Markenkunde:So schreibt man Mode

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(Foto: N/A)

Balenciaga, Carven, Givenchy: Warum ihre Logos auf der gleichen Schriftart basieren - und was Marken-Typografien über unsere Zeit verraten.

Von Silke Wichert

Demnächst gibt es wieder viel zu lesen in der Mode. Die neuen Gucci-Handtaschen tragen die Lettern des Labels in 400-Punkt-Größe auf der Seite. Loewe oder Iceberg bedrucken großflächig Kleider mit ihren Namen. Nicht zu vergessen Balenciaga, das unter dem neuen Kreativdirektor Demna Gvasalia ab Herbst seinen Schriftzug wiederentdeckt: Gut lesbar wurde er hinten auf die Kragen der Ski-Parkas und die übergroßen Zipper der Bomberjacken gestickt, bei den Longsleeves ließ man die Etiketten einfach gleich außen anbringen.

Ist ja auch ein großer Name: Balenciaga! Deshalb ist er verständlicherweise auch in Großbuchstaben geschrieben, wie es die meisten Luxusmarken handhaben. Dazu in klarer, schnörkelloser Schrift gesetzt, wie es, genauer betrachtet, ebenfalls viele andere Luxushäuser machen. Wer es jetzt mal ganz genau betrachtet, der sieht: Die Buchstaben der einzelnen Häuser ähneln sich nicht nur. Sie sind nahezu identisch.

Balenciaga, Givenchy, Marc Jacobs, Carven, Strenesse, sogar Zara Home: All diese Labels basieren auf der "Engravers Gothic". Eine serifenlose Schrift, ohne feine Querlinien an den Enden der Buchstaben, minimalistisch im Design, dafür raumgreifend. Sie ist so etwas wie die "It-Schrift" der vergangenen Jahre. Nicht nur in der Mode gibt es schließlich Trends, und nicht nur dort wird gerne kopiert. Sondern in der Typografie eben auch. Typo-Trends wechseln nur nicht ganz so oft, weil das heilige Logo und das dazugehörige Schriftbild sich ja bei den Kunden einprägen sollen und schon aus Kostengründen nicht ständig aktualisiert werden können. Die meisten "Typefaces" sind deshalb möglichst klassisch gehalten. Trotzdem verraten sie einiges über die Zeit, in der sie entstanden sind, und die Marken, für die sie ausgewählt wurden.

Schon einmal im Zeitschriftenhandel die Cover von Vogue, Harper's Bazaar, Elle und L'Officiel nebeneinandergelegt? Alles konkurrierende Hefte mit unterschiedlichen Layouts - aber ganz ähnlichem Schriftbild im Titel. Sie benutzen eine "Didot" oder "Bodoni", die beiden klassizistischen Schriften schlechthin. Mitte des 18. Jahrhunderts von dem "King of Printers", Giambattista Bodoni in Parma, beziehungsweise der Familie Didot in Paris entworfen. Mit ihren feinen Serifen und besonders dünnen Linien waren sie damals Inbegriff von Modernität und Eleganz. Wie gemacht also für die Mode und deren Magazine, die die Schrift in den 1930er-Jahren entdeckten. Mit ihrem luftigen Schnitt legte sie sich wie ein Schleier übers Layout, perfekt für besonders großflächige Bilder.

"Jedes 'typeface' spricht gewissermaßen in einer bestimmten Sprache zu uns", sagt der Grafikdesigner und Typograf Paul Barnes vom Londoner Studio "Commercial Type", der unter anderem das Design des Guardian und des Givenchy-Schriftzugs mitverantwortete. "Die zwischen dick und dünn changierenden Lettern einer Didot wirken extrem graziös, auch weil sie an die klassische Gravur von früher erinnern", sagt Barnes. "Diese Schrift signalisiert sofort: Luxus, Klasse - und dass der Absender sich all diesen Weißraum in und zwischen den Buchstaben leisten kann." Kein Zufall, dass auch für Marken wie Valentino, Giorgio Armani und nicht zuletzt Zara eine Didot-Version gewählt wurde.

