Süddeutsche Zeitung

Interior Design:Mehr Mut zur Villa Kunterbunt

Langsam reicht es mit der unterkühlten Reduktion. Maximalistisches Einrichten macht Spaß, strahlt Wärme aus und gelingt auch Anfängern ganz leicht.

Von Anne Goebel

Was zwei Buchstaben doch für einen Unterschied machen. Wer bei Google die Stichworte "Maximalistisches Design" eingibt, wird von der Suchmaschine höflich korrigiert: "Du meintest sicher ,minimalistisches Design'?" Das "ax" aus Maxi wird ruckzuck zum "in" aus Mini, schon ist wieder alles im Lot. Stimmt nur leider nicht, gesucht war tatsächlich der Maximalismus, und die beiden Stilrichtungen trennt mehr als nur eine Silbe. Es liegen Welten zwischen ihnen, und vor allem: Es gibt es nur ein Entweder-oder. Das eine ist der etablierte Standard. Das andere ist ein Irrtum.

So war die Regel zumindest bisher: Design bedeutet Reduktion und Purismus. Fülle hingegen ist kontur- und irgendwie stillos. Das gilt seit Jahrzehnten, von der Strenge der Bauhaus-Meister und ihrer diversen Renaissancen bis zur aufgeräumten Eleganz nordischer Interiors in jüngster Zeit. Aber jetzt rollt in Blogs, Magazinen und Schaufenstern die neue Üppigkeit an. Less-is-more ist tot - es lebe der Überfluss! "Decorate like no-one's watching", empfiehlt die englische Buchautorin Emily Henson in ihrem neuen Wohnratgeber. Frei übersetzt: Dekoriere auf Teufel komm raus. Nach Hensons Vorstellung kann es in den eigenen vier Wänden künftig gar nicht farbig, zusammengewürfelt und überfüllt genug sein. Das scheint den Geschmack vieler Leute zu treffen.

Wer sich in Einrichtungsgeschäften oder Onlineshops umsieht, dem begegnen keine schlichten Hölzer mehr und matte Kupferaccessoires, sondern viel bunt bemaltes Geschirr, schwarz-weiß-gestreifte Beistelltische oder von Kissen überhäufte Velourssofas in Pink. Der Münchner Designspezialist Quittenbaum hat kürzlich bei einer Auktion gelbe Knautschsessel, seltsam geformte Vasenobjekte und goldbemalte Tabletts versteigert. Das sind wahrhaftig keine diskreten Einrichtungsstücke, sondern Extravaganzen. Als Einzelteile wirken sie seltsam deplatziert. Erst in der furchtlosen Häufung wird ein Stil daraus. Maximalismus eben.

Der Trend kommt aus England

Dass für den neuen Hang zur Opulenz wichtige Impulse von England ausgehen, ist nicht verwunderlich. Die Briten bevorzugen seit jeher die detailverliebte Inneneinrichtung, anders als die kühle Funktionalität der Skandinavier. Von den Salonhöhlen der viktorianischen Ära zu den pompös ausstaffierten Tea Rooms, etwa bei Fortnum & Mason in London: Samtsessel und Silberkannen wärmen das Gemüt, wenn die politische Großwetterlage durchwachsen ist. Auch Tania James, die den Interior-Laden Quirk & Rescue betreibt, hält den maximalistischen Wohnstil für ein linderndes Rezept gegen Trübsal in traurigen Zeiten: "Die Leute fragen sich: Was können wir uns Gutes tun?" Die Gestaltung eines warmen Zuhauses stehe da ganz oben.

