Süddeutsche Zeitung

Spitzenküche in Deutschland:Wo Gutes ist, kommt oft Gutes nach

  • Der Michelin hat sich zuletzt immer weiter geöffnet, notgedrungen, aber nicht ohne Geschick. Zum "Unternehmen Sterne" gehören längst eine App sowie Bewertungskommentare für User.
  • In diesem Jahr ist der Restaurantführer erstmals Ende Februar erschienen, eine bedeutsame Änderung.
  • Die deutsche Spitzengastronomie konsolidiert sich weiter auf hohem Niveau.

Von Marten Rolff

Seinen Ruf als wichtigster Gastronomieführer der Welt verdankt der Guide Michelin nicht zuletzt dem Prinzip, sich niemals zu erklären. Als Zutaten für den Erfolg reichten jahrzehntelang einige allgemein gehaltene Kriterien (Qualität, Beständigkeit, Kreativität) und feste anonyme Testesser ("Inspektoren"), über die vor allem Gerüchte kursierten. Man listete jährlich kommentarlos die besten Restaurants des Landes in einem roten Buch auf, dazu gab es eine Hotline für die wenigen Köche, die das Urteil des Guide (drei, zwei, ein oder kein Stern) nicht als gottgegeben hinnahmen, sondern partout eine Begründung wollten. So entstand ein viel umrauntes Bewertungsverfahren, das über Generationen verlässlich den Mythos nährte. Doch im Zeitalter der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie ließ sich das natürlich nicht so lautlos aufrecht erhalten.

Der Michelin hat sich zuletzt immer weiter geöffnet, notgedrungen, aber nicht ohne Geschick. Zum "Unternehmen Sterne" gehören längst eine App, Bewertungskommentare für User, ein Buchungssystem, eine pompöse Jahresgala sowie Besprechungstermine für Köche in der Karlsruher Deutschlandzentrale. Und zu den neuen Erfahrungen der Gourmetfirma gehört auch, dass sie sich öfter erklären muss, als ihr lieb sein kann. Man übt also noch.

In diesem Jahr ist die deutsche Ausgabe des Guide Michelin erstmals Ende Februar erschienen

Da wäre etwa die Sache mit dem Erscheinungsdatum, für viele Köche der wichtigste Termin des Jahres. Die deutsche Ausgabe des Michelin wird traditionell im November veröffentlicht. In diesem Jahr erscheint sie nun erstmals Anfang März, eine bedeutsame Änderung, die man aber erst im August verkündete, holperig spät und eher nebenbei, mit der Begründung, neue Städteausgaben des wachsenden Guide machten weltweit eine Entzerrung der Termine nötig. Deutsche Köche, die finden, eine Sternevergabe sei im Advent werbewirksamer als zu Beginn der Fastenzeit, werden sich nun damit trösten, dass Franzosen und Italiener schon länger mit Terminen im Januar und März gut leben.

Noch schwerer zu erklären war dann der unschöne Eindruck, Sterne seien für manche Köche keine Ehre mehr, sondern eine Bürde, die man einfach zurückgeben könne. In Deutschland kündigten Fernsehkoch Johann Lafer und der Sylter Jörg Müller an, auf Gourmetküche verzichten zu wollen, um kein Ziel für Inspektoren mehr sein zu müssen. Ungleich schwerer aber wog die Bitte des französischen Drei-Sterne-Kochs Sébastien Bras, Sohn des Nationaldenkmals Michel Bras, ihn im Pariser Michelin 2018 nicht mehr zu führen, damit er frei von Druck arbeiten könne. Nach langem Zögern entsprach der sichtlich verärgerte Guide Rouge dem Wunsch zunächst, nur um Bras in der französischen Ausgabe für 2019 dann doch wieder zu führen, wegen einer Änderung seines Konzeptes allerdings nur noch mit zwei Sternen.

Über welchem Herd welcher Heiligenschein strahlt, entscheidet eben nicht der Koch, sondern allein die Restaurantkritik - eine Regel, die Teil des alten Selbstbewusstseins des Michelin ist. Zum neuen Selbstbewusstsein des sich nun betont weltoffen gebenden Guide zählt dagegen, dass allein die Zeremonie der deutschen Sterneverkündung bei der Jahresgala in Berlin am Dienstagabend auf Oscar-ähnliche vier Stunden angesetzt wurde. Hier wollte man plötzlich sehr viel erklären, obwohl es für 2019 allzu viel Neues nicht zu verkünden gab.

