Luftpolsterung seit Jahrzehnten so selbstverständlich, dass man kaum noch darüber nachdenkt. Gerade im Luxussegment lebte man in den vergangenen Jahren gut davon, Impulse aus dieser Branche zu übernehmen. Nike verkauft seine Schuhe seit 1987 mit "Air"-Technologie, also mit eingekapselter Luft in der Sohle. Reebok konterte wenig später mit der "Pump"-Technik; mittels derer ließen sich zunächst die Zunge, später auch der Schaft eines Sneakers mit Luftpolstern füllen, um den Fuß noch passgenauer zu umschließen.

Viel Luft im Schuh: in der Sportswear nicht mehr wegzudenken

Seit einigen Jahren sind nun die "Boost"-Sohlen von Adidas der State of the Art in der Dämpfungstechnik. Sie bestehen aus expandiertem thermoplastischem Polyurethan, sprich: aus mit Luft aufgeschäumten Kunststoffpartikeln, die unter Zufuhr von heißem Dampf miteinander verschweißt werden. Das Hightech-Material sieht aus wie Styropor und ist auch fast so leicht. Es steckt unter anderem in den Sohlen der populären Yeezy-Sneakers. Deren Design ähnelt immer mehr den Luftkissen, auf denen Hovercraft-Boote unterwegs sind. Luft wird hier einerseits ganz funktional eingesetzt, sie optimiert die Technik, andererseits prägt sie auch die Ästhetik.

Anders gesagt: Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, immer so schön weich und luftgepolstert herumzulaufen, findet man es vielleicht auch irgendwann naheliegend, wenn das Tragegefühl auf andere Teile in der Garderobe - Westen, Sonnenbrillen, Handtaschen - übergreift und die auch immer aufgepumpter aussehen.

Zumindest sieht die rasend erfolgreiche "Padded Cassette"-Tasche von Bottega Veneta auch sehr aufgepumpt aus. Sie wurde 2019 erstmals vorgestellt und erweckt den Eindruck, als hätte man dem Künstler Erwin Wurm, der für seine wulstigen Skulpturen berühmt ist, die typische Intrecciato-Lederflechtung der Marke zur Bearbeitung überlassen. Und als hätte er die Lederriemen dann so zum Aufblähen gebracht, wie er es sonst in seiner Kunst macht.

Tasche, die an Schwimmflügel erinnert: "Le Splash" von Jacquemus für den Sommer 2022. (Foto: Jacquemus)

Auch der französische Designer Simon Porte Jacquemus wurstet auf. Er präsentierte kürzlich seine neue Sommerkollektion "Le Splash" auf einem Strandlaufsteg vor dem Südsee-Panorama Hawaiis. Mit dabei: Taschen, die aussehen wie halbierte Luftmatratzen, die man sich unter den Arm klemmt. Und: Taschen, die den Look prall aufgepumpter Schwimmärmel imitieren. Vielleicht kann man in sie ein bisschen Kleingeld, Sonnencreme und ein Handy reinstecken? Ganz ernst gemeint ist das sicher nicht, und richtig praktisch auch nicht. Aber: Es vermittelt große Lust auf Urlaub, Schnorcheln, Bikinistreifen.

Und dann ist da noch Jonathan Anderson. Der britische Designer setzt dem Trend, wenn man so will, die surreale Krone auf. Er steckt nämlich in seiner Loewe-Kollektion für die kommende Herbst-Winter-Saison Luftballons in die Schlitze von Kleidern oder klebt sie gleich als Absätze unter Pumps. Natürlich sind das keine echten Ballons, in der Kunst würde man es Trompe-l'œil nennen, das Erzeugen einer optischen Illusion. Fast will man mit der Nadel rangehen und schauen, was passiert. Jonathan Anderson sagt zu der Kollektion: "Ein Luftballon erzeugt Spannung. Er wird platzen." Und daran denkt man, wenn die Models auf den Luftballon-Absätzen herumtreten.

Macht es peng? Vermutlich nicht. Spannung erzeugt dieser Schuh von Jonathan Anderson dennoch. (Foto: Loewe)

"Peng" macht es dann doch nicht. Aber es ist eine schöne Erinnerung daran, dass irgendwann aus jedem Modetrend mal die Luft raus ist. Das Pffft ist sicher.

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