Mode:Zeit der Finsternis

Paris Fashion Week - Yves Saint Laurent

Latex im Dunklen bei Saint Laurent.

(Foto: dpa)

Die Pariser Modewoche zelebriert in diesem Jahr, sehr passend zur Weltlage, den Glamour der Apokalypse. Was man im kommenden Herbst unbedingt braucht? Latex, Kettenhemd und auf jeden Fall ein Cape.

Von Tanja Rest

Als die Scheinwerfer erlöschen, ein Lichtfinger durch die Dunkelheit sticht und dem ersten Model auf seinem langen Weg über den mit Teppich ausgekleideten Laufsteg heimleuchtet, kneift man verwirrt die Augen zusammen. Die Dominicanerin Sculy Mejia trägt einen Blazer, der in seiner Gediegenheit auf einen Lunch von Charity Ladys passen würde, wäre er nicht so rasant geschnitten: rot-schwarz kariert, Samtkragen schwarz abgesetzt, Goldknöpfe doppelreihig; passend dazu die Schluppenbluse. Warum aber reflektiert die knallenge Röhre das Licht - Lackleder? Ein anderes neuartiges Material? Stellt sich raus: Alle in dieser Kollektion gezeigten Hosen (sowie noch ein paar Röcke, Kleider, Oberteile) sind aus Latex gemacht. Also LATEX, genau gesagt.

Das Haus Saint Laurent, man vergisst es manchmal, wurzelt tief in der Provokation. 1966 warf Yves "Le Smoking" für die Dame auf den Markt, lange vor Jean Paul Gaultier nähte er ein Paar spitzer Brüste auf ein Couturekleid. Die Kritiker tobten, die befreiten Frauen aber hätten diese Teile mit ihrem Blut bezahlt. Latex wäre vielleicht auch die Wahl von Yves Saint Laurent gewesen an diesem Abend in Paris, nach dem Weinstein-Urteil, auf einem Zwischenhoch von "Me Too". Das Gute an der Gegenwart ist ja: Es gibt so viele neue Verbote, gegen die man als Designer anrennen kann. Gleichzeitig war es die farbigste Kollektion seit Langem, auch die am wenigsten nackte. Viele fanden sie sexistisch.

Paris Fashion Week - Zeit der Finsternis

Die besten Bilder der Shows.

Nun wird nicht mal der amtierende Saint-Laurent-Designer Anthony Vaccarello annehmen, dass Frauen demnächst in Hosen durch die Gegend stelzen, die aussehen, als seien sie in einem Sex-Shop am Boulevard de Clichy erworben worden. Aber als Statement wider die feministische Korrektheit: Warum eigentlich nicht?

Was manche heutzutage für feministisch und noch dazu für ökologisch halten, hat Stunden zuvor Maria Grazia Chiuri ausbuchstabiert: "Women's Love is unpaid Labour", "Patriarchy kills Love" und "Patriarchy = CO2", so steht es in blinkenden Neonlettern über ihrem Dior-Laufsteg. Bezahlt hat das Protestschreiben Bernard Arnault, LVMH-Boss, einer der reichsten Menschen und auch einer der größten Patriarchen der Welt. Na gut, kann man natürlich trotzdem machen. Nur muss dann mehr kommen als ein Hosenanzug mit Krawatte, rustikales Karo, Fransen, seidene Kopftücher und festes Schuhwerk. Die Kollektion gründet auf Kindheitsfotos von Chiuri, ist fein durchkomponiert und bildhübsch. Echter Aktivismus aber sieht anders aus.

Zum Beispiel so: Sonntag, 21.45 Uhr. Zwölf Stunden vor Beginn ihrer Show kommt Stella McCartney in der Opéra Garnier die Treppe heruntergefedert. Die Diskussion über Nachhaltigkeit soll eigentlich exakt hier stattfinden, auf der Treppe im Foyer. Sie grinst verschwörerisch: "Leute, seid ihr Rebellen? Ich hab da eine offene Tür entdeckt ...!" Minuten später sitzt man im großen, leeren Opernsaal unter der Chagall-Decke, "immer noch der sexyste Ort in Paris", wie sie ganz richtig sagt.

