Mode:Hauptsache, ihr kauft!

PFW - Street Style

Ja, das ist eine Decke von Balenciaga, die furchtbar teuer ist. Aber es ist auch eine total ironische Decke, und das lieben Millennials.

(Foto: Marie-Paola Bertrand-Hillion/pa/dpa)

Junge Kunden werden für alte Luxuslabels immer wichtiger. Die Modebranche lässt sich deshalb einiges einfallen, um Millennials zu erreichen. Aber geben sie ihr Geld überhaupt noch für teure neue Klamotten aus?

Von Jan Kedves

Man hört, dass es in New York diesen Laden gibt, Procell Vintage heißt er, in dem junge Menschen für gebrauchte alte T-Shirts vierstellige Summen ausgeben. Vierstellig! Es sind simple Baumwollshirts, wie Popstars sie in den Neunzigern massenhaft als Tour-Merchandise verkauft haben, Janet Jackson, Snoop Dogg.

Die aufgedruckten Konterfeis sind ganz brüchig vom vielen Tragen, und je brüchiger, desto besser, also teurer. Luxus ist hier die Geschichte, deren Teil man rückwirkend werden kann, wenn man das nötige Geld dazu hat. Luxus ist hier nicht: Ich kaufe mir die It-Bag aus der aktuellen Kollektion. Und das muss man erst mal verstehen.

Die junge, unberechenbare Kundschaft ist für die Luxusindustrie Schreckgespenst und Hoffnungsträger in einem. Das große Rätsel nämlich ist, ob junge Menschen in Zukunft ihr Geld noch in teure neue Klamotten und Schuhe und Taschen investieren werden oder ob ihnen Smartphones, Yoga-Retreats und Social-Media-Trainings nicht wichtiger sein werden.

Das war bereits der Trend in den vergangenen Jahren: große Zuwächse im Technik-Sektor und in der sogenannten Erlebnisindustrie, also Reisen, Sport und Abenteuer jeder Art. Bei den Luxusprodukten und der Mode gab es dagegen nur noch moderate Steigerung oder Stagnation, teilweise sogar dramatische Umsatzverluste: minus 30 Prozent beim ältesten französischen Modehaus Lanvin in 2017, zehn Prozent weniger bei der Prada-Gruppe in 2016.

Sicher ist, dass die Millennials - gemeint sind alle, die zwischen 1980 und 2010 geboren wurden - im Jahr 2025 fast die Hälfte der potenziellen Luxuskunden ausmachen werden, nämlich 45 Prozent. Errechnet haben das die Unternehmensberater von Bain & Company. Zum Vergleich: 2016 kamen noch 73 Prozent des Luxusumsatzes von älteren Semestern.

Die Industrie ist also alarmiert und versucht, sich für die Verschiebung fit zu machen. Währenddessen senden die Adressierten ziemlich verwirrende Signale. Sie kaufen schon noch, ja, aber was und wo kaufen sie denn? Haben sie womöglich ein vollständig gewandeltes Verständnis von Luxus?

"Ich bin ein Kultur-Bewahrer, kein Kultur-Aasgeier", sagt Brian Procell, 34, der Inhaber des New Yorker T-Shirt-Ladens. Er trägt sein Sortiment rund um die Uhr auf Flohmärkten, auf Ebay, in Kellern und Second-Hand-Läden zusammen. Dass die Sehnsucht nach Historie kostet, das war in der Mode schon immer so, aber meist durfte man dabei noch annehmen, dass auch das Material etwas Besonderes ist. Darum geht es hier gar nicht mehr. Luxus muss man es aber nennen, wenn jemand tausend Dollar für ein T-Shirt ausgibt.

Helmut-Lang-Jeans oder Margiela-Schuhe aus einer anderen Zeit

Ebenfalls am Florieren sind derzeit Online-Shops, die mit Originalteilen aus den mythisch verklärten Blütezeiten der Mode handeln, etwa Byronesque.com. Hier werden Helmut-Lang-Jeans oder Margiela-Schuhe aus jenen Modeepochen angeboten, als Helmut Lang und Martin Margiela noch selbst Eigner ihrer Unternehmen waren, als Helmut Lang also noch wirklich Helmut Lang und Margiela noch wirklich Margiela war.

Die Kundschaft ist jung und hip, der Byronesque-Slogan "Reduce your footprint with clothes from better days" ist genial, denn er spricht nicht nur das ökologische Bewusstsein der Millennials an, sondern macht auch gleich noch die aktuelle Mode ein bisschen runter.

Die Haltung dahinter geht ungefähr so: Wir zahlen für Vintage aus Zeiten, bevor die Investoren und die Konglomerate mit ihrem Geld und ihren Gewinnerwartungen um die Ecke kamen, gerne das Doppelte oder Dreifache des ursprünglichen Preises, denn Vintage spart Ressourcen, außerdem ist die Mode von heute ja sowieso nur noch ein Witz. Sollte sich dieses Verständnis von Luxus im Bewusstsein der nachwachsenden Kundschaft festsetzen, wäre die Luxusindustrie am Ende.

