Michael Michalsky bei der Fashion Week:Geheimniskrämer mit Stimmgewalt

Lesezeit: 13 min

Designer Michael Michalsky und seine Models (Foto: dpa)

Zum Abschluss der Berliner Modewoche lädt Michael Michalsky in seinen Überwachungsstaat. Dort feiert er eine Party - die Dank Rita Ora das Flüstern schnell bleiben lässt. Eindrücke und Anekdoten von der Fashion Week.

Von Lena Jakat, Berlin

Ein besonders schrilles Streetwear-Outfit hier, eine interessante Begegnung dort: Die Fashion Week Berlin findet nicht nur auf, sondern auch neben den Laufstegen statt. An dieser Stelle werden wir Ihnen in den kommenden Tagen über kleine Beobachtungen, Eindrücke und Anekdoten am Rande des Laufstegs berichten.

Freitag, 9.30 Uhr, Liegestühle hinter dem Eingangsbereich

Klar, gibt es im Erika-Hess-Eisstadion auch Sandwiches zu kaufen, Kaffee und Schorle. Aber für die allermeisten Besucher wird die Fashion-Week-Diät vom Angebot der Sponsoren diktiert. Da sind am letzten Tag in Berlin-Wedding auch die letzten Hemmungen gefallen: Zum Frühstück gibt es Cola und Erdbeer-Joghurt- beziehungsweise Mangoeis.

9.50 Uhr, vor dem Eingang zum Runway

So exzentrisch die Kleidung mancher Fashionistas, so hoch einige von ihnen in ihren Plateau-Sandalen über den Dingen zu schweben scheinen, so alltäglich ist dann doch manche Konversation: Ihr Bruder ziehe gerade aufs Land, raus aus Berlin, in ein richtiges Haus mit Garten, erzählt die Frau mit den korallroten Nägeln und dem Dschungel auf der Brust dem jungen Mann. Sie diskutieren über das Für und Wider des Umzugs, aber naja, für die Kinder sei das sicher toll.

10.05 Uhr, Schau von Hien Le

Die Platzanweiser, die bei Modenschauen - auch in Deutschland - Seater heißen, bugsieren mich auf einen Platz in Block D, dritte Reihe, Platznummer 16. Bin ich plötzlich mit dem Designer verwandt? Oder mit dem Chefstylisten? Einem sonstwie beteiligten? "Reserved Family" steht auf meinem Platz. Ich frage mich, wer eigentlich hier sitzen sollte: Die zickige Cousine? Die herzige Tante?

10.40 Uhr, Schau von Sissi Goetze

Die Designerin Sissi Goetze rechnet offenbar damit, dass das Wetter kommenden Sommer so wird wie diese regenreiche Tropenwoche: In die Frühjahr-Sommer-Saison schickt sie die Herren mit kurzen Hosen - so kurz, dass sich darin prima auch durch tiefe Pfützen waten lässt.

Hosen mit und fürs Hochwasser: Die Entwürfe von Sissi Goetze. (Foto: Getty Images for IMG)

11 Uhr, Große Lobby

Es gibt Stunk am Stand des Schreibwarenkonzerns. Dort, wo sich Besucher sonst Notizbücher selbst zusammenstellen können - yay! -, dreht gerade ein Film- oder Fernsehteam. Eine Frau spricht vor dem Notizheftstand in eine Kamera. Das kann man aus unterschiedlichen Gründen tragisch finden. Die empörte Besucherin tut das vor allem aus einem: Weil sie jetzt 20 Minuten auf ihr Gratis-Heft warten muss.

14 Uhr, Media Lounge

Die Fotografen neben mir sichten im Sekundentakt die Aufnahmen der letzten Show. So automatisiert wischen und tippen sie auf dem Touchpad, dass sie ihre Gedanken davon völlig lösen und einem ganz anderen Thema widmen können: der gemeinsamen Leidenschaft für Oldtimer und der Frage, welche Art der Zulassung da jeweils am besten ist.