Wieder einmal so viele wie nie

Die deutsche Spitzengastronomie, so lassen sich die Ergebnisse vom Dienstag unfallfrei, aber nicht eben reißerisch zusammenfassen, konsolidiert sich weiter auf hohem Niveau. Es gibt gleich fünf neue Zwei-Sterne-Restaurants sowie beachtliche 37 Häuser, die erstmals mit einem Stern geführt werden. Der neue internationale Direktor von Michelin, Gwendal Poullennec, sprach von einer "ungebrochen positiven Entwicklung", die gleichermaßen getragen werde von "Altmeistern" und "einer Generation junger Köche mit erstklassiger Ausbildung und frischen Ideen". Wo Gutes ist, kommt oft Gutes nach, könnte man auch sagen. In Deutschland gibt es nun 309 Sternerestaurants, wieder einmal so viele wie nie.

Demgegenüber stehen jedoch auch 31 Lokale, denen Sterne gestrichen wurden. Die spektakulärsten Fälle sind lange bekannt. So musste Drei-Sterne-Koch Thomas Bühner das "La Vie" in Osnabrück im Sommer überraschend schließen, weil sich der Investor zurückzog. Wer dieser Tage mit ihm spricht, trifft einen tiefenentspannten Koch, der bekennt: "Ich war lange nicht so glücklich wie heute", er habe endlich Zeit, Neues auszuprobieren.

Phantomschmerz klingt anders. In Berlin machten mit "Reinstoff" und "Fischers Fritz" gleich zwei Zwei-Sterne-Häuser zu, ein ungewohntes Gefühl für die Hauptstadt, auf die in den vergangenen Jahren ein wahrer Sterneregen niedergegangen war und in der man schon länger über das erste Drei-Sterne-Restaurant spekuliert. Im Schwarzwälder Gourmetdorf Baiersbronn dürfte die Bewertung von Wohlfahrt-Schüler Jörg Sackmann schmerzen, dessen Restaurant "Schlossberg" die Inspektoren den zweiten Stern nach sechs Jahren wieder aberkannten. Insgesamt verliert die Spitzengastronomie 2019 sechs Zwei-Sterne-Lokale, die beiden Topsegmente schrumpfen also jeweils um ein Restaurant.

Seit Jahren nun besingt der konservative Michelin die neue Lässigkeit der Spitzenküche

Als besonderen Erfolg wertet der Michelin die Leistung von Christian Eckhardt, der für das Restaurant "Purs" in Andernach bei Koblenz aus dem Stand zwei Sterne erkochte. Aber natürlich ist Eckhardt kein Unbekannter, er hat in den Küchen von Andreas Caminada und Sven Elverfeld gearbeitet und schon in der "Villa Rothschild" in Königstein war Eckhardt für seine Fähigkeit, vermeintlich gegensätzliche Aromen in harmonische Gerichte zu überführen, mit zwei Sternen bedacht worden.

Seit Jahren nun besingt der traditionell konservative Michelin die neue Lässigkeit der Spitzenküche in Deutschland. Langsam berücksichtigt der Gastroführer ungewöhnliche Konzepte auch öfter bei seiner Wertung. In Berlin, das vier neue Sternelokale hat, wurde das stark vegetarisch ausgerichtete "Kin Dee" ausgezeichnet, wo Küchenchefin Dalad Kambhu feine Thaiküche mit dem Regionalgedanken verbindet. Ebenfalls einen Stern erhalten das "Ernst", wo Dylan Watson-Brawn sich an der japanischen Kaiseki-Tradition orientiert, und das "Coda" von René Frank. In Deutschlands einzigem Dessertrestaurant verschiebt Pâtissier Frank mit Restsüße-Experimenten, filigranen Gemüsekombinationen und dem Verzicht auf klassische Zutaten wie Zucker oder Mehl schon länger die Grenzen der Nachspeise.

Im mittelfränkischen Heroldsberg trägt das "Sosein" nun einen zweiten Stern, auch weil Küchenchef Felix Schneider sich immer mehr zum Vordenker der neuen Regionalküche entwickelt. Das Restaurant "Alexander Herrmann" (Küchenchef: Tobias Bätz) im oberfränkischen Wirsberg erhält ebenfalls einen zweiten Stern. Und das nahe Nürnberg wird mit gleich drei neuen Sternerestaurants ("Koch und Kellner", "Waidwerk", "Der Schwarze Adler") endgültig zum Gourmetziel. Sollte man also im kulinarisch bisweilen etwas selbstgefälligen München Inspiration suchen: Nach Franken zu schauen, lohnt sich schon länger.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2019/fzg
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