Männermode:Herr, erbarme dich

Vom Glanz der mondänen Badelatsche und dem Charme der weiten Hose: sieben Eindrücke von der Mailänder Herrenmodewoche, die gerade in der Krise steckt.

Von Dennis Braatz

1. Die Ausgangslage

Das wichtigste Thema dieser Mailänder Männermodewoche zeichnete sich eigentlich schon vor Monaten ab: ihre Krise. Seit Februar haben sich vier hochkarätige Marken von ihren Designern getrennt. Zwei weitere haben sich dazu entschlossen, ihre Herren- und Damenlinien demnächst in einer Kollektion zu zeigen, während der Frauenmodewochen. Einerseits, um den Arbeitsaufwand zu verringern und Kosten zu sparen. Andererseits, weil der Mode-Zeitgeist gerade kaum noch Unterschiede zwischen Männern und Frauen macht. Das hat nun zu riesigen Löchern im Schauenplan geführt - und einer Menge Frust bei Redakteuren und Einkäufern. Am meisten diskutiert wurde über Brioni. Für die stilistischen Geschicke ist dort neuerdings Justin O'Shea verantwortlich. Der Mann war vorher Einkäufer beim Onlineshop Mytheresa, saß deshalb bis vor Kurzem selbst noch als Gast auf jeder Show und war ein beliebtes Motiv der Streetstyle-Fotografen. So richtig scheint er nicht von seinem alten Leben lassen zu können. Zumindest wäre er sonst wohl nicht als Gast zu Gucci gekommen, zur Konkurrenz also. Vielleicht aber weiß er einfach ganz genau, dass man Brioni jetzt im Gespräch halten muss: Seine Debüt-Kollektion zeigt O'Shea im Juli während der Pariser Couture-Woche. Sie wird, ganz im Sinne des neuen Heilsversprechens "See now, buy now", sofort danach im Handel erhältlich sein.

2. Die neue Macht?

Je mehr Designer wegbleiben, desto größer wird für andere die Chance auf einen Coup. Auch Dolce & Gabbana ist das klar. Wo in ihrer Front Row sonst immer gewichtige Chefredakteure saßen, dürfen diesmal ein Dutzend Milchbubis mit Föhnfrisuren Selfies machen. Die "Millennials", so nennen die Designer sie selbst, vereinen in den sozialen Medien Millionen Follower. Sie sind Internet-Erscheinungen, die wechselweise als Blogger, Schauspieler oder Sänger von sich reden machen. Der Anführer der allerjüngsten Jeunesse dorée heißt Cameron Dallas. Der 21-Jährige sorgte vor einem halben Jahr als Stargast bei Calvin Klein für einen Aufmarsch von Tausenden Teenies. Seitdem hat er es bis aufs Cover der Teen Vogue geschafft. Calvin Klein aber gehört inzwischen zu den Marken, die in Mailand ohne Designer dastehen. Mancher Gast scherzt deshalb zu Beginn der Dolce-&-Gabbana-Show, dass man noch so viele dieser Jünglinge in die erste Reihe holen könne, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern - am Ende reiche die Kaufkraft ihrer Groupies eh nicht für Luxusmode aus. In diesem Fall sind das Pailletten-Sakkos und Hemden mit Gitarren- und Ananas-Prints, schwarze Anzughosen und immer wieder Leoparden-Muster. Das Kollektionsthema ist Musik, eine Jazz-Band spielt "Bei mir bist du schön!". Es regnet Gold-Glitzer. Die Mode und ihre Inszenierung ist also sowieso nicht für das ganz junge Publikum gedacht. Dass die Teenies draußen trotzdem den Verkehr zusammenbrechen lassen, kann aber nicht schaden. Dolce & Gabbana sind das wichtigste Thema des Tages.

3. Der wichtigste Schuh

Geht es nach der großen Mehrheit der Designer, kaufen wir uns alle nächsten Sommer mindestens ein Paar Badelatschen. Nicht aus Gummi, sondern in der eleganteren Version aus Leder. Und weil Pantoletten mittlerweile Mules heißen und Rauke Rucola, sagt man zu Badelatschen jetzt Pool-Slides. Fendi hat zur Untermauerung dieses Trends gleich mal ein ganzes Schwimmbecken in den Laufsteg eingelassen. Die Models tragen zu den Schuhen nicht nur kurze, sondern auch lange Karo-Hosen und sogar Sakkos (siehe auch Brunello Cucinelli oder Salvatore Ferragamo). Klingt nach einer Schnapsidee? Dann lassen wir doch mal den Einzelhandel zu Wort kommen. Damien Paul, Männermode-Chef beim Onlineshop Matchesfashion: "Pool-Slides sind die beste Alternative zur klassischen Sandale, und derzeit sieht es ganz so aus, als würden sie die nächsten Kult-Schuhe werden." Paul muss es wissen, weil er erste Modelle schon ziemlich erfolgreich anbietet. Weglassen sollte der Mann von Welt allerdings die Socken. Das sieht nach wie vor zu sehr nach Touristen-Look aus. Die effekthaschende Styling-Idee für offenes Schuhwerk hat jüngst Raf Simons wieder für seine Show angewendet - und Prada.

