Marketing bei Büchern:Das liegt doch auf der Hand

Marketing bei Büchern: Auch Sahra Wagenknecht, Mario Adorf und Michelle Obama beherrschen die Kunst der vielsagenden Geste.

Auch Sahra Wagenknecht, Mario Adorf und Michelle Obama beherrschen die Kunst der vielsagenden Geste.

Autorenfotos sind heute ein wichtiger Teil des Marketings, damit die Leser gleich wissen, wer hinter dem Buch steckt. Ganz wichtig dabei: eine möglichst vielsagende Gestik.

Von Christian Mayer

Michelle Obama hat eine besondere Gabe: Sie kann das Publikum mühelos zu Tränen rühren oder zum Lachen bringen, allein durch ihren Charme, ihre Energie und ihre Körpersprache.

Wenn sie etwa vor ein paar Tausend Zuhörern die Geschichte ihres ersten Dates mit dem jungen und mittellosen Barack erzählt, der sie damals in Chicago in einem total verrosteten Auto abgeholt habe, sodass sie durch das Loch in der Beifahrertür den Straßenbelag sehen konnte, dann lässt das keinen kalt.

Das hat auch damit zu tun, dass Rhetorik und Gestik bei ihr eine Einheit bilden. Wie eine Dirigentin begleitet die frühere First Lady jeden Satz mit ihren Händen. Im Gegensatz etwa zur deutschen Bundeskanzlerin, die sich nur ein Minimum an Körpersprache erlaubt und so ein Maximum an Beherrschtheit demonstriert, lässt die Rednerin, Anwältin, Mutter und Ehefrau Michelle Obama ihren Gefühlen freien Lauf.

Die Buchmarketingstrategie: Hände möglichst nahe ans Gesicht

Wobei ihre Handbewegungen niemals einstudiert wirken, sondern Teil ihrer vielschichtigen Persönlichkeit zu sein scheinen. Das gilt auch für die Autorin Michelle Obama, die mit ihrem Buch "Becoming" seit fast einem Jahr weltweit auf den Bestsellerlisten steht. Auf dem Cover ihrer Autobiografie präsentiert sie uns ihre nackte rechte Schulter, ein blendendes Lächeln - und die rechte Hand, auf der ihr Kopf liegt.

Selbstverständlich ist diese Inszenierung sehr bewusst gewählt. Diese Autorin, so die Botschaft, verbindet ein erfreuliches Äußeres mit einem reflektierten Inneren, sie ist ebenso schön wie klug.

Ein wunderbares Argument für jedes Buchmarketing. Schaut man sich die aktuellen Titel der Verlage an, die nun auf der Frankfurter Buchmesse mit großem Aufwand beworben werden, erkennt man sofort: Michelle Obama steht mit ihrer expressiven Gestik keinesfalls alleine da. Egal, ob es um Krimis, historische Romane, Ratgeber, Kochbücher oder Reiseliteratur geht, das Motto der Autorenfotografie scheint heute zu sein: Hände möglichst nah am Gesicht halten, denn sie verraten mehr über den Menschen als so mancher Buchtitel.

"Näher werden Sie Sahra Wagenknecht nicht kommen!", verspricht ihr Verlag

Zum Beispiel Sahra Wagenknecht. Sie zählt zur Gruppe der Menschen, deren Stimme Gewicht hat, weshalb sie ihr Leben auf Podien, Parteitagen oder in Talkshows verbringt, ein Leben im ständigen Gesprächsmodus. Auch ihre neue Biografie basiert auf persönlichen Interviews. "Näher werden Sie Sahra Wagenknecht nicht kommen!", verspricht der Verlag und inszeniert die Politikerin groß auf dem Cover.

