Süddeutsche Zeitung

Mode in der Gastronomie:Catwalk zur Küche

Früher sollte das Personal bei Tisch vor allem unauffällig sein. Neuerdings lassen Restaurants ihre Mitarbeiter von Designern in Szene setzen.

Von Claudia Fromme

Ein Besuch im Tantris ist immer auch ein Hochamt. Weihevoll wird im retrofuturistischen Interieur Gang für Gang serviert. Signaturgerichte wie Lauchpüree mit Kaviar und Nussbutter erreichen den Tisch, lauwarmes Filet vom Huchen mit Holunderblütenfond. Großes Oh, großes Ah.

Im Verlauf des Menüs werden dann oft mit ähnlich viel Verve die Damentoiletten erwähnt. Und bisweilen zückt eine Frau am Tisch ihr Handy, um die eilends fotografierte Bedürfnisanstalt auch den Herren zugänglich zu machen. Großes Oh, großes Ah.

Es klingt schräg, dass die Toilette ähnlich viel Freude entfachen kann wie das Essen hier. Aber beides gehört zur DNA des Münchner Restaurants: das Zwei-Sterne-Menü - und die Waschräume mit dem irren Blumenvorhang aus den Siebzigern.

Und so kommt es, dass der Vorhang neuerdings eine prägende Rolle bei der Kellnerkleidung im Tantris einnimmt. Talbot Runhof hat sie designt, das Münchner Atelier, das auch in Paris zeigt. Und so läuft das Personal seit einem halben Jahr in schwingenden Kreationen, die bedruckt sind mit dem Klatschmohnvorhangmuster, der Print findet sich flächig oder als Bordüre auf Kleidern, auf Hemden und Blusen. Dazu tragen sie hier schwarze Hosen oder Röcke mit roten Paspeln. Schwere Tabletts werden mit einer Jeansschürze mit Lederriemen getragen. Es gibt Strickfliegen und Krawatten, die das Orange der Wandteppiche spiegeln. Und es gibt Sneaker in der Farbe, auf denen hinten "Affendurst" oder "Bärenhunger" steht, wie an der Yin-Yang-Wand im Lokal.

Es soll Gäste gegeben haben, die mussten sich sehr schnell setzen, als sie die neue Dienstkleidung der Kellner gesehen haben, vor allem die Turnschuhe. Da sucht man sich mühsam einen Ort der Distinktion - und wird dort mit den Insignien des Plebs konfrontiert. Tatsächlich überrascht die Blumeninvasion im Restaurant auf den ersten Blick, fast erwartet man, dass gleich das Licht gedimmt wird und alle ein wenig groovy tanzen. Andererseits: War das Tantris nicht immer schon ein verrückter Laden?

In der Mode, im Design, in der Küche ist Heritage seit einiger Zeit ein großes Ding, und so wundert es nicht, dass auch Restaurants sich intensiver mit ihrem Erbe befassen und auf das schauen, was die Kellner tragen. Das Outfit als Visitenkarte, darum geht es jetzt auch in der stets um Einzigartigkeit bemühten Spitzenküche. Der generische dunkle Anzug hat als heilig ernster Botschafter ausgedient, der Gast ist schließlich nicht gekommen, um ein Schließfach in einer Züricher Bank zu eröffnen.

Die Uniformen für den Bayerischen Hof erinnern an Bademäntel

"Ich fand unsere Mitarbeiter verkleidet in ihren strengen Uniformen", sagt Sabine Eichbauer. Die Juniorchefin des Tantris findet, der neue Dress werte die Persönlichkeit der Mitarbeiter auf. Bei jedem wird im Atelier von Talbot Runhof Maß genommen, jede und jeder kann aus bis zu fünf Outfits wählen - muss aber nicht, wenn es einem partout nicht gefällt. Und doch sieht man fast durchweg den neuen Look, auch bei älteren Kellnern, die aber lieber schlichte schwarze Schuhe statt Sneaker tragen.

Das Tantris mit seiner Architektur der Siebziger steht unter Denkmalschutz, und lange galt dies auch für das Bild des Kellners in der gehobenen Gastronomie. Er hatte dezent zu sein, im Auftreten und Aussehen. Nichts sollte vom Essen ablenken, das war der Star - natürlich direkt nach dem Gast, den kein Kellner mit zu kühner Mode übertrumpfen sollte. Ein Ego gestand man noch dem Sommelier zu, dem Restaurantleiter, aber sicher nicht dem Auszubildenden im ersten Lehrjahr. Konnte man früher die Commis oft daran erkennen, dass sie Westen trugen und die Chefkellner Jacketts, fällt vielerorts die Ästhetik der Rangordnung. Im Büro werden Hierarchien weniger wichtig, im Gourmetrestaurant sitzen Gäste im T-Shirt, wieso sollte da die Kellnerbrigade mit feierlichem Ernst die alte Ordnung zelebrieren? Und sicher spielt es eine Rolle, dass Lokale dringend Personal suchen. Eine Maßanfertigung aus dem Designatelier drückt Wertschätzung aus.

"Mich hat immer gewundert, dass Kellnerkleidung so oft wirkt, als hätte sie mit dem Restaurant nichts zu tun, als wären das getrennte Dinge", sagt Morten Thuesen. Der Däne hat sich mit der italienischen Designerin Letizia Caramia auf Berufskleidung für Restaurants und Hotels spezialisiert. Früher arbeiteten sie für Isabel Marant und Alexander McQueen, heute betreiben sie das Atelier "Older" in Paris. Sie gelten als Shootingstars einer jungen Fine-Dining-Szene. Den breiten Markt bestimmen dagegen weiter die Hersteller von Berufsbekleidung, die schnell und günstig Gastropersonal in aller Welt uniformieren.

