Süddeutsche Zeitung

Metropole:Auswärtsspiel

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Tiflis ist zum neuen Lifestyle-Anlaufpunkt geworden. Die georgische Avantgarde bringt hier Design und Techno-Nächte so unbefangen hervor, dass sie den Westen alt aussehen lässt.

Von Anne Backhaus

Es ist nahezu unmöglich, mit Nata Janberdize Kaffee zu trinken, ohne bemerkt zu werden. Dabei öffnet sie die Tür zur Hotellobby behutsam, spricht und lacht leise. Ihr Outfit ist unauffällig, schwarze Stoffhose, weißes T-Shirt, okay, mit großem Rolling-Stones-Mund-Aufdruck, doch sogar der wirkt an ihr irgendwie still. Die Menschen drehen sich um, bleiben an ihrem Tisch stehen, weil Janberdize hier in Tiflis überaus bekannt ist. Ihr ist das unangenehm. Sie entschuldigt sich jedes Mal, wenn jemand grüßt. "Tiflis ist wie ein Dorf. Man trifft immer einen, den man kennt, und wird schnell berühmt."

In der georgischen Hauptstadt hat Janberdize aber vor allem das erreicht, wovon viele träumen: internationalen Erfolg. Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Keti Toloraia gründete sie "Rooms", ein Studio für Interior und Produktdesign, das sich weltweit einen Namen gemacht hat. Galerien und Showräume in New York, Los Angeles, Mailand, Seoul, Brüssel und London präsentieren ihre Sessel, Tische und Lampen, die traditionelle georgische Formen und Materialien mit modernem Minimalismus verbinden. Bei der Schauspielerin Reese Witherspoon soll der "Eclipse Mirror" der beiden Georgierinnen hängen. Der runde Wandspiegel aus einer Kollektion von 2015 sieht durch die Messing- und Stahlscheiben, auf denen er angebracht ist, wie eine Planetenreihe aus. "Eines meiner Lieblingsstücke, aber schon lange her", sagt Janberdize. In den zwei Jahren, seit sie ihn mit ihrer Partnerin entwarf, ist viel passiert.

Alles mischt sich neu, neben Plattenbauten ragen futuristische Gebäude empor

Die Erfolgsgeschichte von Nata Janberdize und Keti Toloraia ist zugleich die Geschichte des modernen Georgien. Ein Land mit knapp vier Millionen Einwohnern, das vom Schwarzen Meer bis zum Kaukasus-Gebirge wie ein Splitter zwischen Russland und der Türkei, Armenien und Aserbaidschan steckt. Die beiden Frauen wurden im Frühjahr 1981 in Tiflis geboren. Sie wuchsen auf in einem Land, das auf eine Jahrhunderte alte Kultur zurückblickt, aber durch die Sowjetunion geprägt war. Nach deren Zusammenbruch kam der Wirtschaftskollaps. Sie wuchsen auf ohne MTV, ohne Zugang zu Zeitschriften oder gar Klamotten aus dem Westen. Trotzdem haben sie natürlich auf Partys den ersten Hip-Hop gehört und die französische Vogue, die irgendjemand von irgendwem bekommen hatte, im Freundeskreis weitergereicht. 2004 kam Michail Saakaschwili als Präsident an die Macht und begann, Georgien vom Grau der Sowjetzeit zu entstauben, seither bewegt sich der eurasische Staat mit rasender Geschwindigkeit auf den Westen zu. Und vom Westen aus wird Tiflis als das neue Berlin gefeiert. Innerhalb weniger Jahre ist die Hauptstadt zu der Techno-Metropole geworden und zieht, wie Berlin nach dem Mauerfall, DJs und Partygänger aus aller Welt an. Das wilde Nachtleben hat dabei nur bedingt mit Drogen zu tun, hier kann schon Joint-Konsum Knast bedeuten.

In Tiflis spürt man vor allem Hunger, nach Leben und Veränderung. Überall, in den Clubs, in Cafés, auf den Straßen. Alles mischt sich neu. Zwischen alten Plattenbauten und traditionellen Häusern mit verschnörkelten Holzvorbauten recken sich futuristische Gebäude europäischer Architekten empor, wie die absonderlich geformte Tankstelle von Jürgen Mayer H. oder die Musikhalle von Massimiliano Fuksas. Und die heimische kreative Szene boomt. Es gibt viele neue Läden - endlich auch für Bücher, Kunst, Design.

"Als wir vor zehn Jahren anfingen, gab es das alles nicht", erzählt Nata Janberdize. "Nur einige Künstler haben schön gewohnt, weil sie sich ihre Möbel selbst bauten", sagt sie. "Wer nichts hat, hat mehr Fantasie." Das habe sich wohl auch auf die Produkte von Rooms ausgewirkt. "Wir hören oft, wie anders unsere Möbel sind. Keine Kopien. Wovon auch? Wir kannten ja nichts." Janberdize und Toloraia sind sicher nicht in einem Vakuum aufgewachsen, wie es oft über Kreative in Georgien behauptet wird - und wie die es auch gerne selbst behaupten. Und doch hat der Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte etwas mit dem Neuanfang des Landes zu tun. Sie lernten sich im ersten Design-Jahrgang der Kunstakademie in Tiflis kennen, vorher gab es so einen Studiengang nicht.