15.15 Uhr, vor dem Eingang zum Eisstadion

Auf dem Fußweg, der entlang eines vor sich hindümpelnden Kanals zum Eingang führt, finden erste Abschiedsszenen statt. Noch ein Foto, dann auf Wiedersehen, und, in gebrochenem Deutsch hinterher gerufen: "Gute Nacht!"

15.40 Uhr, Pizza- und Dönerladen in Wedding

Der Mann hinter der Theke ignoriert mich nicht, sondern ist freundlich, zuvorkommend und schwadroniert sogleich über das anstehende WM-Finale. Ein Gast am Spielautomat in der Ecke schwafelt halbminütlich von einem Jackpot. Männer in Blaumann trinken Zitronenlimo. Die Pizza hier kostet genauso viel wie ein Sandwich in der Fashion-Halle und ist mindestens genauso lecker. So schnell lässt sich zwischen Galaxien springen.

16.20 Uhr, vor dem Eingang zur Eishalle

Der Herr ist offenbar Jurist. Denn der Mann mit den grauen Schläfen und den Manschettenknöpfen berichtet in höchsten Tönen von einem Schlösschen in Meck-Pomm, "da hatten wir unsere Kanzleiklausur". Genau, er tut das in feinstem ... Schwäbisch. Genau. Welcome to Schwabylon.

19.55 Uhr, vor dem Tempodrom

Erst Punkt acht wird der Einlass zur für ihren Bombast bekannten Michalsky Stylenite beginnen. Man möge sich also noch gedulden. Und während man sich geduldet und schonmal in die hochhackigen Schuhe schlüpft, bleibt der Blick an einem Jungen hängen, der auf dem Sportplatz gegenüber einen ferngesteuerten Hubschrauber steigen lässt. Ist das etwa ... eine Drohne?

21.05 Uhr, im Tempodrom

Die Antwort ist auf der Großbildleinwand zu sehen: Ja, es war eine Drohne; die Person, die in dem Video gerade die Schuhe wechselt, ist verdächtig vertraut. Ein origineller Einstieg in die Präsentation der kommenden Frühjahr-/Sommerkollektion vom Michael Michalsky, die - ganz dem politischen Zeitgeist entsprechend - "Important Secrets" heißt. Was genau, abgesehen von der Drohne, dem Geflüster aus den Lautsprechern und der Fernglas-Optik auf der Leinwand geheimnisvoll sein soll, bleibt unklar. Die sportiven Matrosenoutfits der Herrenkollektion sind es jedenfalls nicht - oder sollen die Gefängniskluftstreifen am Ende an unsere selbstverschuldete Datenunmündigkeit erinnern? Als Geheimtipp geht zumindest die Berliner Designerin Esther Perbandt durch, die als Zwischengang ihre vielschichtige Kollektion zeigt.

22.10 Uhr, immer noch Tempodrom

Am Ende ist er dann doch mehr Marktschreier als Geheimniskrämer, Michael Michalsky. Er bietet eine gelungene Party, zu der er genau die richtigen Gäste eingeladen hat. Damit sind nicht die Models gemeint, die wohltuend kantige Silberblousons und weniger wohltuende Schmetterlings-Jumpsuits tragen. Auch nicht Wilson Gonzalez Ochsenknecht und Udo Walz, nicht Sonja Krause oder Franziska Knuppe. Sondern die Musik-Acts, allen voran Soulpopphänomen Rita Ora. Sie bringt alle unter der Zeltkuppel zum Wippen. "Ich find die viel geiler als Rihanna", so er fachkundige Kommentar des mutmaßlichen it-Girls neben mir. "Die hat's drauf." Hat sie. Sogar so, dass sie für einen Moment vergessen lässt, dass es hier um Mode geht. Tut es doch, oder?

