Mobile Kommunikation:Stilles Örtchen

Mobile Kommunikation: Eine für Büros gedachte Telefonzelle in Finnland.

Eine für Büros gedachte Telefonzelle in Finnland.

(Foto: Framery)

Ständig fremden Gesprächen lauschen zu müssen, nervt. In Büros und Cafés kehrt deshalb gerade die Telefonzelle zurück.

Von Jan Kedves

Ach, würden sich doch endlich verbindliche Verhaltencodes durchsetzen dafür, wie man im Digitalzeitalter sein Bedürfnis nach Ungestörtheit durch öffentliche Ferngespräche anmeldet. Man hadert ja jedes Mal von Neuem - wenn der Sitznachbar im Wartezimmer am Handy eine halbe Stunde lang über seine Kaninchen Kiki und Coco erzählt oder wenn jemand im Café eine wichtige Arbeitsbesprechung per Skype so laut führt, dass alle mithören müssen. Kürzlich im Zug bestellte eine Dame per Handy ein Paket und schrie nicht nur Name und Adresse in ihr Gerät, sondern auch ihre Kreditkartennummer samt Sicherheitscode. Die Blicke der mithörenden Fahrgäste: genervt, verstört, wandernd. Vielleicht schreibt ja doch jemand mit?

Augenrollen bringt gar nichts, die Aufmerksamkeit des Telefonierenden ist vom Gespräch ohnehin so absorbiert, dass er sämtliches genervtes Gedeute entweder gar nicht oder höchstens am Rand registriert. Mutig ist hier derjenige, der dem Plaudernden auf die Schulter tippt und freundlich sagt: Pardon, es interessiert mich nicht und es nervt übrigens. Mutiger ist der, der in das Gespräch wie selbstverständlich einsteigt und Verständnisfragen stellt: Entschuldigung, wer ist denn jetzt genau fremdgegangen, oder: Sind Kiki und Coco stubenrein? Fast niemand traut sich so etwas.

Die Sehnsucht nach akustischen Trennern ist groß, denn es ist anstrengend, andauernd unfreiwillig eine Form des Gesprächs mitzuhören, das in der Psychologie "Halbalog" genannt wird (weil man vom Dialog nur die Hälfte mitbekommt). Kein Zufall, dass parallel zum Siegeszug der Mobiltelefonie die dicken Kopfhörer sich im Stadtbild etabliert haben. Häufig hören die Leute gar keine laute Musik, sondern sie tragen die Kopfhörer nur, um sich vom permanent superwichtigen Getalke der anderen abzudichten. Kopfhörer als Anti-Telefon-Zelle, in die man sich mit seinem Ruhebedürfnis hinein zurückzieht, während die Telefonierenden die ganze Welt zu ihrer riesigen privaten Telefonzelle gemacht haben.

Es war also vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die alltägliche Genervtheit des Einzelnen auch zu einem Comeback führt: Die Telefonzelle ist wieder da. Nicht als stinkendes Plastikhäuschen in Signalfarbe auf der Straße. Sondern als Separee in geschlossenen Räumen, in denen man nicht allein ist.

Die klassische Telefonzelle war Ende des 19. Jahrhunderts dafür erfunden worden, dass das Privatgespräch privat bleibt. Diejenigen, die sich aus dem Fluss des alltäglichen anonymen Miteinanders im öffentlichen Raum ausklinken, um mit einer unsichtbaren Person zu reden, sollten dafür eine geeignete Kabine bekommen. Natürlich gab es auch eine technische Notwendigkeit, das Telefonkabel kam eben nur da aus der Erde oder der Wand, wo der öffentliche Fernsprecher hing oder stand. Die technische Gebundenheit gibt es heute nicht mehr. Sodass es bei der Sehnsucht nach der Telefonzelle eher um die Sehnsucht nach einem sozialen Kontrakt geht. Zum Anprobieren geht man in die Umkleidekabine - obwohl man die Hose ja auch direkt an der Stange anprobieren könnte. Zum großen Geschäft zieht man sich in die Klokabine zurück, etwas anderes will man sich auch nicht vorstellen. Die neue Telefonzelle könnte im hypermobilen Digitalzeitalter ein Hilfsmittel sein, das einen davor bewahrt, sich plaudernd die Blöße zu geben und andere zu belästigen.

