Mode:Wie Modefirmen soziale Netzwerke nach Trends durchkämmen

Mode: Die Bomberjacke wird noch ein bisschen bleiben. Sagt Instagram.

Die Bomberjacke wird noch ein bisschen bleiben. Sagt Instagram.

Kunden bekommen dadurch die Kleidung, die sie sich wünschen.

Von Silke Wichert

Erinnert sich noch jemand an den "Modern Paisley"-Trend aus dem Sommer 2012? Das war ein hübsches Desaster. Die Presse feierte das alte Hippie-Muster rauf und runter, die Einkäufer walteten ihres Amtes, und dann hingen die Sachen: wie Blei am Bügel. Aber so ist das nun mal mit der Mode, manchmal liegt man richtig, manchmal daneben, alles eine Frage der Intuition.

Oder der entsprechenden Daten, wie man heute sagen würde.

2012 war von Instagram noch kaum die Rede und Social Media eher so ein lustiger Zeitvertreib. Das sehen auch mit der Lieblings-Foto-App der Mode vier Jahre später die meisten noch so. Für andere wird hier jedoch längst wertvolle Forschungsarbeit geleistet. Mit jedem Post, jedem Kommentar, mit allen Smileys und Raketen oder was das Emoji-Sortiment sonst zu bieten hat, liefern die User hilfreiche Daten, welche Trends bei den Kunden ankommen und welche wohl eher nicht. Und das Beste ist: Das alles machen die Nutzer komplett kostenlos. Sie haben ja keinen blassen Schimmer, dass sie quasi inkognito als Trendforscher unterwegs sind.

"Social Media Monitoring" nennt sich das, was Firmen wie We are Social, Radian 6 oder das Mailänder Start-up Next Atlas betreiben. Ähnlich wie Google das Netz "crawlt", durchforsten sie Dienste wie Instagram, Twitter, Facebook anhand verschiedener Algorithmen und stellen diese Daten ihren Kunden zur Verfügung, darunter Firmen wie Prada oder Fiat. Schon vor einigen Jahren erregte eine Studie von Wissenschaftlern aus Palo Alto Aufsehen, nach der sich anhand von Twitter-Erwähnungen der Erfolg eines Kinofilms am Startwochenende mit 97-prozentiger Genauigkeit voraussagen ließ.

Welches Model kommt wie gut an?

Für die Modewelt könnte das im Prinzip ganz ähnlich funktionieren. Mit den entsprechenden Algorithmen lässt sich bei den Schauen leicht erkennen, welche Laufstegtrends besonders häufig in Social Media geteilt werden und wie positiv oder negativ die Reaktionen dazu ausfallen. "Das menschliche Auge sieht viel, aber die Maschine ist schneller - und genauer", sagt Luca Morena, einer der Gründer von Next Atlas. Auf der Herrenmesse Pitti in Florenz ließen sie Hunderte der dort aufgenommenen Fotos abgleichen und stellten fest, dass ein bestimmter Aubergine-Ton die am häufigsten geteilte Farbe war. Die Software konnte dann gleich noch herausfiltern, in welcher Kombination und bei welchen Kleidungsstücken sie am beliebtesten war.

Auch welche Gesichter man als Marke tunlichst für die nächste Kampagne verpflichten sollte, lässt sich anhand von "Likes" und Kommentaren ablesen. Ein Team von Wissenschaftlern an einer Universität in Indiana veröffentlichte kürzlich eine Studie, nach der sich mithilfe von Social-Media-Daten sogar vorhersagen lasse, welche Newcomer-Models mit ziemlicher Sicherheit demnächst für den Laufsteg gebucht würden. "Theoretisch können wir auch Zusammenhänge über den Erfolg von Werbekampagnen analysieren", sagt Morena von Next Atlas. "Welcher Modeltyp mit welcher Ästhetik hat in der Vergangenheit am besten abgeschnitten?" Daraus ließen sich Parameter für zukünftige Kampagnen ableiten. Und so weiter, und so weiter - die Möglichkeiten sind unbegrenzt.

Es wird analysiert, was auf der Straße gut ankommt

Schon lange ist die Modebranche nicht mehr die fantastische Glaskugel-Welt, die sie früher einmal war. Auch Stardesigner bekommen mittlerweile Excel-Listen mit Abverkaufszahlen vorgelegt. Viele der hochkreativen Entwürfe vom Laufsteg erblicken nie das Neonlicht einer Ladenfläche, weil die Orderzahlen schon im Vorfeld eher auf "schwer verkäuflich" hindeuten.

Labels wie Sandro oder Maje analysieren bereits, welche Farben, Silhouetten und Stile auf der Straße momentan am besten ankommen. Ihre Kollektionen sind dann, so ein Zufall, ziemlich genau darauf abgestimmt. Mit dem Internet und Social Media, mit Big Data, wie das massenhafte Sammeln und Auswerten von Daten genannt wird, eröffnen sich nun noch ganz andere Möglichkeiten.

