Make-Up:Wie Frauen ihr Gesicht mit "Contouring" makellos machen wollen

Der Schminktrend ist nichts für Anfänger. Wer ihn beherrscht, kann sich eine Schönheitsoperation sparen - die anderen sollten auf den Fasching warten.

Von Tania Messner

Das Wichtigste vorweg: Contouring ist nichts für Anfänger. Es ist ein Make-up-Trend, bei dem man sich nicht mehr nur schminkt, sondern sich gleich ein neues Gesicht aufmalt. Zum Beispiel mit höheren Wangenknochen, einer schmaleren Nase, einem spitzeren Kinn - und das alles im besten Fall so ebenmäßig, als sei die Haut anschließend noch mit einem Fotofilter weichgezeichnet worden.

Eltern von Teenager-Töchtern ahnen spätestens jetzt, wovon die Rede ist, aber selbst unbeteiligten Beobachtern wird die Mode schon aufgefallen sein: An jungen Frauen, die vor Sehenswürdigkeiten Selfies machen oder mit Freundinnen auf dem Weg in einen Club sind - mit einer dicken Schicht Foundation im Gesicht, genau wie Schauspieler, die gerade von der Bühne kommen.

Das Besondere am Contouring ist, dass es dabei noch gar nicht um Farbe, Eyeshadow oder Lippenstift geht, sondern lediglich um die Grundierung. Und die jungen Frauen haben nicht mal unbedingt schlechte Haut, sie folgen nur dem Diktat der unzähligen Youtube-Tutorials, Modezeitschriften und Kosmetikanzeigen, die Contouring zum wichtigsten Trend für 2016 erklärt haben.

Kurz gesagt, kann man mit der Contouring-Technik im Gesicht eine nicht existierende Dreidimensionalität herstellen, indem man mit dunkleren Tönen eine Partie optisch tieferlegt, während man eine andere mit helleren, meist schimmernden Tönen hervorhebt. Beispielsweise erscheint eine breite Nase sofort schmaler, wenn man eine helle Linie mittig von der Nasenwurzel zur Spitze zieht und die Flanken mit einem dunkleren Ton abflacht.

Auf den richtigen Farbton kommt es an

Stimmen die Farben und werden die Übergänge anschließend mit einem Pinsel fachkundig verwischt (im Fachjargon: verblendet), ist der Effekt tatsächlich enorm. Sogar eine veritable Boxernase wirkt dann plötzlich schmal wie die von Michael Jackson - vorausgesetzt, man macht wirklich alles richtig. Und genau das ist die Schwierigkeit an der Geschichte.

Einfach zu erlernen ist die Technik nämlich nicht. Kann man bei herkömmlicher Foundation (die man beim Contouring auch noch zusätzlich darunter aufträgt) schon Stunden im Kosmetikgeschäft verbringen, bis man den richtigen Farbton gefunden hat, muss man jetzt immer gleich zwei ideale Töne finden: hell und dunkel. Doch bei der riesigen Auswahl von speziellen Contouring-Paletten, die Luxusfirmen wie Chanel, Dior, Estée Lauder oder Tom Ford heute ebenso anbieten wie die günstigeren Kosmetikhersteller L'Orèal Paris, Manhattan oder Artdeco, ist das noch das kleinste Problem.

Richtig kompliziert wird es, wenn es darum geht, wo man die gewünschten Höhen und Tiefen genau platziert. Gefordert ist ein nahezu skulpturales Verständnis für das eigene Gesicht - Tom Fords Contouring-Palette heißt nicht von ungefähr "face architecture". Es ist kein Trend für Naturalisten.

Make-up-Artisten unterscheiden bei Frauen vier Gesichtstypen

Hilfestellung sollen Illustrationen von Make-up-Artists geben, die das weibliche Antlitz in vier Typen einteilen: schmal, rund, eckig und herzförmig. Blöd nur, dass echte Gesichter meist eine Mischform darstellen, was die simple Hilfestellung ad absurdum führt. Was tun bei einem mittelbreiten Gesicht mit spitzem Kinn? Die Unterschiede sind gewaltig.