4. Die beste Kollektion

Hier sind die Strümpfe so dick, dass man denken könnte, Miuccia Prada hätte sich in die Wintersaison verirrt. Wirklich warm ums Herz soll einem beim Anblick der Location aber auch nicht werden: Aus Industriegittern wurden Zuschauerränge und ein ansteigender Laufsteg gebaut. Das ist so unbequem wie futuristisch. Im Hintergrund donnert "Insomnia" von Faithless aus den Musikboxen. Die Mode ist ungewohnt funktional. Wasser- und windabweisende Hosen, hauchdünne Mäntel, Westen und Anzüge aus japanischem Nylon. Die Säume dieser Kleidungsstücke sind mit Bündchen zum Zuziehen versehen. Das passt schon mal ziemlich gut zum Wetter: Der Regen der vergangenen Wochen ist in weiten Teilen Europas zum Dauerbegleiter geworden, und in Mailand ganz besonders. Bis zu viermal schüttet es hier täglich für ein paar Minuten, dann reißt der Himmel plötzlich wieder auf.

Nun sind da aber noch die Rückseiten der Models. An riesigen Rucksäcken baumeln Trinkflaschen, Taucherschuhe, Taschenlampen, aber auch Anzugschuhe und Sakkos. Interessantes Bild: Ausgerüstet mit dem Nötigsten haben sie sich auf den Weg gemacht, um anderswo an ihr altes Leben anzuknüpfen. Schon Miuccia Pradas letzte Kollektion griff das auf, damals lauteten ihre Stichworte: "Zuwanderung, Hungersnöte, Anschläge". Nun gibt sie backstage folgenden Satz zu Protokoll: "Ich bin Optimistin, aber ich sehe, was um mich herum passiert, und meine Angst wird größer."

Damit ist sie in Mailand wieder mal die einzige Designerin, die das aktuelle politische Zeitgeschehen aufgreift. Obwohl das Unternehmen eigentlich ganz andere Sorgen haben müsste. Die Gewinne und Umsätze sind im abgelaufenen Geschäftsjahr stark gesunken. Es muss also dringend wieder verkauft werden, weshalb man wohl auch vor der Show neue Parfums vorstellt. Die Flakons von La Femme und L'Homme bilden einen Kreis, wenn sie nebeneinander stehen. Dazu passt, dass Prada erneut die Zwischenkollektion für die Frauen mit in die Show einmischt - und am Rucksack des letzten Männerlooks keine Anzugschuhe, sondern Lackpumps hängen. Ein Vorgeschmack? Nicht auszudenken, was in Mailand los wäre, wenn diese Ausnahmedesignerin auch noch ihre Schauen zusammenlegen würde.

5. Herrenmode heute

An dieser Stelle empfiehlt sich noch mal ein genauer Blick auf die Marken, die sich seit Februar von ihren Designern getrennt haben. Das waren neben Brioni auch Ermenegildo Zegna und Salvatore Ferragamo. Mit anderen Worten: die besten italienischen Herrenschneider. Fakt ist, dass das Geschäft mit Anzügen und formeller Kleidung schon länger nicht mehr richtig gut läuft. Weil Männer im Alltag nun mal immer seltener Anzug tragen. Wer es sich erlauben konnte, hatte deshalb schon früher auch funktionale und sportliche Kollektionen auf den Laufsteg geschickt. Andere Designer haben eben experimentiert, mit ganz neuen Männer-, aber eben auch Frauenbildern.

6. Das Farbkonzept

Bei Gucci ist es jetzt entschiedene Sache: Die Männerkollektion ist zum allerletzten Mal eigenständig, Frauen- und Männermode werden in Zukunft zusammen gezeigt. "Mir kommt das ganz natürlich vor. So sehe ich die Welt", erklärte Designer Alessandro Michele schon vor ein paar Wochen seine Entscheidung. Genauso wie Miuccia Prada nimmt er sein Publikum mit auf eine Reise, allerdings flieht hier keiner vor der Apokalypse. Man sitzt in einem quietschgrünen Raum auf butterweichen Samtbänken und hört Klaviergeklimper. Es gibt rosa Sakkos über karamellfarbenen Rollkragenpullovern oder einen petrolfarbenen Mantel zum himmelblauen Seidenhemd. Im Fachvokabular der Modeleute nennt man dieses Farbenspiel "Colour Blocking". Ein noch größerer Trend werden in der nächsten Saisons aber Farben, die man von Kopf bis Fuß trägt, vor allem Beige-, Sand- und blasse Rosétöne (siehe auch Jil Sander und Moncler). Nachdem Micheles Entwürfe zuletzt an Dekor nur so zu explodieren drohten, darf sich das Auge hier ab und zu entspannen. Seine Kollektion ist die dramaturgisch stärkste, die er bislang abgeliefert hat. Ob nun gemischt oder einzeln: Für den Durchschnittsmann werden die neuen Farben wohl etwas problematisch werden. Sie fallen ganz einfach ein wenig zu leuchtend beziehungsweise zu zart aus. Zum Glück wird aber so schnell keine Marke den klassisch dunkelblauen Anzug aus dem Sortiment streichen.

7. Die Hosenform

Zum Schluss noch ein Trend, den wirklich jeder mitmachen kann: weite Hosen. An ihnen wird im nächsten Sommer niemand vorbei kommen. Es gibt sie jetzt nicht mehr nur als edle Dandy-Version mit Bügelfalte, sondern auch aus flatterndem Leinen von Giorgio Armani oder als Jogginghosen von No. 21. Letzteres erinnert natürlich schnell an die Baggypants der Neunzigerjahre. Glaubt man Diesel Black Gold, dann sind wir tatsächlich nicht mehr weit von ihrem Comeback entfernt. Der Designer Andreas Melbostad hat sie aus Nylon und stilechtem Denim gezeigt. Das mit Abstand weiteste und schönste Modell aber stammt von Bottega Veneta und ist eine Art Anglerhose. Zumindest sitzt sie ähnlich hoch, und die Beschichtung sieht aus, als würde man darin sogar bei Hochwasser trocken bleiben. Soll der nächste Regen doch ruhig kommen.

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