Wolfgang Joop

Was sagen uns diese Hände? Autorenfoto von Wolfgang Joop,

(Foto: Inge Prader)

Auf dem Foto hält Wagenknecht ihre Finger vors Gesicht und schaut dem Leser wie durch ein Gitter in die Augen, mit einem leicht verschatteten Mona-Lisa-Lächeln. Schon klar: Diese Frau passt in kein Schema, weder als Politikerin der Linken, noch als Globalisierungskritikerin oder Goethe-Kennerin. Sie macht ihr Ding, selbst wenn sie Applaus von der falschen Seite bekommt oder von falschen Parteifreunden gemobbt wird. Man könnte die Geste jedenfalls auch so interpretieren, dass sich die widerspenstige Sahra Wagenknecht gleich mal vor möglichen Gegenangriffen schützen möchte.

Wolfgang Joop wiederum wählt die klassische Intellektuellenpose, die uns schon der Bildhauer Auguste Rodin mit seinem Hauptwerk "Der Denker" eingehämmert hat: Der Kopf dieser Figur ist so voller kluger Gedanken, dass er mühsam mit der Hand gestützt werden muss. Genauso hält es nun Joop.

Auf dem Autorenfoto für sein Buch "Die einzig mögliche Zeit" blickt uns kein Modedesigner an, sondern ein Philosoph, der die Welt mit Staunen betrachtet, wie der leicht geöffnete Mund suggeriert. So streng und schwermütig schauten früher höchstens die hornbebrillten Vertreter der Gruppe 47. Allerdings fehlt Joop, um den Gesamteindruck noch abzurunden, ein wenig das Zerfurchte, der Mut zur dekorativen Falte.

Schon Balzac setzte seine Hände ein

Marketing bei Büchern: Auch Sahra Wagenknecht, Mario Adorf und Michelle Obama beherrschen die Kunst der vielsagenden Geste.

Auch Sahra Wagenknecht, Mario Adorf und Michelle Obama beherrschen die Kunst der vielsagenden Geste.

Seit den Anfängen der Fotografie ist es ein beliebtes Stilmittel, die Persönlichkeit eines Menschen mit der passenden Gestik zu illustrieren. Das gilt besonders für die Porträts von Künstlern und Schriftstellern, die mit ihren Händen überhaupt erst die Werke schaffen, für die sie bewundert werden. Eine berühmte Daguerreotypie des französischen Fotografen Louis-Auguste Bisson zeigt den Schriftsteller Honoré de Balzac als genialen Lebemann, theatralisch legt er seine Rechte auf die entblößte Brust.

Von diesem etwas aufgedunsenen Genie muss man alles erwarten, diesen Eindruck vermittelt das Bild aus dem Jahr 1842, als die Fotografie noch ein revolutionäres Medium war. Bissons Zeitgenosse Nadar (1820 bis 1910) brachte es dann zur Meisterschaft in der Künstlerfotografie: In seinem Atelier standen Charles Baudelaire, Alexandre Dumas, Eugène Delacroix oder Émile Zola.

An der Art der Handhaltung kann man schon das Temperament der Porträtierten erahnen, der leidenschaftliche Trotzkopf Zola beispielsweise hält bei Nadar die Hände über Kreuz - in einem beinahe unmöglichen Winkel.

"Warum mit der Hand schreiben?", fragt Doris Dörrie.

Spätere Fotografen gönnen den Geistesmenschen mehr Bewegungsfreiheit: Hannah Arendt darf auf einem bekannten Schwarz-Weiß-Porträt des aus Dresden nach New York emigrierten Fotografen Fred Stein in liegender Position noch eine Zigarette rauchen. Das ist 1944, und die Zeiten sind hart, wie der besorgte Blick der Autorin verrät.

Überhaupt der rauchende Dichter, der seine Selbstzweifel in kleine Schreibstubenwolken verwandelt: Auch das war lange Zeit ein beliebtes Motiv, als Geistesmenschen noch nicht auf ihre Gesundheit achteten. Wenn man alte Fotos von Erich Kästner anschaut, der fast immer eine Zigarette zwischen den Fingern hat, spürt man den Rauch fast schon in der Nase, so sehr ist der Schriftsteller auf seine Nikotinzufuhr konzentriert.

