Mode:Raus aus der Fotohölle

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Muss man wissen? Nicht unbedingt, aber immer mehr Leute erfreuen sich an den kurzen Textbotschaften des Modebloggers Beka Gvishiani auf Stylenotcom. Er selbst will nicht fotografiert werden. (Foto: Instagram)

Die Mode ertrinkt inzwischen regelrecht in Bildern, die alle Welt im Netz hochlädt. Wo ist das Gegengift? Im Netz natürlich. Dort beschränkt sich der georgische Blogger Beka Gvishiani auf das Wesentliche.

Von Dennis Braatz

Wenn von New York bis Paris Modewochen stattfinden, werden auf Instagram inzwischen so viele Fashion-Fotos und -Videos hochgeladen, dass von einer Berichterstattung eigentlich kaum noch die Rede sein kann. Spamming trifft es eher. So richtig mithalten kann dabei niemand mehr, und während der vergangenen Runde im Februar schien es nicht einmal die Modewelt selbst noch zu schaffen. Ihr neuestes Ding wurde ein Account, der gar keine Bilder zeigt.

Er heißt Stylenotcom und spielt streng genommen nichts weiter aus als Schlagzeilen-Posts in weißer Versalienschrift auf königsblauem Fond. Mal sind es reine Nachrichten: "Jaquemus zeigt die nächste Kollektion auf Hawaii". Mal werden kleine Geschichtslektionen erteilt: "Lacostes Vorname war René." Häufig werden auch Details zu modischen Großereignissen bekanntgemacht, nach denen nie jemand gefragt hat. Als etwa Chanels letzte Couture-Show von Charlotte Casiraghi hoch zu Ross eröffnet wurde, erschien auf Stylenotcom: "Der Name des Pferdes auf Chanels Laufsteg lautet Kuskus". Unterm Strich serviert der Account also modisches Smalltalk-Wissen. Irgendwie unnütz, aber amüsant und ironisch aufgemacht - eine Branche, die sich gerne zu wichtig nimmt, bewitzelt und ehrt das zugleich. Vor allem fällt es auf. In den vergangenen acht Wochen hat sich die Zahl der Abonnenten fast verdreifacht, auf mehr als 22 000. Zu den prominentesten Followern zählen Marc Jacobs, Jonathan Anderson und der Starkritiker Tim Blanks.

Verantwortlich dafür ist Beka Gvishiani. Der 30-jährige Georgier lebt in Tiflis. Als die Stadt im Juli mal wieder im Lockdown lag, startete er Stylenotcom zum Zeitvertreib. "Der Name ist eine Referenz an die Fashion-Newsseite Style.com, das Blau und Weiß erinnern an die Farben der Boutique Colette", sagt er. Zwei Mode-Instanzen, die 2017 geschlossen wurden und noch heute schmerzlich vermisst werden. Merke: Hier ist jemand am Werk, der sich wirklich auskennt.

(Foto: Instagram)

Gvishianis eigentlicher Beruf ist es, Designer beim Aufbau einer geschäftlichen Infrastruktur zu unterstützen. Aber auch im Privatleben beschäftigt er sich am liebsten nur mit Mode. Welches Haus eine bestimmte Kollektion wann und wie über den Laufsteg schickte, rattert er runter wie andere Leute ihre Einkaufslisten. "Ich vergleiche mich manchmal mit Nigel aus dem Film ,Der Teufel trägt Prada`. Es gibt da diese Szene, in der er erklärt, dass er als Teenager lieber Modemagazine las, anstatt Fußball zu spielen", sagt er.

Gvishianis erstes Modemagazin war die Juli-Ausgabe der russischen Vogue aus dem Jahr 2008. Auf dem Cover: Natasha Poly mit leicht gespitzten Lippen, umrahmt von goldenen Lettern. "Ich habe das Heft an einem Kiosk entdeckt. Das war einfach Wow! So etwas hatte ich ja noch nie gesehen", sagt er. Topmodels, Designerkleider und ihre Inszenierungen fanden zu diesem Zeitpunkt in Georgien nicht statt (in Tiflis gab es nicht mal H&M), kurz darauf brach der Kaukasuskrieg aus. Um sich wegzuträumen, kaufte Gvishiani jeden Monat eine neue Vogue. "Aber nur die russische Ausgabe. Dass es noch mehr gibt, habe ich erst herausgefunden, nachdem mir meine Eltern einen Internetzugang ermöglichten."