Trends lassen sich vorhersagen, Beispiel: die Bomberjacke

Vor allem die großen Online-Shops können davon profitieren, sagt Katie Smith von "Edited", dem größten Anbieter von Echtzeit-Monitoring, der sich vor allem auf den Handel spezialisiert hat und Boutiquen wie Asos und Farfetch oder Luxusmarken wie Salvatore Ferragamo mit Daten versorgt. "Angenommen, Sie glauben, diese gestrickten Cardigans bei den Männerschauen in Mailand seien für Ihre Kunden genau das Richtige - dann schadet es ja trotzdem nicht, zur Sicherheit noch ein paar Daten dazu einzuholen", sagt Smith.

Man könne beispielsweise sofort sehen, ob die gezeigten Strickjacken auch in Social Media "getriggert" haben, und parallel die Marktlage checken. "Sind schon ähnliche Artikel aktuell in den Online-Boutiquen? Und wenn ja, wie lange hat es gedauert, bis sie verkauft wurden? Zu welchem Preis? Ist der Markt schon reif für diesen Trend? Das alles wollen Sie als Einkäufer vielleicht wissen, bevor Sie ein paar Hunderttausend Euro in den Sand setzen", sagt Smith.

Konkurrenzbeobachtung hieß früher, die Schaufenster der Wettbewerber im Blick zu behalten und vielleicht ab und zu mal "undercover" im Laden vorbeizuschauen. Im Zeitalter des Internet-Shoppings steht man quasi mitten in der Ankleidekabine der anderen: Edited-Kunden bekommen laufend Informationen darüber, was große Online-Boutiquen gerade so verkaufen und zu welchem Preis, und können daraus ablesen, ob bestimmte Trends gerade Fahrt aufnehmen - man diese also möglichst noch zusätzlich anheizen sollte. Oder ob ein großer Konkurrent wie Net-a-porter gerade anfängt, die Rüschenblusen bereits zu reduzieren - dann sollte man da womöglich auch mitgehen, um hinterher nicht auf all dem Gerüschten sitzen zu bleiben.

Noch immer ist der größte Verlustbringer des Handels der "Overstock", Ware, die stark reduziert oder gar nicht verkauft wird. Der englische Online-Store Asos soll mithilfe von Edited rund 30 Prozent profitabler geworden sein.

Die herkömmliche Trendforschung versagt

Auch wie lange sich ein Trend halte, lasse sich durch Social Media vorhersagen, erläutert Smith. "Die klassische Trendforschung hätte den nietenbesetzten "Rockstud"-Pumps von Valentino oder der Skinny-Jeans traditionell höchstens ein paar Saisons gegeben. Weil sie aber immer wieder in beliebten Streetstyle-Bildern auftauchten, konnten wir deutlich sehen, dass diese Trends auch nach vier Saisons keineswegs dabei waren, sich zu verabschieden." Aktuell ist die Bomberjacke ein Dauerbrenner, bei dem noch kein Ende in Sicht ist.

Die herkömmliche Trendforschung? Sieht dagegen bisweilen blass aus. 2014 etwa erklärte Pantone den Lila-Ton "Radiant Orchid" zur Farbe des Jahres. "Wir schauten daraufhin auf unsere Daten und stellten fest, dass diese Farbe in der Vergangenheit eigentlich nie gut funktioniert hat, sondern sogar extrem häufig vorab reduziert wurde", erzählt Smith. "Radiant Orchid" floppte tatsächlich, was zumindest bei Edited niemanden überraschte.

In anderen Bereichen ist Big Data schon länger ein Riesentrend. Im Fußball werden sämtliche Daten eines Spielers gesammelt und aufbereitet. Welcher Kicker braucht mal eine Spielpause? Was ist die bevorzugte Torschussrichtung eines Stürmers? Wer wäre der ideale Neuzugang für einen Club? Die Technik wird hier gern als "der zwölfte Mann" bezeichnet. Firmen wie "The Next Big Sound" analysieren für die Musikindustrie die Daten von Shazam und Social Media, um daraus die perfekten Hits für die jeweilige Zielgruppe zusammenzusetzen. Die einen schaudert es bei dem Gedanken, die anderen sehen darin die totale Effizienz. Intuition ist gut, Fakten sind besser.

Die Folge in der Mode ist zumindest, dass uns von den Marken und den Boutiquen immer öfter genau die Sachen angeboten werden, die uns - bewusst oder unbewusst - bereits gefallen. Das Angebot wird perfekt auf die Käufer zugeschnitten. Ganz neue Dinge, von denen wir noch gar nicht wissen können, dass sie uns vielleicht gefallen könnten? Begegnen uns womöglich zunehmend weniger.

Zu großes Risiko, weil unberechenbar.

"Die Technik ist dabei, die Modebranche von Grund auf zu revolutionieren", ist sich Smith sicher. Überall würden "Chief Technical Officers" eingestellt, die den Datenfluss von der Produktion über die Lieferkette bis zum Marketing perfektionieren. Trotzdem würden Daten natürlich nie die Kreativität eines Designers ersetzen. "Aber sie sind ein enormes Hilfsmittel und ein riesiger Wettbewerbsvorteil, wenn man sie richtig einsetzt", sagt Smith. Oder wie es der amerikanische Denker William Gibson einmal formulierte: "Die Zukunft ist schon passiert. Aber nicht jeder hat Zugriff darauf."

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