Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Opas Schuhe und Mamas Sneakers

Uncool ist das neue Cool und Bequem-Treter aus der Boomer-Generation erobern diesen Frühling die Szeneviertel der Städte.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Bitte ganz harmlos!

An den Füßen von Frauen mittleren Alters sieht man sie oft: Turnschuhe, die sich zwar an dem orientieren, was die Jugend gerade so trägt, die dabei aber doch haarscharf den aktuellen Zeitgeist verfehlen - weshalb sie trotz der Bemühung immer so aussehen wie im Sanitätshaus erstanden. Mom-Turnschuhe eben. Bequeme Treter für Leute, die mit mehr oder weniger Liebe Sonntagsbraten zubereiten oder Sonntagabend-Talkshows moderieren, so wie Anne Will. Ein solches Sneaker-Label für Moms und Dads war jahrelang New Balance. Die Geschmackspolizei ignorierte die Marke auch aus politischen Gründen, weil der Eigentümer einen sechsstelligen Betrag an Trump gespendet und ein Neo-Nazi-Blogger New Balance als "offizielle Marke der Trump-Revolution" gebrandmarkt hatte. Zum Glück nähert sich die moderne Aufmerksamkeitsspanne aber ja der von Goldfischen an! Denn jetzt gehen die Modelle 990 und 574 durch die Decke, selbst an übercoole Füße wie die von Timothée Chalamet und Zoe Kravitz haben sie es geschafft. Dahinter steckt eine Mischung aus allgemeinem Nike-Überdruss und guter Marketing-Strategie: Kollaborationen mit Brands wie Aimé Leon Dore oder Miu Miu sind der feste Boden, auf denen unsichere Hipster-Seelen stabil stehen. Hier sehen wir das Modell 57/40 - in Form, Material und Farbe so wenig aufregend, dass es schon wieder gut ist. Dafür muss man sich nicht mit Sneaker-Sammlern in sogenannten "Raffles" (Online-Verlosungen um das Recht, ein Produkt kaufen zu dürfen) prügeln. Man geht einfach in einen Laden und sagt: ein Paar Turnschuhe, bitte! Uncool ist wirklich das neue Cool.

Für ihn: Der Kukident-Chic

Die Hufeisen-Theorie gibt's auch in der Mode, sie funktioniert so: Ein Produkt oder eine Marke die dezidiert unmodisch, extrem trendfern oder schlicht hässlich sind, rücken irgendwann und gerade wegen ihrer extremen Attribute plötzlich in die Nähe eines Superhypes. So geht es jetzt auch der französischen Gesundschuhmarke Mephisto, deren Flaggschiff aus den 1970er-Jahren stammt und auch so aussieht. Ein kastanienfarbener Freizeitschuh mit dicker Sohle, bei dem man sofort an rüstiges Ausschreiten im Westerwald denken muss oder zumindest an Opa im Gästezimmer. Dass dieses eigenbraune Schuhwerk ausgerechnet den Produktnamen "Rainbow" trägt, ist schon lustig. Noch erbaulicher ist, dass die Urbanisten es derzeit mit ihren dünnen Hipsterärmchen innig umarmen. Mehrere junge Streetwear Labels (zum Beispiel Patta und Oi Polloi) haben jedenfalls zuletzt Kooperationen mit der Altschuhmarke aus den Vogesen vorgelegt, bei denen es dann aber eigentlich immer nur darum ging, den originalen "Rainbow" in neues Licht zu rücken. Tatsächlich muss man feststellen, dass dieses Modell im Vergleich zum restlichen, umfangreichen Sortiment "moderner" Halbschuhe bei Mephisto der einzige ist, dessen Design einen genuinen Charakter hat und der irgendwie liebenswert schrullig wirkt. Die inneren Werte sind natürlich sowieso tadellos: bequemes Fußbett, gelenkschonende Spezialsohle, robuste Machart. Man kann sagen: So nah an einer Krankenkassenleistung war noch kein Trendschuh jemals! In diesem Sinne gibt's auch noch Hoffnung, zum Beispiel für das deutsche Markenpendant Salamander. Oder für den Westerwald.

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