Süddeutsche Zeitung

Klima:Das Erwachen in der Mode wird hart

Die Erkenntnis, dass Mode nachhaltiger werden muss, ist auf dem Laufsteg angekommen: In Mailand war immerhin schon mal das Kleid von Jennifer Lopez grün.

Von Tanja Rest

Am Weltklimatag, der in Mailand durch einen boshaften Einfall des Schicksals mit der Modewoche zusammenfiel, weiß Gott kein Gipfeltreffen von Unschuldslämmern, war die Stimmung an den Laufstegen erratisch. Es herrschte Einigkeit darüber, dass es so nicht weitergehen kann, das Klima gerettet werden muss und Green Fashion der wichtigste Trend ist seit Langem. Womöglich noch wichtiger als Sneakers.

Darüber hinaus hatten einige Angst, dass eine Klima-Demo die Innenstadt verstopfen würde, worauf sie - furchtbare Vorstellung - aus ihren schwarzen Mercedes-Limousinen aussteigen und mit den neuen Bottega-Schuhen zur nächsten Show laufen müssten. Nicht zuletzt fragten sich viele (das hatte mit dem Klima dann schon nichts mehr zu tun), was Donatella Versace mit dem Geld anfangen würde, das der Verkauf an Michael Kors in die Betriebskasse gespült hat.

Blenden wir uns also ein in die siebzehnte Minute der Versace-Show. Die Kollektion ist zu diesem Zeitpunkt schon gelaufen, rituell vorgeführt von allen in Mailand gerade vorhandenen Topmodels. Sie war tough, sexy, absolut unmöglich, dabei aber großartig. Mikroröcke. Breitschultrige, luftabquetschend auf Taille gearbeitete Blazer mit Goldknöpfen doppelreihig. Dazu Bustiertops und Killerpumps, bis unter die Kniescheibe hochgeschnürt. Über die Schlüssel-Looks wucherte ein giftig grünes Blättermuster, Green Fashion alla Versace. Mode wie auf Acid.

Nun ertönt die Stimme von Donatella: "Google, zeig mir Bilder von diesem Dschungelkleid." Auf Videoscreens erscheint die Google-Suchmaske und dann zigtausend Mal das gleiche Motiv aus dem Jahr 2000: die Sängerin Jennifer Lopez bei den Grammy Awards im legendär knappen Versace-Fähnchen, das einen weltweiten Suchanfragen-Boom auslöste, weshalb in jener Nacht (so will es die Legende) Google Images geboren wurde. Noch einmal Donatella: "Google, und jetzt zeig mir das echte Dschungelkleid."

Plötzlich sieht man die Menschen am Anfang des Laufstegs aufspringen. Eine La Ola des Jubels rast durch den Saal, und dann schwingen der Original-Hintern und die Brüste wahrhaftig vorbei, im Dschungeldress von damals, mit seiner alles implizierenden, nichts preisgebenden Irrsinnsstatik. Die Antwort auf die Frage, was Donatella Versace mit dem Geld von Michael Kors gemacht hat, lautet: Sie hat sich J.Lo gekauft, mit freundlicher Unterstützung von Google, und dieser Deal war Gold wert. Nach Berechnungen von Datenanalysten generierte Lopez' Kurzauftritt eine Medienaufmerksamkeit im Wert von 9,4 Millionen Dollar. Ein Viertel der gesamten Londoner Modewoche.

Schwarze Limousinen, die alles lahmlegen, gehören zur Modewoche

Zurück zum wichtigstem Trend seit Langem, er hat im Modemonat September die Schlagzeilen der Branchendienste bestimmt: 32 Häuser haben einen "Fashion Pact" zugunsten des Klimas, der Biodiversität und der Ozeane unterzeichnet; Gucci wird karbon-neutral, der Mutterkonzern Kering ebenfalls; Marni zeigt seine herbe Ethno-Kollektion unter Palmen, die, wenn man richtig verstanden hat, aus Plastikflaschen recycelt wurden, die bei der Männer-Show im Juni überm Laufsteg hingen. Wow.

Die Wahrheit ist natürlich, der Klimawandel in der Mode steht noch aus. Da muss man nur das Getriebe der Fashion Weeks begutachten: Überdimensional verpackte Einladungen werden im Digitalzeitalter immer noch von motorisierten Kurieren ins Hotel geliefert und hinterlassen beim Check-out einen Berg von Müll. Ein paar Hundert schwarze Limousinen kriechen tagelang luftverpestend und verkehrsverstopfend durch die Innenstadt. Und wenn die Zeit der Cruise Collections gekommen ist, jettet der Tross nach Havanna, Peking, Nizza - für eine einzige Show, die zwanzig Minuten dauert.

"Es gibt heute zu viel Mode, zu viele Kleider, zu viel von allem."

Zielführender als Kerings Reparationszahlungen an den Planeten (Schätzungen zufolge werden sie sich auf 0,004 Prozent des Umsatzes belaufen) ist eine andere Maßnahme, die auf den Laufstegen durchaus zum Tragen kam. Zeitlosigkeit. Die Mode erlösen vom fiebrigen Konsum, auf den nach dreimal Anziehen Langeweile folgt. Kleider, die in zehn Jahren immer noch relevant sein werden, fand man in Mailand zum Glück viele. Zum Beispiel bei Prada.

Das dänische Model Freja Beha Erichson im grauen Ripp-Pulli mit knöchellangem, wollweißem Rock: Das war der erste Look. Manche rieben sich die Augen. Sie sah beinahe nackt aus. Es folgten ungeheuer schöne, nahezu klassische Kleider, angesiedelt wie so oft zwischen den Zwanzigern, den Siebzigern und heute, aber die Fassade war blank, wie abgeräumt. Miuccia Prada, von Kritikern seit jeher hochgejubelt und nicht immer zu Recht, ist durchaus Teil des Fast-Fashion-Zirkus.

