Mode:"Make America chic again"?

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Überall Fransen, Westernlook, Bikerboots und Cowboystiefel: Je kontroverser die Auseinandersetzung mit den USA ist, desto wichtiger werden nationale Identitäten. Modisch heißt das: Die Politik wird auf dem Laufsteg ausgetragen.

Von Silke Wichert

"Der kleine Justin möchte bitte zu seinen Wurzeln zurück." Klingt wie eine Durchsage im Kaufhaus, ist aber der unübersehbare Subtext des neuen Justin-Timberlake-Albums. Das heißt bekanntlich "Man of the Woods", weil dieser die vergangenen Jahre stets im Anzug aufgetretene Sänger nämlich gar nicht aus der amerikanischen Großstadt, sondern aus der Countryhochburg Memphis, Tennessee, stammt. Timberlake ist also eigentlich Naturbursche, und seit seinem Auftritt beim Superbowl wissen jetzt auch alle, wie der Look zu diesem Besinnungswandel aussieht: Bandana-Tuch, Western-Lederjacke mit Fransen, Hemd mit "Elche in der Wildnis"-Druck. Fehlten nur noch Stiefel und Cowboyhut. Beides trug er allerdings 2001 beim legendären Denim-Komplettoutfit an der Seite von Ex-Freundin Britney Spears. An diese empfindlichen Wurzeln will man dann doch nicht mehr ran.

Justin Timberlake mit Westernjacke beim Superbowl. (Foto: Matt Slocum/AP)

Dafür wird im Video zu "Man of the Woods" alles andere aus dem modischem Genre aufgefahren. Holzfällerhemd, Unterhemd, Truckerjeansjacke mit Schaf-Fellkragen, irgendwann trägt Timberlake sogar Timberlands - geradezu tollkühn, wie hier einfach jede Referenz verbraten wird.

"Western-Stil mag bedrohlich klingen, ist er aber überhaupt nicht!", erklärte die "Vogue"

Jetzt sind Brachial-Umstylings keine Seltenheit im Popgeschäft. Madonna hat das früher alle paar Jahre durchgezogen, Cowgirl inklusive, beim Album "Music". Aber, so könnte man ja mal vorsichtig fragen: Ist das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt für die klassische "Americana"-Nummer? Also das Abfeiern typisch amerikanischer Dresscodes? Wo der Ruf des Landes so angeschlagen ist wie noch nie, die Nation nach innen so gespalten scheint wie lange nicht mehr. Wird der Wilde Westen da nicht leicht zum Minenfeld, um das man tunlichst einen großen Bogen machen sollte, bevor man noch zum Posterboy der "Make America Great Again"-Bewegung avanciert? In politischer Hinsicht scheint der Auftritt also durchaus gewagt. Modisch allerdings liegt Timberlake damit voll auf Linie.

Das Westernthema zieht sich schon seit Monaten durch die Kollektionen, dieses Frühjahr noch einmal mehr. Überall Fransen, Hemden im Westernlook, Bikerboots, Cowboystiefel, von Coach bis Givenchy, selbst von Prada gibt es aktuell Gürtel und Handtaschen mit Nieten, Silberschnalle und Türkisen. Bei Versace liefen die Models mit westerninspirierten Lederensembles und Cowboyhüten über den Laufsteg.

In der Februarausgabe der Britischen Vogue waren unter dem Titel " Rodeo Drive" drei Models in zeitgenössischer Cowgirl-Montur zu sehen. Kuhfell-Tops mit Nieten, schwarzes Denim, kurze Röcke. Im Text stand: "Western-Stil mag bedrohlich klingen, ist er aber überhaupt nicht!" Man müsse ihn nur aufbrechen, modern interpretieren. Das Cowboy-Kostüm beim Kinderkarneval finden manche Eltern neuerdings vielleicht problematisch, aber sich selbst ein paar rote Designer-Stiefel und das extra-taillierte Westernhemd überwerfen - das ist etwas ganz anderes! Zumindest ist es total angesagt.

