Mode für Kleinwüchsige:"Viele wünschen sich einfach nur eine Hose, die wirklich passt"
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Sema Gedik studiert Modedesign und hat vor drei Jahren das Projekt "Auf Augenhöhe" ins Leben gerufen. Sie designt nicht nur Kleidung, sondern arbeitet auch an der weltweit ersten Konfektionstabelle für Kleinwüchsige. Im vergangenen Jahr konnte die 25-Jährige ihre erste Kollektion auf der Berlin Fashion Week präsentieren. Im kommenden Jahr soll ihr Online-Shop eröffnet werden.
Interview: Nadine Funck
SZ: Wann haben Sie angefangen, sich für Kleinwüchsige und ihre Kleidung zu interessieren?
Sema Gedik: Während meiner Auslandssemester in Amsterdam und Istanbul habe ich begonnen, mich auf Mode für Menschen zu fokussieren, deren Konfektionsgrößen außerhalb der Norm liegen. Das hat auch mit meiner kleinwüchsigen Cousine Funda zu tun, die in der Türkei lebt. Sie ist sehr modebewusst, hatte aber immer schon Probleme damit, körpergerechte Kleidung zu finden. Bei meinen Recherchen habe ich außerdem festgestellt, dass es kein einziges Label in Deutschland gibt, das Mode für Kleinwüchsige herstellt.
Wie kleiden sich Kleinwüchsige?
Sie gehen einkaufen, wie alle anderen auch - nur, dass die Kleidung, die sie kaufen, nicht passt und immer von einem Schneider geändert werden muss.
Eine Möglichkeit wäre doch, sich in der Kinderabteilung zu bedienen.
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Es funktioniert nämlich nicht, weil zwar die Körpergröße übereinstimmt, nicht aber die Körperproportion. Davon abgesehen, dass kein Erwachsener in der Kinderabteilung Kleidung kaufen möchte.
Was ist die Herausforderung beim Schneidern von Mode für Kleinwüchsige?
Kleider schneidern reicht nicht. Ich würde das Problem nicht lösen, wenn ich den Kleinwüchsigen das anbieten würde. Einige gehen ja schon zum Schneider, um ihre Kleider verändern zu lassen - sie haben keine andere Wahl. Das Problem ist viel grundlegender: Man muss erst einmal eine internationale Konfektionstabelle schaffen, anhand dieser dann später passformgerechte Kleidung für diese Menschen weltweit und einheitlich angefertigt werden kann.
Man bräuchte also spezielle Kleidergrößen für Kleinwüchsige, so wie es zum Beispiel eine Tabelle für sehr große und sehr kleine Männer gibt?
Ja, so ungefähr. Man bräuchte Kleidergrößen für Kleinwüchsige, die sich nach der Körpergröße und nach den Körperproportionen richten. Ich habe mich zunächst mit den häufigsten Kleinwuchsformen beschäftigt, nämlich "Achondroplasie" und "Hypochondroplasie". Bei Achondroplasie sind die kurzen Arme und Beine zu beachten, außerdem können Hüftgelenke und Ellbogen nicht ganz gestreckt werden, auch das ist bei der Schnittkonstruktion wichtig. Bei der Hypochondroplasie sind die Proportionen ähnlich, allerdings ist hier die Verschiebung der Körperproportion weniger ausgeprägt. Außerdem unterscheiden sich die beiden Formen in der Körpergröße. Schwierig ist aber, dass man nirgendwo Recherchen anstellen kann. Abgesehen von medizinischen Analysen gibt es keine Daten, auf die man zurückgreifen kann. Das musste ich mir alles selbst erarbeiten.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich habe bislang etwa 400 Vermessungen in verschiedenen Ländern gemacht, die ich in einer Excel-Tabelle erfasse. Anhand des Durchschnitts der Maße versuche ich nun, Konfektionsgrößen zu finden. Die Konfektionstabelle soll mir helfen, die Schnitte anzufertigen.
Wie sieht Ihre Mode aus?
Meine Mode soll minimalistisch sein, aber bisher stehen nicht die Designs im Vordergrund, sondern die Funktion. Viele Kleinwüchsige, das habe ich in Gesprächen und mithilfe meiner Fragebogen-Analysen festgestellt, wollen einfach nur eine Hose haben, die ihnen wirklich passt.
Funktion vor Design. In der Modebranche ist das ja eher unüblich.
Die Modebranche ist oft sehr oberflächlich. Meistens geht es nur um die Designer und ihre Selbstdarstellung. Darum, was sie mögen und was sie inspiriert. Es ist das Ästhetik-Empfinden eines Einzelnen, das von der Gesellschaft angenommen werden soll. Bei meinem Projekt geht es nicht um mich, sondern darum, das Grundbedürfnis eines Teils unserer Gesellschaft zu befriedigen. Deshalb arbeitete ich erst mal an Basic-Teilen, die extravaganteren Sachen sollen später dazukommen. Dafür sammele ich schon sehr lange Ideen, die ich von den Kleinwüchsigen bekomme.
Inzwischen haben Sie ein ganzes Team, das Ihnen bei dem Projekt hilft. Die meisten von ihnen sind selbst kleinwüchsig. Was bedeutet das Projekt für sie?
Es ist für sie eine Möglichkeit, um für Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen. Und natürlich besteht die Hoffnung, dass kleinwüchsige Menschen bald keine Probleme mehr haben werden, passende Kleidung zu finden. Einige von ihnen haben gemerkt, woran sie wirklich Freude haben. Einer aus meinem Team, der bei vielen Fotoshootings dabei war, fand es spannend, vor der Kamera zu stehen. Inzwischen besucht er eine Schauspielschule.
Wie geht es jetzt weiter?
In zwei Wochen komme ich zurück aus Chile, wo ich ein halbes Jahr Mode studiert habe. Dann wartet viel Arbeit auf mich: Konfektionstabelle fertigstellen, Schnittkonstruktionen anfertigen, die Website und den Online-Shop zum Laufen bringen. Danach will ich beim nächsten Jahrestreffen des Kleinwuchsverbandes in Deutschland meine Prototypen testen. Wenn dann alles funktioniert, kann ich im kommenden Jahr hoffentlich die ersten Stücke verkaufen.