Die beiden wurden Freundinnen und richteten aus Spaß die Wohnungen von Bekannten ein. 2007 waren sie zum ersten Mal auf der London Design Week und zeigten dort ihren "Dressed Chair", einen mit Bluse und Jackett angezogenen Stuhl. Eine Frau kaufte ihn umgehend - für das Büro der britischen Vogue. Bald entdeckte Marcel Wanders, niederländischer Designer und Co-Gründer des Lampengiganten Moooi, das georgische Label. Er produzierte ihre Positionsleuchte, eine überdimensionale Schreibtischlampe aus Holz, die an die Wand montiert wird. Sie ist das erste Produkt georgischer Designer, das von einem ausländischen Unternehmen vermarktet wurde. Das Stedelijk Kunstmuseum in Amsterdam stellte sie bald als Designobjekt aus.

Da waren Nata Janberdize und Keti Toloraia schon damit beschäftigt, in Kazbegi, einige Autostunden von Tiflis entfernt im Kaukasus-Gebirge gelegen, ein neues Hotel zu gestalten. Das "Rooms Hotel" - der Besitzer bat um den Namen des Designbüros für seine Herberge - ist ein beeindruckendes Bauwerk. In den weiten Fenstern spiegelt sich der 5047 Meter hohe Berg Kasbek und lässt den modernen Steinbau fast durchlässig erscheinen. Während man auf einer der staubigen Dorfstraßen den knietiefen Schlaglöchern ausweicht, taucht unvermittelt das Hotel am Hang auf - als habe sich ein Raumschiff oberhalb des winzigen Ortes eingenistet.

Was selbst in einer Design-Hochburg wie Stockholm etwas Besonderes wäre, kommt hier in Kazbegi wie ein Wunder daher. Im "Rooms" ist jedes der 155 Zimmer individuell eingerichtet, mit traditionellen georgischen Teppichen, Vintage-Möbeln aus Belgien oder im Sowjet-Style. Antikes Holz, matt glänzender Stahl, dazu Kamine und warme Farben. Die Terrasse und den Spa-Bereich hat das Designer-Duo mit altem Holz aus verlassenen Bergdörfern ausgestattet. "Es ist unglaublich hart und widerstandsfähig", sagt Janberdize. "Und es erzählt Geschichten. Ich liebe es, wenn Räume etwas zu sagen haben." Ihren Kaffee hat sie inzwischen ausgetrunken - im Restaurant des zweiten Rooms Hotels in Tiflis, das sie 2013, ein Jahr nach dem Pilotprojekt in Kazbegi, ausstatteten.

Es ist urbaner und luxuriöser, liegt mitten im angesagten Stadtteil Vera. Gründer der Hotelkette ist Temur Ugulava, der wohl einflussreichste Mann der Stadt, wenn es um die Neuerfindung der georgischen Gastfreundschaft geht. Er ist innerhalb weniger Jahre zum Konkurrenten großer Hotelketten wie Marriott oder Radisson geworden und hat gleich noch einen ganz eigenen Markt geschaffen. "Wir sind konstant inspiriert von den neuesten Trends in Design, Gastronomie und Kultur", so liest sich das in aller Unbescheidenheit auf seiner Webseite.

Ein Georgier bestimmt weltweit die Modetrends, in Tiflis macht der erste H & M auf

Konkret bedeutet das, bei Ugulava wohnen all jene, die Geld haben und zur Avantgarde gehören wollen. So findet sich bei dem Rooms Hotel auch der "Chaos Concept Store", oft bezeichnet als Tiflis' "coolest shop". Die Freundin des Hotelchefs verkauft hier heimische Designer-Teile und hat eine Art lokales Mekka für Mode- und Lifestyle-Liebhaber geschaffen. Der Flur wird am Ende zur Skate-Rampe, am Boden des loftartigen Hauptraums liegt eine Matratze, auf der Jugendliche britische Zeitschriften lesen, nebenan spielen zwei junge Frauen Tischtennis in High Heels und weiten Mänteln. Das Konzept hat Ugulava auch für sein erstes Hostel, die "Fabrika", aufgegriffen. Hier wohnen die weniger kaufkräftigen, aber nicht minder hippen Tiflis-Touristen in einer alten Fabrik. Natürlich bis ins letzte Detail durchgestylt. Der Innenhof, in dem sich Bars, Modeläden und Galerien aneinanderreihen, ist auch gut besucht von Einheimischen. Man trifft sich in der Fabrika, da sind eh alle.

So wie der Techno Tiflis den Titel "das neue Berlin" einbrachte, sorgen Lebenslust und aufstrebende Modeszene bereits für Vergleiche mit Paris. Dort hat sich auch der erste georgische Stardesigner einen Namen gemacht: Demna Gvasalia, Kreativchef von Balenciaga. Der heute 36-Jährige gründete 2014 in Paris mit sechs weiteren Designern Vetements, die derzeit erfolgreichste Luxusmarke für Streetwear. Während der Georgier die Trends in Europa und der Welt bestimmt, soll bald in Tiflis die erste H&M-Filiale aufmachen.

"Unser Land ist gespalten", sagt Nata Janberdize. "Hier die Tradition, da das Bestreben, sich davon möglichst schnell zu entfernen." In ihrem 300 Quadratmeter großen Studio stehen riesige Kartons, einige Exemplare des "Wild Dining Table" werden morgen nach Australien und New York verschickt. Ihre Partnerin ist für ein paar Tage in Paris, geschäftlich.

Irgendwann will Janberdize mit Keti Toloraia ein eigenes Hotel haben. Dazu einen Showroom in New York. "Mal sehen, wann", sagt sie. In ihrem Fall also: Sollte es lange dauern, vielleicht in drei Jahren.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2017
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