Donnerstag, 11.40 Uhr, Schau von Roshi Porkar

Es ist ein Gewitter, das sie ankündigt. Die Blitze verdichten sich zum Strobo-Geflimmer, als sie sich in der ersten Reihe niederlässt. Es ist Tilda Swinton. Die Frau hat ihr Gesicht samt dessen hoheitlicher Exzentrik Mercedes-Benz für eine Kampagne geliehen - und damit der Fashion Week, die vom Autokonzern veranstaltet wird. Auf den Plakaten trägt sie einen Mantel ihres Freundes Haider Ackermann, der sie zur Schau von Roshi Porkar begleitet. Die sonst eher unterbeschäftigten Platzanweiser haben gut damit zu tun, die Fotografen auf Abstand zu halten, die sich mit "Tilda, Tilda"-Rufen um die Schauspielerin drängen. Frau Swinton blickt durch die Menge hindurch, starr und anmutig, wie eine Statue aus einer Novelle. Auf dem Handy-Foto wird sie später, erhellt von all dem Blitzlicht, ganz in außerweltlichem Weiß erstrahlen.

Leuchtet wie eine Statue: Tilda Swinton beehrt die Roshi Porkar Schau. (Foto: Clemens Bilan/Getty Images)

11.50 Uhr, Erika-Heß-Eisstadion

Kinder als Accessoire? Was Victoria Beckham in die Modewelt eingeführt hat, ist auch in Berlin angekommen. Bei der Schau an diesem Donnerstagmorgen fragt man sich unweigerlich, ob denn die Sommerferien schon begonnen haben. Die Rede ist nicht von den vielen pubertär-gelangweilten Teenagergesichtern. In der Front Row gegenüber sitzen zwei Jungs, der eine vielleicht acht, der andere zwölf Jahre alt. Ein sehr wichtig dreinschauender Herr trägt einen Jungen auf der Hüfte. Ein Mädchen im Grundschulalter hüpft über den Laufsteg, weiter unten haben ein Mädchen im Blumenkleid und ihr Bruder auf den weißen Polstern der ersten Reihe Platz genommen. Ob sie mit den Kreationen, die hier gezeigt werden, inspiriert von einem antiken Volksstamm aus Nordafghanistan, wirklich etwas anzufangen wissen?

Auf dem Weg zum Ausgang

An der Wand über der Tür mahnt ein Schild: "Spielen mit dem Puk im gesamten Gebäude verboten". Ach richtig, das hier ist ja ein Eisstadion. Fast vergisst man das zwischen all den Models und Bambuspflanzen. In diesem Moment ergeben auch die Ballettstangen und großen Wandspiegel im Pressezentrum endlich einen Sinn.

12.40 Uhr, roter Teppich hinter dem Empfangsschalter

Im klimatisierten Empfangsbereich werden die VIP-Gäste fotografiert - die Schauspielerin Carolina Vera, das Model Franziska Knuppe und etliche namenlos vertraute TV-Gesichter. Vor ihnen das Absperrband, hinter ihnen die Stellwand mit den Logos der Sponsoren. Ein paar Meter weiter, den Teppich entlang, gibt es noch mehr solcher Stellwände, bedruckt mit den Namen einer Kosmetikfirma, eines Hotels, eines Online-Shops. Hier in der Hitze posieren alle Nicht-VIPs und lächeln, statt klobigen Kameras, den Smartphones ihrer Begleiter entgegen.

12.50 Uhr, Eingangsbereich

Ist das da hinten nicht ... Sami Khediras Freundin Lena Gercke? Aus der Ferne sieht die große blonde Frau tatsächlich verdächtig aus wie das Model aus Cloppenburg. "Nee, das gibt's doch nicht", mutmaßt einer. "Die saß doch vorgestern noch im Stadion, die ist doch in Brasilien!"

14.40, Galerie Judin, Mitte

Im mobilen Backstagebereich von Augustin Teboul wird noch das letzte Model zurechtgemacht. Sie sitzt auf einer Bierbank, zwei Stylisten machen sich von hinten an ihrem Haar zu schaffen. Von vorne fuhrwerken zwei Menschen in ihrem Gesicht herum, bedecken ihre Wangen mit Puder, ihre Lider mit flüssigem Silber.

15.40 Uhr, Präsentation von Augustin Teboul

Die Musik zur Modeinstallation kommt aus dem Instrument eines Saxofonisten und von den Tastschaltern zu seinen Füßen. Lautes elektronisches Wummern füllt den Raum, durchbrochen von Schlagzeugbeats und wimmernden Saxofonklänge. Es ist, als würde die Musik die Luft jeden Körper im Raum vibrieren lassen.