Wie kann das sein? Sind die Designer, die diese Motive gerade jetzt aufgreifen, weltfremd, reaktionär, geschmacklos? Oder, im Gegenteil, sogar überaus reflektiert? Gehen wir am besten, justinlike, zu den Wurzeln zurück, dahin, wo dieses Comeback angefangen hat. Der belgische Designer Raf Simons zeigte vergangenen Februar seine erste Kollektion für das sehr amerikanische Haus Calvin Klein. Die Trump-Wahl lag da gerade drei Monate zurück, der neue Präsident war erst ein paar Wochen im Amt, hatte sich aber schon mal mit einem Einreisestopp für muslimische Länder ins Gespräch gebracht. Kanadas Einwanderungs-Website brach wegen Überlastung zusammen, weite Teile der Westküstenbewohner erklärten, sie fühlten sich wie im falschen Film.

Was also lief bei der Calvin-Klein-205W39NYC-Show (so heißt die Laufsteg-Kollektion des Labels tatsächlich) für Musik? Eine Version von David Bowies "This is not America". Was allerdings folgte, war ziemlich amerikanisch: Paradeuniformen, Cowboystiefel, graue Mäntel mit Quilt-Einsätzen, Jeans. Aber dieses Land hat ja so viel mehr zu bieten: Es folgten Mäntel und Federkleider mit Plastik überzogen - als Kommentar auf die Schutzfolie-Manie der Amerikaner und den abgepackten Kommerz.

Go West! Laufsteglook von Calvin Klein 205W39NYC aus der aktuellen Kollektion.

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(Foto: N/A)

Cowgirl bei Versace.

Wer Simons' Ambivalenz gegenüber seiner neuen Heimat da noch nicht ganz durchschaut hatte - Melania Trump trug bald völlig ironiefrei eines der hübschen Parade-Hemden in Camp David - tat das spätestens nach seiner zweiten Show im vergangenen September. Da gab es wieder die klassischen Motive, aber die langen Lederröcke erschienen blutverschmiert, die Drucke stammten aus Warhols "Death and Desaster"-Serie, Kleider waren aus Nylon gefertigt, das stark an David Lynchhafte Leichensäcke erinnerte. "American horror, American dreams", erklärte Simons im Anschluss an die Show. Trump, Charlottesville, der Amoklauf von Las Vegas - amerikanischer Traum und Albtraum liegen dicht beieinander.

Und natürlich war das auch bei Simons dritter, vergangene Woche gezeigter USA-Kollektion wieder Thema. Neben den schon obligatorischen Western-Hemden und Stiefeln waren jede Menge hellkarierte Kleidchen zu sehen. Dazu füllte er die Location mit LKW-Ladungen Popcorn, die unter den Füßen der Models und Besucher knirschten. Wieder keine leichte Kost, obwohl Simons darauf bestand, diesmal gebe es "weniger Horror, mehr Hoffnung".

Während die Sängerin Lana del Rey vergangenes Jahr erklärte, sie werde aus Scham nicht mehr vor der US-Flagge auftreten, scheint Raf Simons hiereinen anderen Punkt machen zu wollen: Es gibt nicht nur das eine Amerika.

Gürtel von Prada über net-a-porter.com (Foto: Prada)

Es ist nicht das erste Mal, dass "Americana" genau dann stark in Erscheinung tritt, wenn das Land nicht seine glorreichste Zeit erlebt. Auch im Vietnam-Krieg kehrten sowohl Konservative wie Hippies zurück zu Jeans, Boots und Flaggen - wenn auch sehr unterschiedlich gestylt. "Statt sich in Zeiten der inneren Zerrissenheit von patriotischen Symbolen zu verabschieden, greifen die Leute gerade dann dazu", erklärte die amerikanische Textil-Historikerin Deirdre Clemente von der University of Nevada jüngst in einem Interview. Wenn verschiedene Kulturen aufeinanderprallen reklamiert stets jede Seite ,Americana' für sich. "Gerade jetzt,da so viele Amerikaner das Gefühl haben, dass die besten Werte ihres Landes in Gefahr sind, überrascht es mich überhaupt nicht, dass die Leute zu diesen Symbolen zurückkehren, um zu demonstrieren: ,Das ist es, wer wir eigentlich sind'", glaubt Clemente.