Während eine Frau mit einem schmalen Gesicht in der Regel viele helle Töne einsetzt (etwa auf der Stirnmitte, am seitlichen Haaransatz, auf der oberen und unteren Wangenpartie sowie zwei kleine Punkte seitlich des Kinns) und auch dunkle Töne verwenden kann, arbeiten Frauen mit rundem Gesicht nur mit dunklen Tönen, um das flächige Areal zu konturieren. Also muss meistens kombiniert werden. Aber wie?

Youtube-Tutorials erklären Contouring für Anfänger

Zielführender sind Youtube-Tutorials von Beauty-Bloggerinnen. Im besten Fall findet man eine Expertin mit ähnlichen Gesichtszügen wie den eigenen. Hat man die ideale Vorlage gefunden, fängt der Spaß erst an: Üben! Anders als das Auftragen von Lippenstift lernt man Contouring nicht durch zweimaliges Probeschminken. Es muss aufgetragen, abgeschminkt, neu gesetzt werden, immer und immer wieder, damit man nicht aussieht wie eine Karikatur seiner selbst.

Man kann es sich als Laie etwa so vorstellen wie bei den Bildern von Bob Ross. Als Tutorials noch Telekolleg genannt wurden, gelangte der amerikanische Maler zu einiger Berühmtheit, weil er in halbstündigen Lehrvideos vor einer Leinwand stand und erklärte, wie man mit wenigen Pinseln, Spachteln und Farbe eine Winterlandschaft oder eine Scheune an einem Bach malen konnte. Bob Ross malte nicht so sehr, er setzte vielmehr auf den erzielten Effekt: Schnee auf einer Tanne tupfte er mit einem breiten Pinsel auf, den er in weiße Farbe tunkte und dessen Borsten sich auf der Grundierung spreizten.

Vor den Augen der Zuschauer visualisierte sich eine Szene, die ganz einfach herzustellen schien. Ross ermutigte seine Zuseher, es selbst zu probieren: "Now we paint a tiny, tiny tree." Was bei ihm so federleicht aussah, klappte zu Hause natürlich nicht unbedingt. Denn auch wenn er kein Dürer war, so wusste Ross doch, welcher Eindruck aus betrachtender Entfernung entsteht. Er hat mit Sicherheit sehr viele Leinwände bemalt, bevor er sich damit vor eine Fernsehkamera stellte.

Von nahem sieht Contouring oft aus wie Faschingsschminke

Ähnlich verhält es sich mit dem Contouring, das aus der Nähe manchmal nur wie zu dick aufgetragen aussieht, manchmal aber schon nach Fasching. Doch selbst wer die Technik wirklich beherrscht, braucht Zeit: Make-up-Artists rechnen für ein komplettes Contouring etwa 30 Minuten ein. Wie gesagt, dann ist nur die Grundierung fertig. Wer bereit ist, das zu investieren, hält sich in der Regel auch nicht zurück, wenn es danach endlich an die Farben und Spezialeffekte geht - Lippenstift, Eyeliner oder falsche Wimpern.

Vorbild ist bei diesem wie bei so vielen Schminktrends der jüngeren Zeit Kim Kardashian. Die Frau, die berühmt wurde durch stures Berühmtsein-Wollen, gilt inzwischen auch in Deutschland als Referenzgröße für angesagte Looks. Nicht zuletzt mithilfe von Contouring erfindet sie sich jeden Tag neu, teilt sich mit ihren Fans und sammelt die Likes ein. Natürlich kann Kardashian sich einen Make-up-Artist leisten, wohingegen Privatschminker ihr Make-up überaus präzise vor dem Spiegel auftragen sollten.

Das ideale Medium, um die Wirksamkeit der Eigenstuckatur zu überprüfen, bleibt ein Selfie. Denn der erwünschte Effekt kommt in der angeblitzten und durchgeschärften Ebene der digitalen Fotos am besten zur Geltung. Künstlich, glatt und wie von innen leuchtend wirkt die Haut dann auf den Bildern, wie mit Photoshop bearbeitet. Das ist sinnvoll, denn die aufwendige Technik ist gerade bei jungen Frauen nicht deswegen beliebt, weil sie damit im Supermarkt oder im Club angestarrt werden, sondern weil sie ihren Auftritt in den sozialen Vorzeigemedien damit optimieren können. Was zählt, ist der perfekte Look auf Instagram: Dort kann keiner der digitalen Filter mit der handgemachten Typveränderung mithalten.

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