Solche Autorenfotos gehören eindeutig der Vergangenheit an, wobei der Spanier Javier Marías eine Ausnahme darstellt: Auf dem Klappentext zu seinem Roman "Berta Isla" zeigt er sich als einer der Letzten seiner Art mit Zigarette. Auf Wirkung bedacht ist auch die Autorin von "Alte weiße Männer", die 25-jährige Feministin Sophie Passmann. Sie hat sich in ihrer Lieblingskneipe beim Rauchen und Trinken fotografieren lassen - herrlich altmodisch.

Heutige Schriftstellerinnen und Schriftsteller neigen allerdings dazu, mit ihren Fotos etwas anderes zu dokumentieren: das Handwerkliche ihrer Tätigkeit, das Wertbeständige. Genau das meint wohl Doris Dörrie, wenn sie in ihrem Buch "Leben, schreiben, atmen" von ihrer Liebe zu traditionellen Schreibgeräten erzählt. "Warum mit der Hand schreiben?", fragt Dörrie. "Weil die Hand wir selbst sind. Ein Computer nicht. Eine Tastatur übersetzt unsere Gedanken, die Hand sind wir selbst, die direkte Verbindung von unserem Kopf in die Hand ist die Handschrift. Sie verändert sich, wenn man über etwas schreibt, was einen wirklich packt. Wird größer, freier." Folgt man Dörrie, dann ist das autonome Schreiben - ganz analog - eben auch eine Do-it-yourself-Aktivität, ein Nachweis der Manufactum-Persönlichkeit.

Die ultimative Geste: Das Händerreiben

Honor?? de Balzac

Hand aufs Herz: Das Foto zeigt den Schriftsteller Honoré de Balzac, wie ihn Louis-Auguste Bisson 1842 festhielt.

(Foto: Corbis Historical/Getty Images)

Dazu passt dann, wenn man als Autor sein persönliches Schreibwerkzeug zur Schau stellt: die Charakterhand. Das wirkt mal mehr und mal weniger unverkrampft, denn nicht jeder besitzt die Lockerheit einer Michelle Obama. Vor allem die spätberufenen Autoren, die im weitesten Sinne Erlebnisberichte zum Besten geben, haben auf ihren Fotos gerne eine Hand am Kinn, an der Stirn, in der Hosentasche oder auf symbolischen Gegenständen.

Der Förster Peter Wohlleben stützt sich für "Das geheime Band zwischen Mensch und Natur" auf einen bemoosten Baumstamm. Der Sportler Stefan Kretzschmar umfasst für "Hölleluja" eine feuerrote Kugel, weil "Handball der absolute Wahnsinn ist", so der Untertitel des Buches.

Der frühere Sternekoch Roland Trettl hat recht provokativ eine Wurstsemmel in der Hand, während er mit runtergelassener Hose auf der Toilette sitzt. "Nachschlag" heißt der Titel dieses Haubendramas. Etwas weniger ironisch kommt die Medizinerin Franziska Rubin daher, die sich dem "Heilen mit Lebensmitteln" verschrieben hat, also der Antithese zur Wurstsemmel; sie jongliert mit einer Zitrone.

Fehlt nur noch die ultimative Geste für all jene, die auf einen Bestseller hoffen: das Händereiben, Händefalten oder Händekneten. In der aktuellen Buchsaison machen das ganz unterschiedliche Autoren vor: der Publizist Jakob Augstein (eher reibend), die Umweltaktivistin Greta Thunberg (eher betend), der Pfarrer Rainer M. Schießler (etwas unentschlossen) oder der Meister des amerikanischen Horror-Romans, Stephen King (eindeutig betend, zu wem auch immer). Auf all diese Posen muss man sich als Leser schon seinen eigenen Reim machen. Und dann kann man dem Buch ja im Handumdrehen verfallen.

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