16.20 Uhr, Bikini Berlin

"Unverkennbares Erkennungszeichen: Ich trage einen gelben Rock", hat die PR-Frau am Telefon gesagt. Doch als ich mich der Frau mit dem knallgelben Flatterrock nähere, blickt sie mich ratlos an. Sie dreht sich um und spricht jemanden auf Italienisch an. Doch ach! Da vorne ist ja noch ein gelber Rock!

17.30 Uhr, Lounge am Eisstadion

Das Interview mit dem Nachwuchsdesigner findet auf lindgrünen Sesseln unter rosa Lilien statt, die einen schweren Duft verströmen. In der Sitzgruppe nebenan wird eine amerikanische Schönheit interviewt; sie strahlt in ihrem orangefarbenen Kleid derart, dass sie unweigerlich immer wieder den Blick ablenkt.

18.20 Uhr, Schau von Maraika Raiss

Das Sandalen mit Wohlfühl-Fußbett aus Kork total angesagt sind, ist erstens bekannt und zweitens ein Segen für alle Frauen, die auf der Fashion Week unterwegs sind. Doch was ist das in der Front Row? Die Dame trägt ein elegantes weißes Ensemble aus Hose und Top - und dazu nicht etwa Birkenstocks, sondern weiß-blaue Badelatschen aus Gummi. Der Trend, so scheint es, ist noch lange nicht ausdekliniert.

Mittwoch, 11.35 Uhr, Deutsche Oper

Die Veranstalter der Fashion Week entführen die Besucher aus dem Eisstadion im Wedding tief hinein tief in den Westen. Im Hinterhof der deutschen Oper, der ehemaligen Tischlerei und heutigen Studiobühne, wird der Designer Dawid Tomaszewski gleich seine Entwürfe präsentieren. Industrie-Charme, sphärische Synthie-Klänge, Neonröhren - kunstvoll arrangiert wie die Ebenen in einem Gameboy-Spiel. Die Folie auf dem Laufstegteppich knistert beim Darüberlaufen.

Berlin, immer und überall

Berlin fühlt sich an, als hätte die Stadt in einer Spontanverschiebung der Raumkoordinaten ihren Platz auf der Erdkugel mit Recife getauscht, oder sonst irgendeiner anderen tropischen Stadt. Es ist heiß, sehr heiß. Und schwül wie im Dschungel. Der Schweiß verklebt das Make-up der Fashion-Week-Gäste, sammelt sich in den Kniekehlen. Viele tragen Flipflops oder flache Sandalen statt 20-Zentimeter-Absätze, Pressehefte werden zu heißbegehrten Fächern, die Hitze zum liebsten Smalltalk-Thema am Laufstegrand. Die australische Jungdesignerin stöhnt, so habe sie sich das nicht vorgestellt, hier in Deutschland. Doch was ist das, in der Schlange vor der Toilette? Die Frau trägt Mantel. Und Schal. Und hat nicht eine Schweißperle auf der Stirn.

12.15 Uhr, Schau von Dawid Tomaszewski, Front Row

Die beiden großen blonden Frauen, getrennt nur durch zwei andere Gäste, fallen sofort auf, obwohl sie in zurückhaltendes Schwarz-Weiß gekleidet sind. Die eine trägt Locken und geschlossene Pumps, die andere Peeptoes und glattes Haar. Beide tragen: das exakt gleiche Kleid. Sowas passiert eben, wenn man dem Designer von der ersten Reihe aus demonstrieren will, wie sehr man seine Mode schätzt.

Ein Model trägt den Entwurf des Designers Dawid Tomaszewski (Foto: AP)

13 Uhr, auf einer Straße in Westberlin

"Entschuldigung?", fragt die Frau mit der Kamera. Und bevor ich "Tut mir Leid, ich kenne mich hier auch nicht aus" sagen kann, geht sie vor mir in die Hocke. "Darf ich Ihre Schuhe fotografieren?"

