Für sie: Augen zu und durch
Frauen aller Art haben spätestens in diesem Sommer ihren ganz eigenen Hipster-Bart entdeckt: die riesige Pilotenbrille aus Acetat in Schwarz oder Braun. Egal, ob als Lesemodell oder Sonnenbrille, das Accessoire sieht man seitdem auf jeder dritten Frauennase, nicht nur in den Innenstädten von London bis München, sondern vor allem auf Instagram, also da, wo wir Älteren uns über Trends informieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie machen jedes Durchschnittsgesicht sofort interessant, so wie ein Vollbart eben. Außerdem geben sie jedem noch so feminin-harmlosen Outfit die nötige Kante, man kann also plötzlich wieder Blumenkleid oder Strassjeans tragen, ohne dazustehen wie eine naive Idiotin!
Aber wie jedes Accessoire kann auch die XL-Pilotenbrille sich natürlich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, also auf der Tatsache, uns endlich von den blöde über den Cateye-Brillenrand schauenden Influencern erlöst zu haben. Was macht sie also? Sie wird größer. Und größer. Und wird, spätestens im nächsten Sommer, so aufgeblasen sein, dass sie eher an eine Taucherbrille erinnert. Oder an den Bestandteil eines sehr eitlen Laborschutzkleidungs-Kits. Das passt, weil der moderne Mensch doch eigentlich immerzu das Gefühl hat, er würde wahlweise absaufen oder wäre Teil eines skurrilen Experiments. Das hier zu sehende Modell vom Megatrendsetter Bottega Veneta (gesehen bei mytheresa.com) ist also nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt: die totale Katastrophe, klar, aber make it fashion, zumindest.
Für ihn: Hinter Glas
Früher hörte man häufiger mal den Ausdruck „Pornobrille“. Das bezeichnete meist eine etwas zu große, etwas zu goldene Pilotenbrille, die quasi schon einen Schnauzbart integriert hatte. „Voll die Pornobrille, ey!“, sagte einer und alle lachten herzlich, es war eine friedliche Zeit. Heute hat die Mode Pornobrillen längst resozialisiert, genau wie Schnauzbärte und Pornos, und es macht ohnehin keiner mehr Witze über Accessoires, weil erstens könnte man dafür eine geboxt kriegen und zweitens: Wo sollte man anfangen? Dabei ist gerade die Sonnenbrillenmode seit einiger Zeit in ein fragwürdiges Stadium eingetreten. Die Jugend trägt verspiegelte, aerodynamische Sportbrillen, als wären sie allesamt Radsportfans, und ihr Idol, der Rapper Ski Aggu, geht nur mit großflächiger Skibrille aus dem Haus. Da nimmt es nicht groß Wunder, dass im kommenden Jahr eine Mischung aus beiden Extremen als neuer Geniestreich gefeiert und überall zu haben sein wird – hier in Luxusausführung von den Trendstrebern bei Loewe.
Das neue Brillendesign spielt auch mit der Ästhetik von Tech-Brillen wie Apples Vision Pro, obwohl die ja eigentlich erst mal zu floppen scheinen. Aber was technisch scheitert, kann modisch durchaus funktionieren. Allerdings büßt so eine spiegelnde XXL-Brille viel jener genuinen Coolness ein, die eine gute Sonnenbrille eigentlich ausmacht. Sie soll doch etwa so leicht im Männergesicht sitzen wie eine Zigarette im Mundwinkel und im entscheidenden Moment mit den Fingerspitzen abnehmbar und im Jackett verstaubar sein. Hier aber kommt das Abnehmen einer großformatigen Demaskierung gleich. Und dann? Voll die Entäuschung, ey!