Kreativ am Ende ist sie derweil jetzt schon, zumindest mit ihrer bisherigen Strategie der Markenkollaboration. Angestaubte Luxusmarke Muh tut sich mit hippem Sportswear-Label Miau zusammen, um die junge Zielgruppe anzusprechen und, hoffentlich, über die Kollaboration hinaus an sich zu binden. Das Modell schien in den vergangenen Jahren bestens zu laufen. Marc Jacobs x Vans, Missoni x Converse, und so weiter: Das "x" indizierte verlässlich die Hype-Maximierung, die solche Kollaborationen brachten, denn irgendwie fand man es anscheinend total verrückt, dass solch unterschiedliche Marken etwas aneinander finden können.

Inzwischen hat die Strategie - nicht zuletzt aufgrund der diesjährigen Kollaboration zwischen Louis Vuitton und dem New Yorker Skater-Label Supreme - ihren Zenit überschritten. Auch wird immer deutlicher, dass eben nie beide Partner gleich gestärkt aus so einer Kollaboration herausgehen, ja, die Luxusmarke sieht danach sogar manchmal älter aus als vorher.

Supreme kann heute damit prahlen, die wertvollste Marke der Welt, die sich immer gegen Kollaborationen gesperrt hatte, "geknackt" zu haben. Neue Supreme-Kollaborationen mit Stone Island und der Künstlerin Cindy Sherman sind längst angekündigt. Bei Louis Vuitton darf man sich jetzt überlegen, wie man weitermachen will. Einen hipperen Partner als Supreme wird man jedenfalls nicht so schnell finden.

Vollends verzweifelt wirkt vor diesem Hintergrund die Kollaboration zwischen der strauchelnden britischen Marke Burberry und dem russischen Designer Gosha Rubchinskiy. Sie kommt im Januar in die Läden. Wer hier wen nötig hat, ist ganz klar: Rubchinskiy kollaborierte zuvor schon mit Hinz und Kunz - Reebok, Adidas, Kappa, Sergio Tacchini, Levi's -, allerdings hat er es bislang geschafft, den Eindruck der Beliebigkeit zu vermeiden.

Im Zentrum seiner bei Teenagern beliebten Ästhetik steht nämlich ein ganz bestimmtes Bild von Adoleszenz im Russland der Neunziger - da scheint es nur logisch, wenn er die Original-Referenzen und fetischisierten Marken von damals abhakt, eine nach der anderen. Bei Burberry hingegen wollte man den jungen, etwas rüpelhaften Teenager als Kunden eigentlich dringend loswerden. Das ist jetzt erst mal gegessen.

Gucci hat jetzt einen eigenen Millennial-Rat

Wenn Markenkollaborationen also allzu durchschaubar geworden sind - wie sollen jüngere Märkte dann an den Luxus rangelockt werden? Es gibt einige interessante Ansätze. Zum Beispiel Helmut Lang: Bei der Marke, die Auffrischung und Verjüngung dringend nötig hat, versucht man neuerdings, die Kunden von zwei Seiten gleichzeitig in die Zange zu nehmen. Zum einen legt die japanische Link Theory Holding, der Helmut Lang seit 2006 gehört, die Klassiker aus dem Archiv eins zu eins wieder neu auf. In Vintage-Shops wie Byronesque werden die Sachen für viel Geld gehandelt, und dieses Geschäft macht man dann doch lieber selbst.

Zum anderen wurde vor Kurzem keine neue Chefdesignerin ernannt, sondern eine neue "Editor in Residence" - eine Marken-Chefredakteurin sozusagen, die laut Pressemitteilung einen "Fokus darauf legen wird, das digitale Profil der Marke aufzupolieren". Sie heißt Isabella Burley, kommt vom Londoner Trend-Magazin Dazed, das im Netz extrem erfolgreich ist, und ist 26 Jahre alt.

Eine von Burleys ersten Amtshandlungen bei Helmut Lang war es, den New Yorker Designer Shayne Oliver einzuladen, dabei aber jegliche Terminologie, die an das schal gewordene Konzept der einmaligen Markenkollaboration erinnern könnte, zu vermeiden. Kein "x", kein: "Huch, wie ungewöhnlich, dass wir zusammengefunden haben!" Der 29-jährige Oliver wurde in den vergangenen Jahren mit seinem Label Hood By Air zum Liebling der urbanen Hip-Hop-Fashionistas. Er nennt sich bei Helmut Lang nun "Designer in Residence", seine erste Kollektion für Frauen und Männer, präsentiert im September bei der New Yorker Fashion Week, wurde positiv besprochen.

Ob sein Engagement von Dauer sein wird, scheint Isabella Burley vorerst bewusst im Unklaren lassen zu wollen, es soll ja spannend bleiben. Gleichzeitig betont Oliver in Interviews, wie wichtig Helmut Lang schon immer für ihn gewesen sei. Tatsächlich hat seine erste Kollektion gar nichts Beliebiges, er arbeitet raffiniert mit Elementen, die man aus den ikonischen Helmut-Lang-Kollektionen der Neunzigerjahre noch kennt. Pflege der Originale einerseits, Neuinterpretationen von einem Star der Millennials andererseits: Das Konzept könnte Schule machen. Wie es in den Läden ankommt, muss sich noch zeigen.