In seinem Archiv lagern mehr als 1000 gedruckte Modehefte

Er googelte: "Was ist Vogue?" Und auf dem Bildschirm poppten die Titelbilder der amerikanischen und französischen Ableger auf, die der Harper`s Bazaar und des W Magazine. Gvishiani war so fasziniert, dass er anfing, neue Cover in Foren zu kommentieren und die Ausgaben zu ordern "Auf Thefashionspot.com brachte ich es auf rund 20 000 Kommentare, in meinem Archiv liegen inzwischen über 1000 gedruckte Hefte." Sein Wissen kanalisierte er irgendwann in einem eigenen Blog namens Glossy Newsstand - und als sich in Tiflis eine eigene Modeszene zu entwickeln begann, fragte ihn eine Designerin, ob er bei einem Shooting helfen könnte. Da war Gvishiani 21 Jahre alt.

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Heute ist sein Job eine Art Full-Service für kleinere Labels: Shows, Showrooms, Shops. Alles organisiert er. Zur Modewoche in Paris war er deshalb schon oft. Immer aber im Hintergrund, bis tief in die Nacht schuftend und weit davon entfernt, auf eine große Show eingeladen zu werden. Er sagt: "Ich weiß, wie es ist, der Assistent zu sein."

Gvishianis Weg in die Frontrow startete, als ihn jemand im September des vergangenen Jahres mit zur Balenciaga-Show nahm. Die Location war das Théâtre du Châtelet. Drinnen im Saal saß das Publikum und sah auf einer Leinwand, was draußen passierte, nämlich das eigentliche Defilee: Models und Stars liefen in den neuesten Entwürfen über einen roten Teppich und mimten vor Fotografen das Schaulaufen bei einer Preisverleihung. Die Bilder fluteten sofort Instagram, und Gvishiani lieferte mit Stylenotcom die passenden Headlines: "Naomi bei Balenciaga", dann "Cardi B bei Balenciaga" und "Standing Ovations für Demna Gvasalia bei Balenciaga". Das Team des Designers und einige Gäste likten und teilten seine Posts. Seitdem wird die Branche immer verrückter nach Gvishiani. "Die Leute sagen, dass ich keine Bilder poste, mache ihnen viel mehr Lust auf das Ganze und wirke fast verführerisch."

Auf Stylenotcom postete er "Glory to Ukraine"

Vor ein paar Wochen konnte sich Gvishiani in Mailand und Paris vor persönlichen Einladungen auf Modenschauen dann kaum noch retten. Einen Termin nach dem anderen absolvierte er. "Es war toll, dass mich alle kennenlernen wollten, aber wegen des Krieges in der Ukraine war die Stimmung auch sehr beklemmend", sagt er. Wie damit umgehen? Das war die heikle Frage, die sich die sonst stets gut gelaunte und feierlustige Mode stellte. Weil Gvishiani einen Button in Form der ukrainischen Flagge trug, wurde ihm die Frage auch direkt gestellt. "Manche dachten, ich sei Ukrainer. Weil ich als Georgier die Situation aber besser als viele andere nachempfinden kann, konnte ich zumindest aufklären." Auf Stylenotcom postete er "Glory to Ukraine" und teilte in den Stories News und Informationen über den Krieg aus anderen Medien, Bilder ausnahmsweise inklusive. Die medialen Reaktionen der meisten Designer fielen dagegen zaghaft aus, einige schwiegen. Nur Demna Gvasalia von Balenciaga wurde deutlich.

Gvasalia stammt wie Gvishiani aus Georgien. Als dort 1993 der Bürgerkrieg ausbrach, floh er aus dem Land. Ein Trauma, das ihm der Krieg in der Ukraine wieder in Erinnerung rief und zum Thema seiner Show wurde: Die Models ließ er wie Geflüchtete durch einen Schneesturm ankämpfen. Backstage wurden Gvishiani und Gvasalia einander vorgestellt. "Ich habe ihn einfach auf georgisch angesprochen, woraufhin er sagte: Dann weißt du ja, warum ich die Show so machen musste." Das tun, was sich richtig anfühlt, will auch Gvishiani bei seiner Arbeit.

(Foto: Instagram)

Aktuell erhält er reihenweise Angebote für offizielle Kooperationen, die Modefirmen mit Stylenotcom eingehen wollen. "Sie fragen, ob ich ein Produkt zeigen kann." Auf einem Account, dessen visuelle Strategie nur kurze Texte vorsieht? Klingt schwer umsetzbar bis unmöglich. Weshalb Gvishiani derzeit auch alles absagt und erklärt, warum er keine Fotos und Videos machen will. Die Antworten der meisten Firmen darauf fallen übrigens überraschend positiv aus: "Sie finden es gut und wollen überlegen, wie man mal ohne Bilder weitermachen kann."

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