Michelin Guide 2014:Hier zaubern Deutschlands beste Köche

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Deutschland, Gastroland: Der Guide Michelin hat so viele Restaurants ausgezeichnet wie seit 45 Jahren nicht mehr. 43 Sterne sind neu hinzugekommen. Von Sylt bis Rottach-Egern - die Übersicht für eine Gourmetrundreise durch die Republik.

Von Judith Liere und Marten Rolff

Wer in den vergangenen zwei, drei Jahren Interviews mit Michelin-Offiziellen führte oder las, konnte schon mal ins Grübeln geraten. Natürlich - der weiterhin leicht hölzerne Duktus mochte vertraut klingen. Aber inhaltlich? Sprachen hier wirklich noch die notorisch zugeknöpften Gourmet-Funktionäre, deren schmallippige Strenge Köche in ganz Europa gleichsam fürchteten wie klaglos akzeptierten?

Nein, neuere Äußerungen erinnern eher an eine kulinarische Kumpeltruppe, plötzlich irritierend begeisterungsfähig und stets zu Diensten, immer auf der Suche nach den besten Läden für die essensverrückte Deutschland-WG.

Die Republik sei am Herd fantastisch aufgestellt, Qualität nicht nur in der Spitze, sondern endlich auch in der Breite, man habe gleich eine ganze Fülle von herrlich unkomplizierten Lokalen entdeckt, in denen hervorragend gekocht werde, säuselte zum Beispiel der Karlsruher Michelin-Chef Ralf Flinkenflügel im vergangenen Jahr. Ein Urteil, das sich - dazu später - diesmal noch eindrucksvoll verstärken sollte.

Und aus anderen Ländern ist ein ähnlicher Tonfall zu hören. Exzellenz, wohin man schaue, urteilte etwa Michelin-Direktor Michael Ellis über Italien in der vergangenen Woche. Doch was ist da passiert?

Die Steigerung von Superlativen

Zwei mögliche Erklärungen: Die deutsche Spitzenküche hat sich - das ist unbestritten - in den letzten 20 Jahren enorm verbessert. Und Qualität zieht eben oft Qualität nach sich, manchmal sogar exponentiell. Zum anderen versteht sich der Guide Rouge traditionell als Nummer eins und will das verständlicherweise auch bleiben.

Gourmet-Restaurants in und um München
:Neue Stars der Spitzenküche

Unterm Strich ist's einer mehr: In der Guide-Michelin-Wertung von 2014 spielt München mit drei Zwei-Sterne- und neun Ein-Sterne-Lokalen gastronomisch im Spitzenfeld der deutschen Städte. Ein Überblick über neue und alte Gourmet-Tempel.

Da ist eine vorsichtige Imagekorrektur angebracht, denn vor allem den wirtschaftlichen Erfolg erzielt man in der Breite, mit dem Hochamt allein erreicht man die Menschen nicht mehr. Wer heute gut essen geht, will schließlich an einem gemütlichen Tisch sitzen und nicht an einem Altar.

Und so wirft auch die diesjährige Sternevergabe des Guide Michelin bei Gastrojournalisten zwei Fragen auf, die mittlerweile zum Prozedere zu gehören scheinen. Erstens: Gibt es eigentlich eine Steigerungsform zu Sterneregen? (Sternedauerregen?) Und zweitens: Hatten wir das nicht vergangenes Jahr schon geschrieben?

In Kürze liest sich das diesjährige Diktum wie folgt: 43 neue Sterne wurden vergeben, einen so großen Zuwachs binnen eines Jahres hat die zuletzt durchaus verwöhnte deutsche Spitzengastronomie seit 1968 nicht mehr erlebt. Zu den Glücklichen zählen ein neuer Drei- und gleich drei neue Zwei-Sterne-Köche sowie 39 neue Restaurants mit einfacher Wertung. Damit hat Deutschland 274 Sterne-Adressen, ein Rekord in jeder Hinsicht und ein gutes Viertel mehr als noch vor fünf Jahren.

Den vielen Gewinnern vom Mittwoch stehen nur 20 Lokale gegenüber, die ihren Stern verlieren. Wobei man sich bei Michelin hier sofort um eine Einschränkung bemühte: Die überwiegende Zahl der Aberkennungen habe nicht mit einem Qualitätsverlust der Häuser zu tun, sondern mit Schließungen und anderen äußeren Umständen. Prominentester Fall: das Kölner Zwei-Sterne-Restaurant "La Vision", das nach einem tragischen Unfall von Küchenchef Hans Horberth aufgeben musste.