Ein Prada-Schuh von letzter Saison ist für Eingeweihte auf den ersten Blick erkennbar und damit Altware. Diesmal aber formulierte die Designerin nach der Show den folgenden Satz: "Wir müssen nicht mehr, sondern weniger tun. Es gibt heute zu viel Mode, zu viele Kleider, zu viel von allem." Wie wahr. Aber warten wir ab, wie sie nächste Saison darüber denkt.

Andere Häuser haben die Eleganz in ihrer DNA, Salvatore Ferragamo zum Beispiel. Ein Familienunternehmen noch immer, das seiner Ästhetik treu geblieben ist, unbeirrt von den draußen gerade vorbeirasenden Trends. Die Kollektion war so zeitlos schön wie die Kulisse, in der sie gezeigt wurde: in der Rotonda della Besana, einer Kolonnade aus dem 17. Jahrhundert, die mitten in der Mailänder City eine Kapelle mit Garten umschließt. Paul Andrew heißt seit drei Jahren der Designer. Ein britischer Sunnyboy, der die Kollektion behutsam modernisiert und ihr eine diskrete Sinnlichkeit verpasst hat. Die Konzentration aufs Handwerk, feinste Stoffe, makellose Verarbeitung, klare Silhouetten und Funktionalität findet man auch bei Tod's, Agnona oder Sportmax. Das ist nicht immer aufregend, dafür springen die Leute nicht auf die Bänke wie bei Versace, das trendet auch nicht auf Instagram. Aber es sind die richtigen Kleider zur rechten Zeit.

Wie passend, dass ausgerechnet jetzt die Marke Jil Sander zurück ist. Also, wirklich zurück. Unter der Kreativdirektion des Ehepaars Luke und Lucie Meier sind der Minimalismus, das Verständnis von Mode als Architektur immer noch Kern der Kollektion. Es ist aber etwas hinzugekommen. Emotion. Fluidität. Sie steckt in den bunt marmorierten Kleidern, den Fransenröcken, den Fisch- und Wellenprints auf fließender Seide. Die traditionell eher kühle Marke strahlt neuerdings tatsächlich etwas Wärme aus. Ein bisschen weniger hochgeschlossen, und man wäre wahrhaftig versucht, von Temperament zu sprechen.

Weniger ist mehr, das alte Credo von Jil Sander, findet sich diesmal sogar dort, wo man es am wenigsten erwartet hätte. Bei Gucci. Schon im Vorfeld erreichen einen Gerüchte, es sei diesmal einiges anders als sonst. Manche wollen sogar erfahren haben, die Kollektion sei ganz in Schwarz (!) gehalten, und die Schnappatmung auf den Rängen hätte man wirklich gern gesehen. Alles an Gucci ist ja seit Jahren maximal: die Farbigkeit, der Dekor, die Klicks, der Umsatz. Die Saison, als in der Front Row vierzig Paar pelzverbrämte Slipper des Hauses wippten, liegt allerdings schon etwas zurück. Zeit, der Gucci-Geschichte eine neue interessante Wendung zu verpassen.

Nichts liebt diese Branche mehr als einen saftigen Hype

Zwei Stunden nach der Show erreicht einen eine nervöse Mail der PR-Abteilung. Ob klar geworden sei, was der Designer Alessandro Michele mit den weißen Auftakt-Looks habe ausdrücken wollen, dass nämlich Uniformen die radikalste Form der Einengung seien? Ein Shitstorm spült das Foto zu diesem Zeitpunkt schon durchs Netz: das Model Ayesha Tan Jones in einer weißen Kluft, die stark an eine Zwangsjacke erinnert.

Aus Protest gegen diesen Look hat sie ihre Handflächen beschriftet und den Fotografen hingehalten. Man liest: "Mental Health is not Fashion". Da ist leider etwas dran. Und den Effekt von zwanzig auf Laufbändern vorbeifahrenden Zwangsjackenträgern hätte es gar nicht gebraucht, denn es folgte eine wirklich starke Gucci-Kollektion: so viel Haut wie nie, so wenig Dekor wie nie, so ernsthaft wie nie - eine Hymne auf die Modewahrheit, dass das Individuum die Kleider macht und nicht umgekehrt.

Wobei. Da war ja auch noch Bottega Veneta. Die erste Kollektion des Designers Daniel Lee hängt gerade in den Läden, und die Knautsch-Clutches und wuchtigen Flechtpumps sind quasi ausverkauft. Auch wenn jetzt alle von Reduktion reden: Nichts liebt diese Branche am Ende des Tages mehr als einen saftigen, bugwellenerzeugenden Hype, der ihr vorerst noch alleine gehört. Entsprechend hoch zuckt die Fieberkurve vor Lees zweiter Bottega-Schau.

Sie ist ähnlich maximalistisch wie der backsteinschwere Einladungsklotz aus Kunstharz: gewaltige Volumen, allein die Flechttaschen sind so groß, dass man darin Zwillinge in den Schlaf schaukeln könnte. Überall Leder, Asymmetrien, Einblicke auf nackte Haut - im Alltag nicht unbedingt tragbar, aber radikal. Wer noch nie erlebt hat, wie der Vibe des Neuen bei einer guten Show quasi elektrisch in einen hineinfährt, der wird kaum verstehen, dass man mit Herzklopfen nach Hause lief. Doch dann - fiel einem Miuccia Prada ein.

Wie hatte sie noch gleich gesagt? "Wir müssen weniger konsumieren, dabei wollen die Leute das Neue. Die Kunden wollen es, die Journalisten wollen es, alle wollen es. Es ist ein totaler Widerspruch." Das Erwachen in der Mode wird hart.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2019
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