Süddeutsche Zeitung

Mode für den Strandurlaub:Perfekt gestrandet

Sommerzeit ist Urlaubszeit. Neben Quallen, Seeigeln und Sonnenstichen ist die Gefahr am Mittelmeerstrand aber vor allem der Ausspannende selbst - genauer gesagt: sein Kleidungsstil. Etikette für Büroangestellte in Badeoutfits.

Von Julia Werner

Einmal im Jahr fährt der Mitteleuropäer zur Belohnung für die ganze Schufterei an den Strand. Keine Umgebung ist für ihn unnatürlicher: Der Sand brennt unter den zarten, weil sonst so gut besockten Füßen, das Salz juckt auf der mozzarellaweißen Haut. Und die bereits seit April vorbräunenden Südländer zerren zweifach an gestressten Teutonen-Nerven. Dieses Chaos aus Kindern, zuckrigen Snacks und gockelhaftem Auf- und Abgelaufe! Noch viel demütigender ist allerdings ihr Look. Warum sind Italiener, Franzosen, Griechen am Strand so schön ? Ganz einfach: Weil sie wissen, dass Quallen und Seeigel-Stacheln in der Ferse das kleinste Problem sind.

Die Bikini-Schlacht

Jedes Jahr wird der Badeanzug als Trend ausgerufen. Das ist eine Lüge: Frauen lieben Bikinis und satteln erst mit 80 zähneknirschend auf den Einteiler um. Aber welchen Bikini trägt man jetzt? Eigentlich gibt es da keine Regeln, die Wahrheit kommt in ihm sowieso ans Licht. Wer an Naturstränden badet, kann sich also locker machen. Nur in poshen Strandclubs gelten andere Regeln. Hier ist sogar das Kleidungsstück der Freiheit Statussymbol. Der Star unter den Bikinis: jedes Modell von Eres, dem Lingerie-Label, das zur Chanel-Gruppe gehört. In den mitverkauften bunten Plastiktaschen transportieren Jetset-Profis ihre Sonnencreme, und alle anderen wissen wegen der Farbe ganz genau, aus welcher Saison der Bikini stammt. Seit letztem Jahr auch wohlwollend beäugt: Modelle von Lisa Marie Fernandez im athletischen Look aus Neopren oder Seersucker.

Die Badehosen-Exzentrik

Nun zu den Herren: Wer glaubt, am Strand mal so richtig die eigene crazy Persönlichkeit ausleben zu können, liegt vollkommen richtig! Aber bitte nur untenrum. Die Badehose darf er mit der Gehirnhälfte aussuchen, die er im wahren Leben nicht gebrauchen kann: mit der emotionsgesteuerten. Nein, Slips sind trotzdem nicht erlaubt, genauso wenig wie Surfer-Shorts. Die gesellschaftlich akzeptierte Badehosenlänge sind mittellange Boxer-Shorts. Dafür darf sich darauf alles tummeln, was auf Krawatten und Hemden sonst verboten ist: Dackel, rosafarbene Hummer, Aloha-Blumen, Woody Woodpecker und alle sonstigen Helden aus der Kindheit. Empfehlenswerte Adressen für den Badehosenkauf: Vilebrequin (haben auch Doppelgänger-Shorts für den kleinen Sohn) und Orlebar Brown.

Die Polohemd-Panne

Ziehe ich mein bonbonfarbenes Polohemd an, bin ich Dolce-Vita-mäßig angezogen, denkt sich der Mitteleuropäer und wundert sich zehn Minuten später, dass ihm der dicke Baumwollstoff am Rücken klebt wie ein nicht abzuschüttelnder Lemur. Schlaffe T-Shirts sind auch keine Lösung: In Kombination mit (Bade)-Shorts, fehlender Sonnenbräune und der vernachlässigten Brustmuskulatur sehen sie aus, als hätte man den Mann trotz Magen-Darm-Virus aus dem Bett gezogen. Man könnte das auch Casual Gap nennen: der schockierende Coolness-Abfall, wenn der Lufthansa-Pilot aus der Uniform in seinen Wochenend-Look steigt. Wie wäre es also mit dem guten alten weißen Hemd, aus Baumwolle oder aus Leinen. Das erinnert entfernt an die gewohnte Büro-Würde - Ärmel hochkrempeln, die obersten Knöpfe offen lassen, fertig ist der erwachsene Mann auf dem Weg zur Strandbar.

Das Kaftan-Kartell

Der Strand ist ein exotischer Ort. Gaukler und Händler kommen vorbei, erzählen Geschichten von fernen Ländern und wollen Strandklamotten verticken. Mit nichts lässt sich der sonnige Spirit eines Lidos besser vermiesen, als wenn man ihnen die kalte Schulter zeigt. Warum denn nicht in einem Berg feuchter Strandkaftane wühlen und den Gatten eine halbe Stunde feilschen lassen? So hat er auch länger was von seinem neuen Donna Leon! Er sollte allerdings bewacht werden, sonst steht die Partnerin schnell mit einem Prada-Fake da. Und er freut sich diebisch, dass er jetzt nicht mehr in das Original investieren muss. In diesem Jahr sollte man nach sehr weiten, luftigen Hosen suchen. Sie sind die neuen beach cover-ups und lösen damit den Kaftan ab, der seinerseits das bodenlange Strandkleid verdrängte, das Frauen mit Hang zum Cowboyhut leider immer noch tragen.