Für Stella McCartney ist vegane und emanzipierte Mode nicht das, was man jetzt eben so macht, weil es bei der Kundin gerade gut ankommt. Es ist ihre Überzeugung schon immer. Für den Talk mit Christiana Figueres, einer der weltweit profiliertesten Frauen im Kampf um Klimaschutz, nimmt sie sich eine Stunde Zeit - vor gerade mal 40 Zuhörern. Die Show am nächsten Morgen ist ähnlich relaxed: locker geschnittene Anzüge, perforierte Mäntel aus Lederersatz sowie fluffige Flokati-Pullis, die modern sind, nachhaltig und begehrenswert. Beim Finale laufen winkende Menschen im Plüschtierkostüm mit, und zum Abschied bekommen alle einen Buchensetzling geschenkt.

Bei Balenciaga sind drei Sitzreihen überflutet, an der Video-Decke explodiert Lava

Das Ringen um ein zeitgemäßes, diverses Frauenbild auf der einen Seite, die Überlegungen zu Umwelt- und Klimaschutz auf der anderen: Das wäre für diese Pariser Fashion Week für Herbst 2020 schon Aufgabe genug gewesen. Nun gibt es da aber noch das Virus. Es hängt wie ein Fallbeil über allem. Die Chinesen und Italiener sind mehrheitlich weggeblieben, manche Verlage pfeifen ihre Redakteure nach zwei Tagen zurück; die Ausharrer plagt die Angst, daheim in Quarantäne zu müssen. Der Cocktail zur Feier des LVMH-Preises für Nachwuchsdesigner wird abgesagt, am Eingang vieler Shows stehen Desinfektionsgel und Atemmasken bereit. Statt sich quietschend abzubusseln, blasen die Modeleute nun in sicherem Abstand Küsschen durch die Luft.

Das sind aber nur kleine Irritationen (und die Ränge natürlich trotzdem voll). Der mittelfristige Schaden für die Luxusbranche mit ihren weltumspannenden Lieferketten und China als wichtigstem Absatzmarkt ist indes kaum absehbar. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group könnte das Coronavirus Umsätze in Höhe von 40 Milliarden Euro kosten.

Als hätten sie es vorausgeahnt, schwelgen die Kreativchefs in Finsternis. Bei der spektakulärsten Show der Woche sind die ersten drei Sitzreihen überflutet; die Balenciaga-Models laufen in Mönchskutten und mit Höckerschultern knöcheltief durchs schwarze Wasser, während auf der nach unten fahrenden Videodecke Lavawogen explodieren. Apocalypse now. Das Défilé von Paco Rabanne findet im gotischen Gewölbe der Conciergerie statt - eben jenem Ort, an dem Marie Antoinette auf die Guillotine wartete (überhaupt hat man ein Großteil der Woche in Kellern, Bunkern und Basements zugebracht). Licht und Dunkel, Sakrales und Kriegerisches zeigt der Designer Julien Dossena hier in einer handwerklichen Perfektion, dass es einem den Atem verschlägt. Bestickte Uniformjacken, gefältelte Kragen bis zum Kinn, klirrende Kettenhemden ...

Wie "neu" müssen Kleider sein?

Und bei Valentino, dem Headquarter elysischer Schönheit? Kommt der Soundtrack, unterstützt von einem Streichquintett, von Billie Eilish: "All the good Girls go to Hell." Wenn das stimmt, steckt die Hölle voller Valentino-Mädchen. Damit ist jetzt erst mal Schluss. Nichts Zuckriges, die Kollektion ist zeitlos elegant und sinnlich wie selten und kommt gleichzeitig auf Stiefeln daher, die der Addams Family imponiert hätten. Vor allem aber ist sie witwenschwarz. Man addiere ein Senior Model (hier nie gesehen), ein paar Kleidergrößen 40 (bisher undenkbar) und eine Frau mit grünen Haaren (what?!). Backstage sagt Pierpaolo Piccioli: "Die Mode muss kein Manifest abliefern. Aber sie muss den Wandel erkennen und umarmen."

Das ist es, was einen großen von einem begrenzten Designer unterscheidet: Innerhalb des Zeichensystems der Marke bleibt er wandelbar. Bei Celine hingegen sind die Capes diesmal zwar aus Wildleder, die Röcke kürzer, die Kleider glitzernder, die Blusen rüschiger. Aber es ist derselbe Seventies-Look wie beim letzten und beim vorletzten Mal, vorgeführt von derselben Sorte Frau (jung, dünn, bourgeois), die sich vom Geld der Eltern ein bisschen Rock 'n' Roll gekauft hat.