Harte Zahlen gibt es dagegen bei Gucci, der Luxus-Marke, die derzeit am erfolgreichsten die Jungen erreicht. In den vergangenen zwei Jahren - sprich: seit Alessandro Michele zum Chefdesigner ernannt wurde - ist der Anteil der Millennials unter den Gucci-Kunden auf mehr als 50 Prozent gestiegen, ein Zuwachs von 40 Prozent. Und enorm profitabel: Im dritten Quartal 2017 verzeichnete Gucci 49 Prozent mehr Umsatz als im Vergleichs-Quartal des Vorjahres.

Die Jungen geben also durchaus Geld aus. Was Alessandro Michele alles richtig macht, wie er es schafft, die irgendwann eher tantig gewordene Ästhetik der Marke in ein neues, unbeschwertes Fantasy-Paradies zu überführen, das ist schon eingehend beschrieben und analysiert worden. Interessant ist, dass vor einigen Wochen bei einem vom Branchenmagazin Women's Wear Daily organisierten CEO-Kongress in New York Marco Bizzarri, der Geschäftsführer von Gucci bei der Kering-Gruppe, einen Blick hinter die Kulissen erlaubte.

So weiß man nun, dass Bizzarri eine Art Schattenkabinett aus unter 30-Jährigen um sich installiert hat, mit denen er all das noch einmal bespricht, was er in den Chef-Meetings bei Kering mit wesentlich älteren Managern schon besprochen hat. Er holt sich bei den Jungen eine zweite Meinung, lässt sich Ideen liefern.

Zum Beispiel, so erzählte Bizzarri, habe sein Millennial-Rat kritisiert, dass beim Zuschnitt des Leders für Gucci-Taschen zu viel Material verschwendet werde. Gucci wendet jetzt einen anderen Prozess an, bei dem weniger Reste abfallen. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Kering spart Geld bei der Produktion und kann außerdem vermelden, dass die Millennials bei Gucci nicht nur Kunden sind, sondern dass ihre Anliegen auch ernst genommen werden - und die Marke dadurch grüner wird.

Das lässt sich kaum toppen. Wobei es innerhalb der Kering-Gruppe auch noch diesen anderen Designer gibt, der den Millennials mit Präzision den Puls fühlt: Demna Gvasalia. Seit der georgisch-deutsche Designer für die Kollektionen bei Balenciaga verantwortlich ist, geht die Marke bei jungen Leuten durch die Decke. Im "Lyst Index", herausgegeben von der Such-Plattform Lyst und dem Branchendienst Business of Fashion, hat Balenciaga gerade sogar Gucci als "Hottest Brand in Fashion" abgelöst - was wenig über die Umsätze aussagt, umso mehr aber darüber, wie häufig die Marke im Netz gesucht, diskutiert, geteilt wird.

Die junge Kundschaft liebt den Witz und findet ihn bei Balenciaga

Was lässt sich aus den Kollektionen des 36-jährigen Gvasalia lernen? Dass zu viel Ehrfurcht vor dem Erbe eines Traditionslabels nicht ratsam ist. Cristóbal Balenciaga würde sich jedenfalls im Grab umdrehen, könnte er den 650 Euro teuren Balenciaga-Schuh Triple-S sehen, mit denen seit einigen Monaten tatsächlich viele Millennials herumlaufen - er sieht aus, als sei man mit einem potthässlichen Turnschuh in einen zweiten potthässlichen Turnschuh reingetreten, und dann noch mal in einen dritten. So fett und verwulstet ist die Sohle.

Die Millennials lieben es, und sie lieben den Witz, mit dem Gvasalia auf die Brust eines Balenciaga-Kapuzenpullis das Logo der Konzernmutter Kering druckt. Das gab es in der Mode noch nie. Es ist, als würde auf dem Etikett der guten Flasche Valser-Wasser plötzlich "Coca-Cola AG" stehen oder als prange auf dem Bentley-Coupé für 200 000 Euro auf einmal das Volkswagen-Logo.

Die Offenlegung der häufig im Hintergrund bleibenden Konzernstruktur gehört zum zynischen Realismus, der Gvasalia von der Modepresse gerne zugeschrieben wird. Er trifft den Humor der Jugend, aber das Spiel, das Gvasalia spielt - beziehungsweise das der Kering-Konzern Gvasalia mit Balenciaga spielen lässt - ist auch nicht ganz ungefährlich.

Denn was bleibt von Balenciaga, wenn von der Linie des Gründers kaum noch etwas zu erkennen ist und das Logo überschrieben wird? Der Markenkern könnte aushöhlen, bis zur Implosion. Wer dann lacht: im Zweifel die Jungen.

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