14 Uhr, Hotel de Rome, Vogue Salon

In der kühlen Schönheit des Salons flanieren unter einem Glasdach gut gekleidete Menschen zwischen Schaufensterpuppen, die Entwürfe hoffnungsvoller Designer tragen. Hände werden geschüttelt, Häppchen gereicht und die Gastgeberin, Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp, wird bewundernd beim Vornamen genannt.

14.30 Uhr, Lobby des Hotel de Rome

Zwei Kameramänner warten in einem Sofa in der Lobby, liegen mehr als sie sitzen, versinken fast in dem schwarzen Möbel mit der avantgardistisch überdimensionierten Rückenlehne. Ihr müder Blick fixiert den Eingang, wohl in Erwartung prominenter Gäste, die es zu filmen gilt.

18.30 Uhr, eine Klinkermauer, gegenüber dem Einlass zur Schau von Lala Berlin

Zwei Modewochenbesucherinnen, in elegantem Schwarz, sitzen auf der Mauer und quatschen. Weiter rechts sitzen auf derselben Mauer ein paar Jugendliche, grölen sich "Ey, fick dich" entgegen. Zwischen beiden Gruppen liegen kaum 30 Meter, und doch Welten.

19.45 Uhr, Studiobühne der deutschen Oper

Bevor die Helfer die Folie vom makellosen Teppich ziehen und die Schau von Lala Berlin beginnt, flanieren die VIPs über den Laufsteg und posieren zwischen vier übergroßen Buchstaben, zwei schwarzen Ls und zwei weißen As. Viele der Gesichter sind vertraut von vielen Stunden TV-Programm. Gemeinsam mit den Fotografen und Kamerateams bildet jeder sein eigenes Sonnensystem. Jasmin Tabatabai, Fritzi Haberlandt, Friederike Kempter ist auch wieder da, Lavinia Wilson. Und wie hieß noch mal der da hinten? Die Platznachbarin klärt auf: "Das ist Dominic Raacke. Und die da hinten ..." Es stellt sich heraus: Die Frau ist Schauspielagentin. Wie überaus praktisch.

19.53 Uhr, Schau von Lala Berlin

Die Show beginnt mit 23 Minuten Verspätung - und einem allzu vertrauten Geräusch: Regen. Ein Regenschauer in den Tropen, durchsetzt von Vogelschreien. Erst wenige Minuten ist es her, dass der Schleusenwärter über Berlin wieder einmal alle Luken geöffnet hat und jeder Gast einzeln von einer Platzanweiserin mit Schirm hereinbegleitet werden musste. Auf dem Laufsteg bleibt es trocken, Leyla Piedayesh schickt ihre Models in einem Mantel in den akustischen Regen, der aussieht wie aus Wellpappe genäht.

Ein Model auf dem LaLaLaufsteg bei der LaLa Berlin Show (Foto: Getty Images for IMG)

20.20 Uhr, U-Bahnlinie U2

Die polnische Kollegin und der dazugehörige Fotograf kennen sich aus. Ein paar Stationen noch, dann rennen wir eine Rolltreppen hinauf, schlüpfen in letzter Sekunde in den anfahrenden Zug, dann raus aus dem Bahnhof, das Taxi rangewunken, ein diffuses "Fashion Week, bitte", gekeucht. 5,60 Euro später raus aus dem Taxi, rein ins Eisstadion.

20.30 Uhr, Schau von Guido Maria Kretschmer

Der populäre Berliner Modemacher und Reality-TV-Juror Guido Maria Kretschmer unterlegt sein Defilée aus Pailletten und Strassapplikationen mit Sentenzen zur Haupstadt. So erklingt monoton zwischen den Beats immer wieder: "Arm aber sexy". Wobei ersteres auf die geladenen Gäste in der vordersten Reihe allerdings nicht ganz zutreffen dürfte. Die Gästeliste ist durchaus illuster und reicht von A wie Mariella Ahrens bis Z wie Jana Ina Zarrella (unter anderem Stylingexpertin und Punkt-12-Reporterin). Verona Pooth erörtert die vorbeiflanierenden Entwürfe angeregt mit ihren Sitznachbarn. Nur als ein Lederkleid mit Netzeinsätzen vorbeikommt, zückt sie ihr türkisgekleidetes Smartphone.

