Mode im Osten:"Klar waren wir cool - obwohl wir das Wort nicht kannten"

"Allerleirauh", Frieda unabhängige Designergruppe, Modefotografie, 1988, Berlin, DDR

Frieda von Wild in Anstoß erregendem Look, fotografiert von ihrer Mutter.

(Foto: Nachlass Sibylle Bergemann, OSTKREUZ; Courtesy Loock Galerie, Berlin)

Auch in der DDR gab es eine kreative Modeszene: Gruppen wie "Allerleirauh" zelebrierten die Dekadenz und den Punk - und verunsicherten sogar die Stasi.

Von Anne Goebel

Grimms Märchen sind nicht gerade die subversivsten Geschichten, aber man kann sie so aussehen lassen. Zum Beispiel die vom schönen Waldkind Allerleirauh, das sich in Pelze, Federn und Baumrinde hüllt. Wenn daraus ein Bühnenspektakel wird, bei dem Gestalten in eng anliegendem Leder auf dem Boden kriechen, Nebel wabert, zu dröhnenden Gitarren eine Windsbraut erscheint, kann das schon verstörend wirken. Vor allem auf das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Drei Abende haben die Leute von der Stasi im Mai 1988 Gelegenheit, sich eine bis dahin unbekannte Art der Performance in Ost-Berlin anzusehen. Schlau geworden sind sie daraus nicht.

Ein Laufsteg? Doch eher eine Protestaktion - oder bloß Balztanz? Was die Aufführungen der Gruppe "Allerleirauh" darstellten, ist nicht mal den Protagonisten von damals ganz klar gewesen, wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem. Fest steht: Im dreimal ausverkauften "Haus der Jungen Talente" unweit des Alexanderplatzes wird auf fulminante Weise die Vorstellung widerlegt, es habe jenseits der Mauer keine kreative Modeszene gegeben, weil alles vom Einheitsgrau gelähmt gewesen sei.

Mit einer hochprofessionellen, kühnen Show zeigte da eine künstlerisch angehauchte Clique aus Prenzlauer Berg, was sie konnte. Breitschultrige Mäntel, schuppige Lederjacken, auf die Haut drapierte Corsagenkleider - kurz, ein Albtraum aus Punk und Dekadenz. So notierten es die Funktionäre und ließen die Hände von der Sache, weil die Idee einer aufrührerischen Kleiderschau jenseits ihrer Vorstellung lag. "Welche Ziele oder Wirkungen" ein derartiger Auftritt habe, sei "gegenwärtig nicht bekannt", heißt es unnachahmlich dürr in den Stasi-Akten.

Frieda von Wild kann 31 Jahre später die Frage nach den Absichten der Aktion ziemlich klar beantworten. "Spaß", sagt sie. "Wir wollten das machen, was uns Spaß macht." Die 57-Jährige hat von Anfang an zum Kern einer jungen Gruppierung gehört, die sich seit den späten Siebzigerjahren mit selbst fabrizierter Kleidung gegen die verordnete Gleichförmigkeit sträubt. Sie nennen sich Mob, tragen Großmutters Spitzenbluse oder seidige Zylinder zu wollenen Beinkleidern und schwingenden Röcken, was altmodisch, aber im DDR-Alltag irgendwie aufrührerisch aussieht. Viele stammen aus Künstlerfamilien, Frieda von Wild ist die Tochter der Fotografin Sibylle Bergemann. "Irgendwann haben wir gesagt: Die ganzen Sachen, die wir nähen, stricken, auseinandernehmen, neu zusammenfügen, die müssen wir vorführen."

Modeschauen waren trotzdem nicht als Akt des politischen Widerstands gemeint

Von Wild ist eine lebhafte Erzählerin, sie berlinert an wichtigen Stellen und hat gerade jede Menge Arbeit mit einer Ausstellung von Werken ihrer Mutter in Bratislava. Die hat für die DDR-Modezeitschrift Sibylle fotografiert, aber auch die Underground-Darbietungen von Gruppen wie Allerleirauh dokumentiert. "Natürlich sind wir uffgefallen mit unseren Klamotten. Mit den Jeans aus dem Westpaket, dazu trug ich eine kleine Bluse und pinke Schuhe. Die waren schon laut." Sie alle hätten es aber meistens geschafft, den schmalen Grat der Legalität mit ihren Performances nicht zu verlassen. Als Akt des politischen Widerstands seien die Modenschauen in Ateliers oder Wohnungen nie gemeint gewesen. "Es ging gerade nicht um Politik. Wir wollten schön sein. Verrückt aussehen. Uns frei fühlen." Was natürlich am Ende doch eine politische Äußerung war.

Als erste Gruppe in der Szene etabliert sich die Initiative "Chic, charmant & dauerhaft", kurz CCD, eine Anspielung auf den pseudolockeren Ton, mit dem die biederen Textilerzeugnisse aus den VEBs unters Volk gebracht werden. Bei CCD-Shows gibt es grüne Haare, viel nackte Haut, knisternde Folien - vernäht wird alles, von Plastiktüten aus Kliniken bis zu Bettlaken. Stoffe am laufenden Meter sind schwer zu bekommen. Wie groß der Hunger nach unkonventionellen Stücken in der Bevölkerung ist, können Frieda von Wild und ihre Ostberliner Gefährtinnen wie Katharina Reinwald, Sabine von Oettingen oder Angelika Kroker an jedem Wochenenden feststellen. Auf den Märkten im Schatten der S-Bahnbögen oder an Ostsee-Stränden reißen ihnen die Leute knallbunte T-Shirts oder Strickpullover nur so aus den Händen. Schwieriger wird es danach. Für das viele schöne Geld, das sie verdienen, gibt es ja kaum etwas Schönes zu kaufen.

Tragbarkeit? Das war im Osten egal

Im Westen berichtet das Magazin Tempo über die kreativen Umtriebe hinter der Mauer ("Leipzig De Luxe"), ansonsten bleibt man lieber beim guten alten Überlegenheitsgefühl: Eigene Mode gibt es drüben nicht, die wollen nur unsere Sachen. Stimmt ja auch. Abgenutzte Levi's sind die Krönung einer durchschnittlichen ostdeutschen Bekleidungskarriere. Aber es gibt auch Leute, die mehr Ideen haben. "Wir wollten nicht den Westen kopieren. Wir wollten unser eigenes Ding machen", sagt Frieda von Wild.

Sie ist heute selbst Fotografin, die Bilder ihrer Mutter von damals zeigen Kreationen von ganz eigentümlicher Kraft. Stilistische Vorlage für die breiten Schultern oder Plastikfummel sind natürlich Madonna oder Thierry Muglers Powerfrauen. Aber das Improvisierte, die Phantasterei, die Abdeckfolie statt Latex und die viel zu vielen Nieten verleihen jedem Stück eine eigene Faszination. Tragbarkeit? Um so etwas mussten sie sich im Osten nicht scheren.

Höhepunkt: Das Allerleirauh-Happening 1988. Ein Jahr lang hat die Gruppe darauf hingearbeitet, professionelle Theaterbeleuchter gewonnen, die Rockband "Pankow" spielt live. An drei Abenden geraten 600 Zuschauer in Rage, als die Mannequins in Mänteln aus Lederflicken und geschuppten 3D-Kleidern einlaufen. Nach der Wende noch ein kurzes Aufflackern, dann zerstreut sich die Gruppe. Frieda von Wild sagt: "Das war was ganz Großes. Und dann, ba-daa, war es vorbei." So ist das mit Märchen.

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