Wobei es eher nicht die US-Designer sind, die sich ohne Berührungsängste beim All-American-Repertoire bedienen. Bei Coach, das gerade sämtlichen Westernbedarf bietet, ist seit fünf Jahren der Brite Stuart Vevers am Werk, bei Calvin Klein mit Raf Simons ein Belgier, die Garderobe von Justin Timberlake beim Superbowl stammte von Stella McCartney. "Make America chic again" - der Trend geht voll auf die Kappe von Europäern beziehungsweise Einwanderern. Vielleicht sollte Trump seine Haltung zur Migration doch noch einmal überdenken.

Abgesehen von Tommy Hilfiger natürlich, der aus Elmira im Bundesstaat New York stammt, und bei seiner "Tommyland"-Show vergangenen Februar das Sternenbanner bis auf die Badeanzüge hisste. Hilfiger macht aber quasi seit Beginn seiner Karriere immer irgendwie Americana, der läuft also außer Konkurrenz.

Aber nicht jedes Label, das jetzt ein paar Fransen an die Handtasche klebt, dürfte ein politisches Statement senden wollen, und nicht jeder, der sich ein Bandana umbindet, will für sich automatisch die Frage klären, in welcher Verfassung sich dieses Land gerade befindet. Das italienische Label Dsquared2 beispielsweise, das auch in seiner Kollektion für nächsten Herbst noch voll nach Westen blickt, bringt man eher nicht mit verkopfter Mode zusammen. Dior fühlt sich zwar gerade dem Feminismus verpflichtet, zeigte vergangenen Mai die Resort Collection aber vor allem deshalb in den Bergen von Calabasas, Kalifornien, weil, nun ja, die Location lange gebucht war, bevor die neue Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri bei der Marke anheuerte. Und wenn es einen schon in die amerikanische Wildnis verschlägt, dann entwirft man halt Gaucho-Hüte und modernen Quäkerstyle mit einem Wink in Richtung "Unsere kleine Farm". Manchmal liegen die Dinge in der Mode ganz einfach.

Es gibt aber noch eine andere Erklärung für die Häufung uramerikanischer Ästhetik: Die Russen sind Schuld. Und die Briten auch ein bisschen. Der in Moskau lebende Designer Gosha Rubchinskiy löste vor ein paar Saisons einen Hype um kyrillische Schriftzeichen auf T-Shirts aus, seine Mode für die Post-Soviet-Generation spielt mit dem Soviet-Look seiner Kindheit, seine Kooperation mit Adidas ist die perfekte Motto-Garderobe für die WM dieses Sommers.

Nicht zufällig sorgt genau dieser Designer auch dafür, dass Burberry zurück zu seinen britischen Wurzeln findet. Plötzlich ist das Karo-Muster wieder cool, halb Instagram posiert im beigefarbenen Trench. Heißt: In einer zunehmend globalen Welt, die sich zunehmend austauschbar kleidet, nimmt die Beschäftigung mit nationalen Identitäten und lokalen Besonderheiten unwillkürlich zu. Das viel diskutierte Label Vetements entwarf für vergangenen Herbst gleich eine ganze Kollektion, die nur aus Stereotypen bestand. Und davon haben die USA, als einflussreichste Massenkultur, nun mal jede Menge zu bieten.

Der typische Deutsche war bei besagter Vetements-Präsentation übrigens ein "Turnschuh mit Socken zur kurzen Hose"-Träger mit Bürstenschnitt und Regencape. Aber so schlimm kann die innenpolitische Krise um Groko-Gezeter und Merkel-Bashing hierzulande gar nicht werden, dass das ernsthaft noch mal zum Trend avanciert.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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