Verona Pooth bei der Show des Designers Guido Maria Kretschmer (Foto: dpa)

20.55 Uhr, in der Schlange am Ausgang

"Du weißt schon, mein Versace-Kleid ist mir hier oben so weit", klagt eine Frau mittleren Alters ihrer Begleitung und in mein linkes Ohr. "Es ist ein persisches Paar, das da am Wochenende heiratet", erklärt eine junge Frau einer anderen und meinem rechtes Ohr. In kleinsten Schritten bewegt sich das Publikum der Kretschmer-Schau hinaus aus der Halle, die Menge aus Menschen verstopft den engen Gang. Der Blick wandert. Ist das da vorne nicht? Doch, es ist wieder Rebecca Mir. Es gibt keine demokratischeren Veranstaltungen als solche mit nur einem Ausgang.

Dienstag, 7.50 Uhr, U6

Auf dem Weg zur ersten Modenschau mischen sich in der U-Bahn penibel gestylte Menschen unter die Berufspendler. Ein auffälliges Paar Schuhe hier, ein stark geschminktes Gesicht dort verrät, wer zur Fashion Week fährt und wer zur Arbeit. Zwei Mädchen mit Akkreditierungen um den Hals führen Fachgespräche. "Die Frisur für morgen müssen wir auch noch durchsprechen", sagt die mit der Lochmusterstrumpfhose in den Sandalen und dem Mozartzopf im weiß blondierten Haar. "Es regnet, aber es ist nicht kalt", antwortet die mit dem Kunstlederrock und den Leo-Sneakers.

8.15 Uhr, U-Bahnhof Wedding

In diesem Jahr musste die Fashion Week dem Fußballfest weichen und ihr Zelt am Brandenburger Tor abbrechen. Statt in Berlin-Mitte steht das nun im deutlich unglamouröseren Stadtteil Wedding. Aus dem U-Bahnhof nach oben in den Regen, Schirm aufgespannt und einen Blick in die Runde geworfen: Betonlandschaft. Betonschluchten zwischen Betonbergen. Der Platzregen wäscht das Grau noch grauer. Männer in Anzügen eilen in ein Bürogebäude, an denen zwei Schlandfahnen das Grau brechen. "Suchen sie die Sporthalle?", fragt eine Frau mit rotem Schirm. Zumindest meine Garderobe scheint nicht völlig daneben zu liegen.

10.20 Uhr, Modenschau Julian Zigerli

Die männlichen Models auf dem Laufsteg tragen Anzughemden und Shorts in grellem Magenta; wo sonst die Brusttasche sitzt, gewährt ein schmaler Schlitz Einblick. Verrückt? Ausgeflippt? Total crazy? Dazu würde man gern den Herrn befragen, der gegenüber in der ersten Reihe sitzt. Er trägt einen Mickey-Maus-Schlafanzug und wippt mit dem Fuß zur Musik.

Bei der Show von Julian Zigerli (Foto: Getty Images for IMG)

10.40 Uhr, in der Warteschlange

Die Schlange vor dem Presseschalter bewegt sich in Minimalgeschwindigkeit vorwärts. Zwei Damen aus Baden unterhalten sich. Eine Dragqueen mit orangefarbenem Haar und passenden Nägeln mischt sich in die Konversation. Sie überragt die Damen aus Baden deutlich, ebenso wie fast alle anderen in der Schlange. "I hänn a Freundin in Konschtanz", sagt sie. Und dass sie den Dialekt so mag. Ob die Haare echt sind, fragt eine der Damen aus Baden und lauscht interessiert der Halb-echt-halb-Kunsthaar-Erklärung. "Mei", sagt sie, "man muss ja was tun, um aufzufallen."

