Süddeutsche Zeitung

Fashion Week Mailand:War was?

Die Mailänder Modewoche findet weitgehend zur Normalität zurück: Die Umsätze steigen, die Megabrands Gucci und Bottega Veneta zeigen wieder, Kim Kardashian und Rihanna schauen vorbei. Alles fast wie immer - wäre da nicht der Krieg.

Von Silke Wichert

Große Stille

Eigentlich war Mailand in Feierlaune: Die großen Namen Gucci und Bottega Veneta, die ihre Kollektionen wegen Corona zuletzt digital oder außer der Reihe gezeigt hatten, meldeten sich auf dem Kalender zurück, die Umsätze bei italienischen Marken wie Brunello Cucinelli gehen durch die Decke, der Prada-Laden auf der Via Montenapoleone: rappelvoll. Aber dann bricht am zweiten Tag der Modewoche der Krieg in der Ukraine aus. Da sind Streetstyle-Gepose und Outfitsorgen irgendwie kein guter Look. Wie reagieren?

Der Luxuskonzern Kering und Silvia Fendi setzten solidarische Instagram-Posts ab, vor Versace und Prada hielten Passanten Anti-Putin-Plakate hoch. Ansonsten passierte: erstaunlich wenig. Die Showkonzepte wurden wie geplant abgespult, die russischen Redakteurinnen und Redakteure saßen weiter in der Front Row, dafür platzierte man Vena Brykalin von der ukrainischen Vogue noch ein bisschen weiter weg von ihnen. "Ich hätte mir irgendein Statement der Firmen gewünscht", sagte der Journalist frustriert - und meinte damit nicht die seltsam omnipräsenten Sturmmützen auf den Laufstegen. "Unsere Branche stellt sich einfach taub."

Tatsächlich ist die Modewelt wahnsinnig gut darin, Traumwelten zu inszenieren, doch mit der Realitätsbewältigung hapert es bisweilen. Bevor sie wegen halbherziger Friedenstauben-Broschen an den Pranger gestellt werden, entschieden die Verantwortlichen offensichtlich, lieber gar nicht zu reagieren. Erst am Sonntag, dem letzten Tag der Modewoche, widmete immerhin Giorgio Armani seine Show den Ukrainern. Das Defilee fand, als Zeichen des Respekts, ganz ohne Musik statt. Der 87-Jährige ist eben sein eigener Chef - und einer der letzten Designer, die einen Krieg noch selbst miterlebt haben. Seitdem werden die Rufe auf Social Media immer lauter, dass eine Branche, die so viel Strahlkraft besitzt, sie auch gefälligst nutzen solle. Das Model Mica Argañaraz kündigte bereits an, einen Teil ihres Honorars spenden zu wollen, "weil es sich unglaublich seltsam anfühlt, hier über den Runway zu laufen, während auf dem gleichen Kontinent Krieg herrscht". Ukrainische Modemagazine riefen dazu auf, keine Luxusgüter mehr nach Russland zu liefern. Die Online-Boutique Net-a-porter erklärte, keine Bestellungen mehr von dort anzunehmen. Der Markt macht höchstens fünf Prozent des Gesamtvolumens aus. Selbst das Schließen sämtlicher Luxusläden dort würden die meisten Marken also locker verkraften - wenn sie es denn wollen.

Noch mal neu

Wir erinnern uns: "New Bottega" stieg mit dem englischen Designer Daniel Lee 2019 kometenhaft auf. Sein Hochmut allerdings offensichtlich gleich mit, jedenfalls trennte man sich im November "im gegenseitigen Einvernehmen", wie das so schön heißt. Samstagabend zeigte der aufgerückte Matthieu Blazy seine erste Kollektion des "Neuen New Bottega". Der in Paris geborene Belgier ist kein Unbekannter, er lernte bei Maison Margiela und Calvin Klein, trotzdem lastet hier natürlich eine zentnerschwere Erwartungslast auf ihm. Als Teaser veröffentlichte der 37-Jährige ein Video mit einer Schrottpresse, entsprechend nahmen die Gäste im entkernten Palazzo San Fedele auf zusammengequetschten Metallquadern Platz. Eine Metapher für alles plattmachen? Radikaler Neuanfang? Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Blazy will die Essenz des Lederhauses weiter komprimieren, er fährt die Lautstärke seines Vorgängers runter, das Handwerk dafür noch einmal rauf.