Emotionaler als in der Champions-League

Alle Neuerungen ließ der Karlsruher Gastroführer - auch das ein Zeichen der neuen Offenheit - nun bereits im zweiten Jahr auf einer Pressekonferenz verkünden - in der Hauptstadt natürlich. Und dort kam es angesichts des Sternenhagels zu ergreifenden Szenen. Weil Christian Jürgens vom Restaurant "Überfahrt" in Rottach-Egern am Tegernsee am Donnerstagmittag als elfter Küchenchef in den begehrten Kreis der deutschen Drei-Sterne-Köche aufsteigen durfte.

Und weil Jürgens sich aus Freude darüber mit seinem Lehrer und Mentor Eckart Witzigmann so lange in den Armen lag, dass sie wirkten wie ein altes Liebespaar. "Wenn Sie kein Koch sind, können Sie sich nicht vorstellen, was sich gerade in mir abspielt", sagte Jürgens und erklärte etwas haspelig: "Das ist ein Olympiasieg, Champions League, Weltmeister und das entscheidende Tor geschossen haben zusammen." Aber "der Chef" habe ihm immer prophezeit, dass es so kommen würde, so Jürgens weiter. Und "der Chef", Ehrengast Witzigmann, nickte gerührt.

Dazu muss man wissen, dass Christian Jürgens, der schon lange als einer der besten Köche des Landes gilt und alle denkbaren Auszeichnungen gewonnen hat, seit elf Jahren auf den dritten Stern wartet. Und dass der nun 45-Jährige - bei Michelin ungern gesehen - das auch in Interviews anklingen ließ.

Seine Küche sei voller Finesse, Kraft und Ausdruck, lobte Michelin-Chef Ralf Flinkenflügel in Berlin. "Jürgens bringt die kulinarischen Dinge einfach auf den Punkt." Ein Schelm, wer Böses bei einer kleinen Zusatzinformation von Flinkenflügel dachte: In den vergangenen Jahren hätten die Tester Jürgens "Überfahrt" 20 Mal besucht, um ganz sicher zu sein.

Berlin strahlt besonders hell

Als zweiter großer Aufsteiger beim Guide Rouge darf die deutsche Hauptstadt selbst gelten: Berlin erhält ein neues Zwei-Sterne-Restaurant ("Facil") sowie gleich drei neue Ein-Sterne-Häuser (der bereits angemessen gehypte "Grill-Royal"-Ableger "Pauly Saal", das "Cinco by Paco Pérez" sowie "Les Solistes by Pierre Gagnaire", ein Filialrestaurant des französischen Starkochs.

Die ehemalige Currywurst-Destination etabliert sich damit immer weiter auch als deutsche Gourmet-Hauptstadt. "Was sich in den letzten 20 Jahren in Berlin getan hat, ist einfach unheimlich", schwärmte Michelin-Chefredakteur Flinkenflügel. Wenn auch ein entscheidendes Instrument für den internationalen Auftritt weiter fehlt: ein Drei-Sterne-Haus. Und aufgerüstet haben auch andere: Die Gourmethauptstadt Baiersbronn im Schwarzwald hat ebenso ein neues Zwei-Sterne-Lokal (Schlossberg) wie Frankfurt am Main (Tiger-Gourmetrestaurant).

Auch vier Küchenchefinnen zeichnete der Michelin aus. Die Hamburgerin Anna Sgroi eroberte für ihr gleichnamiges Restaurant den Stern zurück, den sie wegen Umzuges 2012 hatte aufgeben müssen. Neu erkochten ihn sich die Chefinnen im "Reisers am Stein" in Würzburg, im "Clara-Restaurant im Kaisersaal" in Erfurt sowie im "Spices" auf Sylt. Die Auszeichnung für "Spices"-Chefin Sarah Henke, 31, war allgemein erwartet worden.

Auf der Pressekonferenz versank sie in der für Frauen viel zu großen Michelin-Kochjacke, die ihr überreicht wurde, und musste erstmal die Ärmel hochkrempeln. Es gibt also weitere Betätigungsfelder für den Guide Michelin.

© SZ vom 08.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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