11.10 Uhr, auf der Terrasse

Zwischen zwei Modenschauen, zwischen Bambus in Blumentöpfen und Lounge-Ecken drängen sich zahllose Fashion-Week-Menschen, es sind wohl ein paar Hundert. Sie warten darauf, sich durch die enge Flügeltür ins Innere der Halle zu quetschen, wo Lena Hoschek ihre Models über den Laufsteg schickt. Viele der Wartenden tragen Pony, Blumen oder Obst auf dem Kleid und sehen aus, als hätten sie sich auf dem Weg vom Grease-Casting zur Rockabilly-Party hierher verlaufen. Es ist dieser Look, den Hoschek seit Jahren prägt - meist verbunden mit einigen folkloristischen Elementen. In der neuen Kollektion spielt die Designerin ausgiebig mit Ethno-Drucken. Ein Konzept, das aufgeht.

11.35 Uhr, Modenschau von Lena Hoschek

Für Menschen, die berühmt werden wollen, wäre es der perfekte Platz. Urplötzlich richten sich unzählige Kameras auf mich, es müssen Dutzende sein. Oder zumindest in meine Richtung. "Rebecca, Rebecca!", rufen die Fotografen. Was mag das für ein Superstar sein, frage ich mich und versuche, möglichst professionell-unbeteiligt auszusehen, während vor mir das Blitzlichtgewitter tobt. "Rebecca Mir", verrät mir ihre Platzkarte. Zweiter Platz bei GNTM 2011. Aha.

Backstage, irgendwann dazwischen

Draußen stehen zwischen Kühlcontainern, Kabelsträngen und Pfützen lange, blasse Männermodels und rauchen. Drinnen, wo es laut ist und warm, wuseln Visagisten und Friseure durcheinander. Ein junger Mann sitzt auf einem Stuhl, über dem blonden Seitenscheitel trägt er Küchenpapier, fixiert mit einer Haarklammer. "Ich hab' so viele Haare, die stehen immer so ab", erklärt er er auf einen fragenden Blick.

Backstage bei Lena Hoschek (Foto: Getty Images for Lena Hoschek)

14.50 Uhr, vor der Halle

Aus unsichtbaren Lautsprechern ruft eine launige Männerstimme das Publikum zur Schau von Michael Sontag. In der Menge Modemenschen, die Richtung Eingang strömen, einer auffälliger gewandet als der andere, steht Friederike Kempter. Ganz unauffällig. Die Tatort-Schauspielerin trägt eine rosa Hose und eine beerenfarbene Bluse und sieht ganz zauberhaft aus.

15.10 Uhr, Schau von Michael Sontag

Die Models, die der Berliner Designer Michael Sontag über den Laufsteg schickt, in weiten, geometrisch geschnittenen Kleidern und dunklen Farben, sehen mit ihren gegelten Haaren aus wie Elfen aus einer dystopischen Technikwelt, die in einen der Platzregenschauer geraten sind, die Berlin an diesem Dienstag heimsuchen.

Der deutsche Modedesigner Michael Sontag bedankt sich nach der Präsentation seiner Kollektion. (Foto: dpa)

20 Uhr, Hauptbahnhof

Ein Junge mit Stöpseln um den Hals fragt: "Entschuldigen Sie, wissen Sie, wo hier die Fanmeile ist?"

20.30 Uhr, Lehrter Straße 17

Das Event der Jungdesigner ist am Ende der Welt, hinter der indonesischen Botschaft rechts. Der Lift in den dritten Stock ist kaputt, ein Schild ermuntert: "Stay fit!" Drinnen posieren Nymphen auf Podesten und ein Model in Weltraumfolie. Getrunken wird Amaretto Sour, was noch seltsamer schmeckt als es klingt.

22 Uhr, PR-Party, Mitte

Fußball also auf der Fashion Week, in einem sehr weißen Raum, in dem auf weißen Holzpaletten Wodkarhabarber gereicht wird. "Gegen Holland verlieren wir nicht, weil Holland ist der Angstgegner" fachsimpelt eine, als an der Wand die ersten Bälle gepasst werden. Der Mann vor mir trägt Herzen auf dem Hemd und einen Diamanten auf dem Turnbeutel. Die "Los, los, los"-Beschwörungen des Modemädchens hinter mir kommentiert jemand mit: "Boah alter, du bist ja voll into it!" Das kollektive Kreischen beim ersten Tor spült mich hinaus in die schwüle Nacht.

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