Für jemanden wie Coco Chanel kam solch traditionelle Eleganz freilich nicht infrage. Ihre Mode war etwas unerhört Neues, und genau das sollte man gleich am Namen ablesen können: Ganz bewusst wählte die Designerin 1924 also eine serifenlose Schrift, radikal reduziert im Design, nur in Großbuchstaben gesetzt - eine Mischung aus Autorität und Understatement. Rückblickend war das wohl so etwas wie das zeitlose "Little Black Dress" unter den Wortmarken und ein Vorläufer für minimalistische Schriftzüge von Jil Sander bis Comme des Garçons.

Die meisten Modehäuser ließen sich danach immer dem einen oder anderen Typo-Lager zuordnen - bis Yves Saint Laurent auftauchte: Er beauftragte 1963 den Posterdesigner A. M. Cassandre, der ihm ein Logo verpasste, das so ambivalent und exaltiert war wie der Designer selbst. Ein Hybrid aus Serifen- und serifenloser Schrift, weder kursiv noch gerade, womöglich auch eine Anspielung auf den Gender-Mix in Yves Saint Laurents Kollektionen. Später in den Achtziger- und Neunzigerjahren dominierten dann die protzigen und eher maskulinen Schriften Futura und Helvetica: Dolce & Gabbana, Calvin Klein, Moschino - buchstäbliches "living it large". Womit wir schließlich bei der "Engravers Gothic" ankommen, die uns seit den Nullerjahren wieder besonders oft begegnet.

Die Engravers Gothic war das ästhetische Detoxen nach den protzigen Neunzigern

Sie ist eine extrem schlichte, aber zutiefst distinguierte Gravurenschrift, die viele wohlhabende Leute noch immer auf ihre Visitenkarten drucken lassen. "Allein dieses Gravurhafte signalisiert schon automatisch Luxus, etwa im Vergleich zu klassischen Druckschriften wie der Times New Roman", sagt Barnes. Man müsse außerdem kein Font-Fanatiker sein, um zu registrieren, dass der Abstand zwischen den einzelnen Buchstaben relativ groß ist. "Du zeigst, dass du dir den Platz leisten kannst, ohne zu dick aufzutragen", sagt Barnes. Genau das Richtige also zum ästhetischen Detoxen nach den angeberischen Neunzigern. Unschwer zu erkennen, welche Schrift Barnes deshalb für das Redesign von Givenchy im Jahr 2003 wählte: eine Engravers Gothic nämlich.

So zeitlos Wortmarken idealerweise sein sollen, gelegentlich bedarf es also auch hier eines Updates. Vor allem, wenn ein neuer Kreativdirektor vor der Tür steht. Manchmal interpretiert er dann nicht nur die Kollektion, die Läden, die Werbung, sondern gleich noch die Corporate Identity neu. Phoebe Philo beerdigte bei Céline 2008 kurzerhand das Logo und beließ es bei einer Wortmarke, allerdings in leicht veränderter Schrift und mit neuem Akzent auf dem "É". Hedi Slimane strich für die Prêt-à-porter-Kollektion das "Yves" und verkürzte den Namen in "Saint Laurent". Und natürlich entledigte er sich auch dieser verzwickten Schrift und wählte stattdessen eine coole, cleane Helvetica. Manche Grafiker meinen, das passe ganz gut zu seinen Mainstream-Kollektionen, das Schriftbild sei ähnlich schlampig umgesetzt wie einige seiner Kleider.

Zumindest aber funktionierte das neue Design - nicht nur bei den Konsumenten: Die mit dem SL-Schriftzug versehenen Wasserflaschen, Duftkerzen, Bleistifte und Blöcke, die während der Modewoche im Pariser Showroom standen, wurden von den Moderedakteuren nämlich stets in rauen Mengen als Souvenir geklaut. So ist das wohl, wenn Typefaces nicht nur "wohlhabend", sondern auch "haben wollen" sagen.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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