Die Brandblasen-Bredouille

Im Urlaub möchte der Mitteleuropäer sein Bonvivant-Talent beweisen: Frauen mit golden glänzenden, gebundenen Capri-Sandalen, und Männer mit Playboy-Loafers, die bei den Italienern immer so gut aussehen. Beides ist löblich und besser als High Heels oder Männersandalen, führt aber, wenn der Sand glüht, jedes Mal zu einem uneleganten Anzieh-Spektakel, weil es am Strand naturgemäß nichts gibt, an dem man sich festhalten könnte. Wichtigste Regel: je einfacher, desto schicker, der Strand ist Mode-und Sorgen-Detox! Also für sie: hinten offene Schlappen. Und für ihn: Espadrilles, je billiger, desto besser, dann dürfen sie sogar geklaut werden! Um in der Zwischenzeit Brandblasen an den Füßen sowie lautes Aufheulen zu vermeiden, kann man von Schirmschatten zu Schirmschatten hüpfen und sich mit leisen Autsch-Rufen Richtung Wasser bewegen. Noch besser: rennen wie ein echter Mann.

Das Handtuch-Desaster

Nichts verrät mehr über den sozialen Status einer Person als ihr Strand-Handtuch. Mit zwei Handtuch-Gruppen sollte man gesehen werden: die Werbegeschenk-Typen (grell-bunte Badetücher mit Logos von Spirituosen-Herstellern, Disney-Helden, Fußballvereinen, Fernsehmarken). Und die Oligarchen-Typen (farbenfrohe Badetücher von Hermès oder Pucci, wunderschön, aber für die sanfte Privatsphäre des eigenen Pools gedacht). Was liegt dazwischen? Stilsichere Menschen wie Giorgio Armani. Er bringt immer einen Stapel dünner Kikoy-Tücher mit an den Strand, leichte, gestreifte Baumwolltücher aus Kenia. Sie fügen sich perfekt in die mediterrane Strand-Atmosphäre und verhindern den für immer klammen Hintern, wenn man auf nassem Frottee liegt.

Der Mittagessen-Streit

Ich habe Hunger, sagt sie und blickt sehnsüchtig zu den fröhlichen Familien unter dem Strohdach der Strandbar, die mit großen Schlucken Weißwein Berge von Muschel-Spaghetti herunterspülen. Wir haben doch ausgiebig gefrühstückt, sagt er und starrt noch entschlossener in seinen neuen Martin Suter. An der Lunch-Frage sind schon Ehen zerbrochen: Sind zwei warme Mahlzeiten am Tag dekadent oder nicht? Es ist eigentlich sehr einfach - Mittagszeit ist Schattenzeit, warum das bitte nicht mit einem kleinen Snack verbinden? Die sparsamen Typen dürfen sich natürlich auch Nudelsalat und Sandwiches in Tupperware mitbringen. Nur sich dafür schämen, das dürfen sie nicht.

Der Strandgut-Transport

Ja, es gibt jeden Sommer wieder ein schier unendliches Angebot an bunten Designer-Strandtaschen von Pucci und Gucci und Co. Die gehen aber genauso wenig wie Designer-Handtaschen am Strand. Wer will schon dem Strandkofferträger, also dem eigenen Mann, mit Shopper in Pink-Tönen die Würde nehmen? Auch hier ist weniger mehr: Basttaschen werden in Saint- Tropez traditionell erst auf dem Markt beim Einkaufen und dann später zum Transport aller Strand-Accessoires genutzt. Er kann seinen Kram auch gleich mit hineinwerfen und kommt nicht rüber wie der letzte Depp. Voilà - so sieht Freiheit aus! Ausnahmen: Tote Bags vom französischen Super-Snob-Label Goyard oder schlichte Baumwoll-Shopper von Hermès. Sehen sogar am Mann gut aus.

Das Sonnencreme-Debakel

Sonnenanbeter sind gesellschaftlich so inakzeptabel wie Steuerhinterzieher oder Menschen, die sich über schlecht erzogene Kinder ärgern. Weit und breit kein Duft mehr von bräunungsintensivierendem Kokos-Öl! Stattdessen: XL-Sonnencreme-Flaschen in fiesen Orange-Tönen mit Lichtschutzfaktor 350, auch wenn der Hauttyp gar nicht Schneemann ist. Während alle anderen im Wasser stehen, weil das die Sonne schön reflektiert, vermummt sich der politisch Korrekte unterm Sonnenschirm und einer undurchdringlichen, weißen Schicht Sunblocker, als wäre er von Piraten an diesen unwirtlichen Ort verschleppt worden. Nun gut, es sei ihm zugestanden, Hautkrebs ist ein ernstes Thema. Aber die Drogeriemarktflaschen nicht: Sie zerstören die gesamte Strand-Ästhetik, ungefähr übrigens wie bunte Plastik-Krokodile. Aber das darf man ja schon wieder nicht sagen.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2014/tam
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