Als erster Look überraschte ein simples weißes Tanktop (auch bei Prada ein großer Trend) zu Jeans, die aber - reingefallen - gar keine sind, sondern irre realistisch bedrucktes Nubukleder. Auch die gestreiften Hemdkleider: in Wahrheit Nubuk. Manche Silhouetten wirken noch ein bisschen zu gewollt, auf Pailletten und Federn hätte man verzichten können. Dafür sehen Lederröcke mit einem Unterbau aus Lederstreifen in Bewegung spektakulär aus. Das Brot-und-Buttergeschäft der Marke sind natürlich trotzdem die Accessoires. Das typische Flechtmuster ist hier wieder häufiger zu sehen, in groben Boots, in weißen Slippern, quasi eine Luxusversion der gemeinen Hotelschlappe. Die "Kalimero"-Bag wird mit einem einzelnen langen Riemen wie ein Köcher locker nach hinten über die Schulter geworfen. Auch die Beutel an goldenen, astähnlichen Henkeln können schon mal in Serienproduktion gehen. Sichtlich erleichtert nahm Blazy backstage die Glückwünsche von seinem Kumpel Raf Simons entgegen. "Simple and strong" laute sein Ansatz, erklärte er. Am besten einfach mal so stark weitermachen.

Gut einheizen

Die weltweit größte Trendagentur WGSN prognostiziert wegen der steigenden Energiepreise viel dicke Wolle und Layering für nächsten Winter im Home-Office mit eigenem Zähler. Klingt logisch, auf den Mailänder Laufstegen ist davon allerdings noch kaum etwas zu sehen. Andererseits: Wer muss schon zu Hause die Heizung herunterdrehen, wenn er 1300 Euro für ein Leibchen von Loro Piana ausgeben kann? Es bleibt also wie schon vergangene Saison sexy und körperbetont. Bei Missoni und Etro wird über den Bauchfrei-Look jetzt halt ein Mantel gezogen, bei Versace kommen Latexleggings unter die Kleider mit Korsagendetails. "Kink" ist überhaupt ein großes Thema. Dolce & Gabbana schickten, gewohnt subtil, Strapse als Einladung zur Show. Bei Blumarine werden Strumpfhalter als Gürtel getragen, bei Roberto Cavalli und Del Core diverses Brustgeschirr übergeschnallt. Röcke sind entweder ultrakurz oder durchsichtig wie bei Prada und Kim Jones für Fendi. Wem das zu zugig ist: Max Mara zeigte, inspiriert von der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, ziemlich luftdicht abgeschlossene Woll-Ensembles inklusive Wollkappe und Hüttenschuh-Overknees.

Schnittkunst

Und was tragen die, die zur Abwechslung mal wieder ins Büro müssen? Turnschuhe und Jogginghosen sind bei den Luxusmarken kaum noch Thema, dafür extra viel Tailoring. Walter Chiapponi zeigte seine bislang beste Kollektion für Tod's mit perfekt geschnittenen Anzügen und Mänteln, aber auch kokonhaften Parkas und lässigem Strick. Etwa Röcke mit umgeschlagenem Bund und dazu passenden kurzen Pullovern. Guccis Frauenkollektion war über weite Strecken sowieso eine verkappte Herrenkollektion mit vor allem männlichen Schnitten. Fendi legte den Models Korsagen mit einseitig angesetztem Sattelblatt um den Torso. Miuccia Prada und Raf Simons zeigten Blazer und Mäntel mit starken Schultern, leider auch mit verzierten Ärmeln wie schon bei den Männern, was unweigerlich etwas Orang-Utan-haftes bekommt. Dolce & Gabbana halten es sogar für eine gute Idee, die Oberteile auf Quarterback-Proportionen aufzupumpen. Bisweilen sind nur noch die Schulterpolster zu sehen, der Rest transparent und glitzernd. "Retro Futurism" nennen die Designer das. Man könnte auch sagen: Vergangenes ohne Zukunft.