Wie "neu" Kleider immer wieder sein müssen, ist eine der großen Gegenwartsfragen der Branche, die zu den schlimmsten Umweltverschmutzern und Wegwerfsündern des Planeten zählt. Miuccia Prada hat nach ihrem Frühjahrsdéfilé erklärt, sie wolle "weniger nutzloses Zeug" produzieren. Natacha Ramsay-Lévy bekannte bei Chloé wenig später: "Viele Sachen in dieser Kollektion habe ich schon mal gezeigt, das war eine bewusste Entscheidung." Auch diesmal sieht man bei Chloé eher Verfeinerung als Erneuerung, der Stil steht fest, er ist feminin mit einer Prise Härte. Jede Frau will diese Kleider tragen, idealerweise auch noch nächstes Jahr.

Die Kontinuität von Kollektionen ist zu einer Frage der Nachhaltigkeit geworden: Dass man alle sechs Monate die alten It-Teile wegschmeißen und eine völlig neue Garderobe kaufen soll, ist den Leuten nicht mehr zu vermitteln. Andererseits: Warum sollte eine Frau zweitausend Euro für einen Mantel ausgeben, wenn er nicht alles bisher Dagewesene spektakulär in den Schatten stellt? Luxusmode war immer schon die Geburt des Neuen vor exklusiver Kulisse. Die Wiederauflage bekannter Looks im Namen der Nachhaltigkeit, das kann eben auch ein Euphemismus sein für: "Leute, mir ist diesmal blöderweise nichts Neues eingefallen." Man selbst hat auf dieses Dilemma keine letztgültige Antwort.

Die Pariser Designer neigen mehrheitlich der Kontinuität zu, das heißt, es gibt wenig Neues und auch nur ein einziges - geglücktes - Designerdebüt in Gestalt von Felipe Oliveira Baptista für Kenzo. Die Stimmung bleibt klassisch-bourgeois, mit einem schmutzigen Schlenker ins PVC-Universum. Eleganteste Mäntel paradieren mit breiten Schultern vorbei, Variationen auf den Trenchcoat in rauen Mengen, todschicke, wie mit dem Skalpell geschnittene Kostüme und so viele bitterernste Hosenanzüge, dass man die "Fridays for Future" damit einkleiden könnte; favorisiertes Schuhwerk: Boots mit brikettdicker Sohle. Wer außerdem im Herbst nicht mindestens ein Cape besitzt, ist modisch angezählt. Wer auf Schwarz keine Lust hat und Rot aggressiv findet, hat ein ernstes Problem. So weit die Botschaft aus Paris.

Als es eben anfängt, etwas trist zu werden, trifft die Nachricht ein, dass überraschend Kanye West in der Stadt gelandet ist, ein Rudel Kardashians im Schlepptau. Jubel am Laufsteg. Ein bisschen Entertainment wird man wohl noch haben dürfen!

Kanye Wests Tochter versucht, einen Rap zu singen

Der Rapper/Designer feiert im Théâtre des Bouffes du Nord erst den Morgengottesdienst, in dem er den extra eingeflogenen hundertköpfigen Chor leitet, während der Prediger den Kapitalismus verdammt. Dann lädt er zur Präsentation seiner achten Yeezy-Kollektion am nächsten Abend. Da stehen dann ein paar Hundert frierende Menschen in Partyklamotten bei fünf Grad Celsius im Freien; die Decken sind vergriffen, Musik gibt es keine und zu trinken auch nichts. Die Stimmung ist insgesamt nicht megageil, um es behutsam zu formulieren. Irgendwann kommen ein paar Models die Rampe runter in Jogginghosen, Daunenjacken und Schuhen, die aussehen wie aufgepumpte Hotelschlappen - genau kann man es nicht sagen, weil die Videoleinwand ruckelt. Dann versucht die sechsjährige Kanye-Tochter North West, einen Rap zu singen. Dann kommt Kanye und tätschelt ihr gravitätisch den Kopf. Dann sind zehn Minuten um, und alle dürfen nach Hause gehen. In Ewigkeit, Amen.

Das war es also nicht, was einen hätte hinwegtrösten können über acht Tage Regen, Kälte, Katakomben, Hosenanzüge und Covid-19. Aber da war immerhin noch Dries van Noten. Er zeigte seine Herbstkollektion hinter der hohen Brandmauer der Opéra Bastille. Noch ein Bunker, in dem er aber Karojacken auf Federn häufte, Lammfellmäntel auf Flower-Power-Prints, Pailletten auf Stickereien auf schimmernde Seide. Dazu die somnambule Stimme von Michelle Gurevich in "Partygirl": "It doesn't matter what you create / If you have no fun." Wer nicht dabei gewesen ist, kann nicht ermessen, wie gruselig schön, wahrhaftig und todtraurig das klang.

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