Cubicall und Zenbooth heißen zum Beispiel die Telefonboxen, die von kalifornischen Firmen seit einigen Jahren in Serie produziert werden. Sie werden zu Hunderten in amerikanischen Großraumbüros installiert, wo die Angestellten laut einer Untersuchung der Harvard Business Review täglich im Durchschnitt 86 Minuten Arbeitszeit verlieren durch Geräuschbelastung, womit nicht zuletzt die Telefonate der anderen gemeint sind. Wer kein eigenes Büro hat, kann so wenigstens in eine Stahlbox mit Milchglastür, Steckdose, USB-Anschluss und LED-Beleuchtung gehen, um ein ungestörtes und unstörendes Telefonat zu führen.

Auch in deutschen Büros ist das Problem erkannt - und wird mit dem Upcycling-Trend verbunden: Die Ratingener Designfirma Habicht & Habicht zum Beispiel baut alte gelbe Telefonzellen der Deutschen Post, von denen es auf Telefonzellen-Friedhöfen ja noch massig gibt, zu luxuriösen Mini-Telefon-Lounges aus. Die stehen dann in Düsseldorfer Werbeagenturen und sind so beliebt, dass man vor ihnen Schlange stehen muss, um drinnen Deals zu besprechen. Was vermutlich dann doch eher am Handy geschieht als an dem Analog-Telefon, das aus Gründen der Retro-Ästhetik auch installiert ist. Aber eben: in Ruhe.

Eine Plexiglas-Haube, die ein bisschen aussieht wie die Trockenhaube beim Frisör

Dass Unternehmen die Produktivität steigern wollen und deswegen in Telefonboxen investieren, ist immerhin billiger, als sich das Scheitern des Konzepts Großraumbüro insgesamt einzugestehen. Das leuchtet ein. Doch selbst Cafés beginnen nun, Telefonzellen zu installieren. Das Café St. Oberholz am Rosenthaler Platz in Berlin wurde vor zehn Jahren berühmt als Arbeitsraum der sogenannten Digitalen Bohème, die dort ihrer neuen Mischung aus Geldverdienen per Wlan, Laptop und Bionade-Trinken nachging. Im St. Oberholz hängt seit einigen Monaten eine gelbe Telefonmuschel an der Wand, sprich: eine Plexiglas-Haube, in die man den Kopf samt Handy hineinsteckt, womit man ein bisschen aussieht wie unter der Trockenhaube beim Frisör. Da, wo früher das Festnetztelefon befestigt war, hängen nun Post-it-Blöcke für Notizen. Von vielen Gästen, die das St. Oberholz als Büro betrachten, wird die Haube gern und ausgiebig genutzt.

Gleich nebenan im neuen Café Hermann's, in der Torstraße, steht ein zwei Quadratmeter großer Glaskasten mit Tür. Kein Kabel, kein Retro-Telefon, kein Plüschsessel stört die spartanische Einfachheit dieser Telefonzelle. Wobei eine Mitarbeiterin des Hermann's korrigiert: "Eigentlich ist die Glasbox gar nicht als Telefonzelle gedacht, sondern in ihr soll bald ein Kiosk eröffnen, aber wir haben noch nicht genügend Produkte zusammen." Solange die Box leer ist, gehen immer mal wieder Café-Gäste hinein, um zu telefonieren.

Wenn ein Raum, der gar nicht als Telefonzelle gedacht war, als solche genutzt wird, kann man wohl sagen: Es gibt ein Bedürfnis nach Telefonzellen. In der Glasbox fühlt man sich ein bisschen wie die Avantgarde der neuen telefonischen Geheimnistuerei. Wobei: Man wird von den anderen Gästen darin gar nicht beachtet. Man stört sie nämlich nicht. Und so soll es ja sein.

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