"Die Modeindustrie war uns zu schnell", sagt Thuesen, Berufskleidung aber lege man nicht nach sechs Monaten ab, weil eine neue Kollektion komme. "Die muss in Würde altern, die muss nachhaltig sein." Er verwende heute genauso viel Liebe zum Detail auf einen Kellnerdress wie früher auf ein Abendkleid. Mit dem Ethos verwundert es nicht, dass ihr erster Kunde vor fünf Jahren der Noma-Ableger "108" war. Schließlich wird auch in dem Kopenhagener Spitzenrestaurant die unbedingte Liebe zum Detail gepredigt. "Older Paris" designte Trägerschürzen und Hemden mit kragenlosem Opahemd aus schwerer Baumwolle für das Lokal. Ein wenig soll das wohl aussehen, als hätte der Kellner den Fisch selbst vom Kutter geholt, nach Handwerk, nicht nach Erstkommunion wie anderswo. So fand nicht nur die New Nordic Cuisine ihren Weg in die Welt, sondern auch ihr Style. Die nordische Schürze ist inzwischen omnipräsent, und natürlich sieht man sie auch im hippen Berliner "Ernst" von Dylan Watson-Brawn.

Die beiden Designer aus Paris statten auch das mit der Noma-Gruppe verbundene "Barr" in Kopenhagen aus, das "Aska" von Sternekoch Fredrik Berselius in Brooklyn, das "Les Grands Verres" im Palais de Tokyo in Paris. Schürzen und schlichte Hemden fast überall, aber immer in Farbe und Struktur des Lokals. "Wir verlängern die Schönheit eines Gebäudes mit unseren Uniformen", lautet Thuesens Credo. "Kellner sind für uns bewegliche Architektur." Er trifft sich oft schon vor Baubeginn eines Restaurants mit den Architekten, um Ideen für seine Kollektion zu bekommen.

Der große Unterschied zwischen Abendkleid und Kellneroutfit ist natürlich, dass man in einer Robe keine zehn Stunden am Stück Tabletts mit Essen über Kilometer Restaurantflor trägt. Der Schnitt darf nicht zu eng und muss funktional sein, der Stoff waschbar und scheuerfest, Kleider brauchen Taschen. "Den größten Teil unserer Arbeit legen wir in den Stoff", sagt Designer Thuesen. Sie tüfteln an atmungsaktiven Materialien, die Wasser und Schmutz abweisen, damit nicht jeder Soßenfleck direkt in die Umkleide führt. Und nachhaltig soll alles sein. So landen die Designer auch mal in einer isländischen Fischfabrik und nehmen die Fischhaut, die auf dem Müll landet, als Grundlage für eine Kollektion.

Man kann das übertourt finden, aber die Idee des Kellners als einzigartige mobile Architektur hat etwas. Im Tantris gibt es eine ästhetische Interaktion der Kellner mit dem Gebäude und dem Interieur, die nur dort funktioniert. Würde man Blumenkleider und Paspelhosen in einer neu aufgemachten Hipsterbude tragen, wäre das blutleer. Ist der Reiz des Waschraumvorhangs, des ganzen psychedelischen Interieurs nicht der, dass seit der Eröffnung 1971 Gast um Gast schon davon erzählt hat?

"Kellner sind für uns bewegliche Architektur", sagt der Designer Morten Thuesen

Manche blicken auf eine lange Tradition - und schaffen sich trotzdem eine neue DNA. Der Bayerische Hof in München zum Beispiel durfte sich mit der Berufung von Küchenstar Jan Hartwig gerade neu erfinden. Nötig dafür war ein glückliches Händchen und sehr viel eigene Handschrift, und die findet sich auch im Interieur, das der belgische Kunsthändler Axel Vervoordt im Stil eines Ateliers gestaltete, mit Holztischen, Leinenstrukturen, grob verputzten Wänden. Der Service trägt Design von Dries Van Noten, einen knielangen Mantel in grau oder korallenrot mit Schalkragen. Eine Reminiszenz an den Kittel des Malers im Atelier, die allerdings gefährlich nah am Bademantel vorbeischrammt.

Individualität und Identität auf allen Ebenen lautet das neue Mantra. Der Gast wird damit leben müssen, dass im Spitzenrestaurant heute Typen an den Tisch kommen, nicht willfährige Diener. Und nicht allen Gästen schmeckt das. Im Tantris ist der Shitstorm langsam durch. Manche bei Facebook fanden die Inspiration aus den Waschräumen eine "Inkarnation der Peinlichkeit" oder "geschmacklos", die Turnschuhe wurden mit Spott überzogen. Für manche im Service war das ungewohnt, auf einmal so im Zentrum des Interesses zu stehen.

Ruhe ist ein halbes Jahr nach dem Kostümwechsel noch nicht eingekehrt. Das hat aber weniger mit den Kommentaren in den sozialen Netzwerken zu tun, als mit den vielen Anfragen an Sabine Eichbauer. Ob man die Kleider nicht doch irgendwo kaufen könne, werde sie immer wieder gefragt. Geht nicht, sagt die Juniorchefin, die Kollektion ist exklusiv - für das Personal.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2019/pvn
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