Männermode:Sattelfeste Eleganz

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Stilvoll auf dem Fahrrad? Bisher war das für Männer ein Problem. Doch nun gibt es Anzüge, die gut geschnitten und trotzdem strapazierfähig sind.

Von Anne Goebel

Sollte es auf den Britischen Inseln zum Äußersten kommen und Boris Johnson wird Premierminister, bedeutet das eine stilistische Zeitenwende. Ein Regierungschef, der Gipfeltreffen mit ins Gesicht gerutschtem Kunststoffhelm aufsucht, das Hemd womöglich lose vom kräftigen Tritt in die Pedale - das ist nicht mal mehr ein Abklatsch des englischen Gentleman aus Downing Street Nummer 10. Wobei Johnsons Leidenschaft für Fahrräder eigentlich seine beste Eigenschaft ist, und er bräuchte dabei auch gar nicht so verheerend auszusehen. "Functional formal" heißt die Lösung: Strapazierfähige Zweiteiler sind ein neuer und lukrativer Trend in der Männermode.

Radfahrende Herren hat es immer schon gegeben, frühe Fotografien zeigen sie leicht angespannt mit Melone oder Frack auf dem "Penny Farthing", dem Hochrad. Doch je mehr das Velo zum Fortbewegungsmittel der Massen wurde, desto unvorteilhafter sahen die Menschen darauf aus. Heute gehört grellbunte Funktionsbekleidung mit Gesäßpolstern auf den elegantesten Boulevards der Welt zum Straßenbild.

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Mit dem schönen Wort "Casualisierung" umschreibt Alexander Davaroukas diesen Umstand, sein Missfallen bemerkt man trotzdem deutlich. Davaroukas leitet in München das Maßatelier Monokel und kommt jeden Tag mit dem Rennrad zur Arbeit. Im Anzug natürlich. "Doch, das geht", sagt er, einen winzigen Hauch Spott in der Stimme. Es ist ein kühler Maitag, Davaroukas' mitternachtsblauer Nadelstreif sitzt tadellos. Heute auch? Geduldiges Nicken. "Ja, das geht auch damit."

Natürlich ist es für einen guten Herrenschneider normal, in jeder Lebenslage akkurat gekleidet zu sein. Neu ist: Das wollen auch die Kunden - und zwar ohne sich aus dem Flow des Großstadtlebens auszuklinken. Mit dem E-Scooter ins Büro - kein Fältchen am Anzug. Per Cityroller oder Designerrad zum Termin - die Bügelfalte hält.

Bei Monokel gibt es ganze Mustermappen voll mit knitterfreien "Fahrradfahrerstoffen", wie Davaroukas sie nennt. Er holt eine davon aus der Schublade, die Linie "Rain System" des italienischen Edelherstellers Loro Piana. Davaroukas, gebürtiger Nürnberger, der seit seinem Eintritt in ein britisches Internat mit 15 Jahren nur selten ohne Anzug das Haus verlässt, umfasst mit Druck einen der federleichten Stofflappen. Himmelblau, matte Oberfläche. Er lässt los. "Da passiert gar nichts", erklärt er. Das Gewebe ist glatt und ebenmäßig wie zuvor. Sogar Flüssigkeit perlt daran ab. Die Demonstration mit dem Wasserglas macht er oft. Denn: "Die Nachfrage nach solchen Anzügen steigt bei uns stetig. In Bewegung sein und gut aussehen schließt sich längst nicht mehr aus."

Den Markt haben viele Hersteller erkannt. Das liegt nicht nur am Verkehr in chronisch verstopften Innenstädten wie London oder Paris, der den gehetzten Berufstätigen gar keine andere Wahl als das Zweirad lässt. Dazu kommt das ökologische Prestige des CO₂-neutralen Fortbewegungsmittels - und der Hype um das Fahrrad als Lifestyle-Produkt. Wer sich auf einem 18-Gang-Urban-Bike in Polar Silver für mehrere Tausend Euro durch die Straßen schlängelt, gehört potenziell zum Kreis beruflicher Anzugträger.

Die New Yorker Marke Bonobos zum Beispiel hat die Linie "Jetsetter" mit Stretchanteil im Programm. Kenneth Cole aus London bewirbt seine "Endurance"-Kollektion aus atmungsaktiver Wolle mit dem markigen Spruch "workwear for the man about town", Berufskleidung für den dynamischen Mann. Für das etwas üppigere Budget gibt es etwa ein Modell von Designer Paul Smith, selbst passionierter Großstadtradler. Smith hat die Kampagne für seinen formstabilen Zweiteiler mit dem Kunstturner Max Whitlock filmen lassen. Eleganter Anzugträger bei der Kreisflanke - der Spot ist ein Youtube-Hit.

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Die technischen Merkmale solcher Entwürfe sind immer dieselben: Stoffe mit einer gewissen Elastizität und ein Schnitt, der an den beanspruchten Stellen wie Schultern und Rücken Bewegungsfreiheit lässt. Wie formal oder nonchalant das am Ende aussieht, bei Hugo Boss oder Zegna, variiert. Giorgio Armani hat sich bei seiner neuen "Travel Capsule Collection" für eine legere Silhouette entschieden. Die Teile für Männer und Frauen sind ab kommenden Monat erhältlich, und der Meister aus Mailand versteht sie als Hommage an das "Unterwegssein als Freiheit und Identität", wie es poetisch im Begleittext heißt.

Bei Monokel mit Hauptsitz im Berliner Regierungsviertel - der Laden in München ist erst ein paar Wochen alt - setzen sie auf kompromisslose Klassik. Hier soll nichts lässig verrutschen an Sakko oder Hose, wenn sich der Träger aufs Rad schwingt. Spielraum wird verdeckt eingearbeitet, durch ein exakt bemessenes Armloch oder Bundfalten, die Zug von den Schenkeln nehmen. Die erstaunliche Auswahl flexibler Stoffe reicht vom klassischen "Zealander" bis zum rustikaleren "Tweed Run".

Was man da noch falsch machen kann? Die quer umgeschnallte Tasche, sagt Davaroukos leicht gequält. Wenn er Männer sehe, die beim Radeln ihr schönes Revers mit einem breiten Gurt regelrecht abschmirgeln, könne er gar nicht hinschauen. Unterboten werde das nur noch von diesen kreischbunten Klemmen zum Bändigen flatternder Hosenbeine. Boris Johnson würde man ein solches Hilfsmittel glatt zutrauen.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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