Was also aus ihrem Sortiment könnte gute Laune machen: ein Berg Kuschelkissen mit Leopardendruck vielleicht, eine löwenzahngelb gewürfelte Tapete? Am besten beides, in einem Raum. Die Inhaberin macht es vor: Aus ihrer eigenen Londoner Wohnung postet James auf Instagram als Ms Pink Bilder heftiger Farbexplosionen. Der Kamin ist lila lackiert und von einem Leuchtbären bewohnt, die Schlafzimmerwand rosa gestreift. Hilft jeden Morgen gegen Winterblues, rät Ms Pink, und ihre Follower diskutieren sogleich über die nötige Menge Klebeband für ein flächendeckendes Linienmuster neben dem Ehebett.

Tania James hat es mit ihrem Einrichtungsstil sogar in den Guardian geschafft, wo sie mit einem selbstironischen Kommentar zitiert wird: Jemand habe mal gesagt, das eklektische Tohuwabohu in ihrer Wohnung fühle sich an wie "zehn Tassen Kaffee bei Migräne". Also befreiend. Oder desaströs, je nachdem, ob man die Reizüberflutung als Wohltat empfindet oder als Plage.

Laut, bunt, viel: Nach dieser Devise entwerfen jetzt auch die Großen. Ikea hat den Künstler Per B. Sundberg engagiert, der in Kooperation mit dem Möbelkonzern eine Reihe verspielt-burlesker Accessoires vorgelegt hat. Totenschädelübertöpfe oder Kerzenständer in der Form von Pudeln. "Meine Objekte können gruselig und lustig sein, manchmal sogar etwas verstörend", sagt Sundberg. Das sind ziemlich viele Gefühle für den sonst so schnörkellosen Billy-Pragmatismus der Schweden. Arket, das unterkühlte Label von H&M, hat neuerdings lächelnde Matrioschka-Figuren im Sortiment oder Teller, die giftgrünen Wirsingblättern nachempfunden sind. Gesichter zieren die sündteuren Vasen von Nick Vinson für Matches Fashion, sie sehen aus wie eine Mischung aus Matisse und Souvenir-Keramik. Menschen, Tiere, Gemüsepflanzen, Hauptsache figürlich: Das scheint gerade die Devise bei Deko-Gegenständen zu sein. Als wollten die Menschen in ihrer digitalen Wüstenei sichergehen, dass zur Not auch ein Gespräch mit der Blumenvase möglich wäre.

Der Gegenentwurf dazu ist der puritanische Nordic-Style, der das Design seit Langem dominiert. Klösterlich schweigsame Räume, mit Bedacht kuratiert, aus denen nichts zurückzuschallen scheint, wie laut man auch hineinruft. Schon nachvollziehbar, dass es da tröstlich ist, eine Wohnung mit Möbeln und allerlei Kram zu polstern wie einen Biberbau. Abgesehen von den praktischen Vorteilen: endlich eine Ausrede für alle, die sich von Andenken, Büchern, ausrangierten Kleinmöbeln einfach nicht trennen können.

Das französische Magazin Marie Claire Maison hat die interessante These aufgestellt, durch die Maximal-Mode könne man gestalterische Minderwertigkeitskomplexe loswerden. Ein puristisches Ambiente, das "diktat du rangement" (Ordnungsdiktat) perfekt nachzuahmen, sei fast unmöglich. Beim Mehr-ist-mehr-Trend hingegen kann jeder munter mitmischen. Und die Vorreiter sind keine abgehobenen Stilpäpste. Ein Star der Szene ist Luke Edward Hall, ein durchschnittlich aussehender junger Londoner, der sich in Wollsocken auf seinem senfgelben Sofa fotografieren lässt, im Hintergrund ein berstendes Bücherregal. Oder mit Bildern gepflasterte Wände. Alles wirkt sympathisch unaufgeräumt, aber nicht ungepflegt. Hall vermarktet sich geschickt, kooperiert mit Firmen wie Liberty und erklärt: "Diese Art der Inneneinrichtung gibt mir die Möglichkeit, mich selbst auszudrücken." Das ist ganz nach dem Gusto der Digital Natives, die jede Kleinigkeit mit anderen teilen, alles abgleichen - und doch vor allem Individualisten sein wollen.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019/jael
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