Gepflegte Polygamie

Mailand ohne Gucci-Show war die letzten Saisons ein bisschen wie Fußball-WM ohne Italien. Zu wenig Drama, zu wenig Grandezza. Mit "Metamorfosis" meldete sich Alessandro Michele nun zurück und verwandelte den Show-Space in einen verzerrten Spiegelsaal. Der "Zauberspiegel" als Sinnbild für Kleidung, die den Menschen verändern kann und verschiedene Sichtweisen zulässt. Tatsächlich schafft es Michele mit seinem flamboyanten Gucci immer wieder, Entwürfe zu liefern, die je nach Kombination sehr durchgeknallt oder extrem distinguiert aussehen können. Diesmal bündelt er die transformatorische Kraft allerdings auf die Umgestaltung drei berühmter Streifen: Gucci präsentierte eine wirklich erschöpfende Kooperation mit Adidas. Die Streifen finden sich auf Anzügen, Absatzschuhen, Korsagen, Handschuhen, sogar auf einem Ballkleid wieder (inspiriert habe ihn ein Bild von Madonna aus dem Jahr 1983, erzählte Michele, auf dem sie ein langes rotes Kleid mit Streifen trägt). Bevor jemand durcheinanderkommt: Ja, es gibt da eigentlich eine Kooperation von Adidas mit Prada. Nein, das ist offensichtlich kein Problem mehr.

Genauso wie Kim Kardashian gerade das Gesicht von Balenciaga ist, aber bei Prada in der Front Row saß. Jeder darf jetzt mit jedem, Hauptsache, es sorgt für Aufmerksamkeit. Die KK trug einen sogenannten "Boilersuit" aus der Herrenkollektion, wirklich "heiß" sah das leider nicht aus, vielleicht nimmt sie nächstes Mal doch wieder Frauensachen. Zu Gucci kam derweil Rihanna, natürlich mit entblößtem Babybauch, und dem werdenden Vater A$AP Rocky. Mailand wartete also mal eben mit den beiden aktuell größten weiblichen Stars des Planeten auf.

Hoch hinaus

Plateausandalen sind diesen Sommer ein großer Trend, im Winter muss das Niveau laut Bottega Veneta, Versace und Ports 1961 wieder mindestens ziegelsteinhoch sein. Über den Dingen stehen: gut! Doch richtig laufen konnten selbst viele Models darin nicht. Und sind die Absätze nicht ultrahoch, sind sie mindestens schräg abgeschnitten. Bei Marni dagegen trugen die Models Gummi-Biker und Stachelschuhe. Der Designer Francesco Risso geht mit seinen Shows ohnehin gern dahin, wo es wehtut: dieses Mal in eine dunkle, von Sträuchern bewucherte Industriehalle. Kein Laufsteg, keine Sitzordnung, das Modevolk völlig orientierungslos. Wo laufen sie denn? Und wie soll man hier gute Fotos für Instagram machen?

Die Models tauchten plötzlich aus dem Gestrüpp auf, angestrahlt von einem Begleiter mit Taschenlampe. Man kommt nicht umhin zu glauben, Risso mache sich ein bisschen über die Branche lustig mit seinen Performances. Vergangene Saison hatte er fast allen Redakteuren einen Look zugeteilt und sie so zu Komplizen der Fashion Show gemacht. In jedem Fall hat er immer eine Botschaft: In "Wearafter", so der Titel der Kollektion, wie er anschließend erklärte, gehe es darum, wie fragil und gleichzeitig kostbar unsere Kleidung ist. Dass Spuren und kontinuierliches Ausbessern Geschichten erzählen, sie immer mehr zu einem Teil von uns werden. Seine "Interpreten", wie er die Models nennt, brachten eigene Accessoires und Teile mit, darauf aufbauend wurden die Entwürfe entwickelt. Risso selbst trug eine kurze Smokingjacke seines Opas, total ausgefranst, darunter einen von ihm selbst gestrickten Pullover mit endlos langen Ärmeln. Ein Mix aus alt und neu, der sich immer wieder verändern soll. Draußen im Hof wartete anschließend bei strahlendem Sonnenschein eine Mischung aus Picknick und Bankett mit Kuchen, Salumi-Platten, Obst, Wein auf Darsteller und Gäste. Marni ist allmählich mehr Kommune als Label.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5538435
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jrot
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.