Männermode:Gender Studies

Zwischen brutal männlich und klassisch feminin: Warum auf der Mailänder Fashion Week alte und neue Rollenbilder aufeinander prallten.

Von Dennis Braatz

Ein stillgelegtes Industriegelände am ersten Abend der Mailänder Männermodewoche. Monstertrucks walzen Autos platt. Motorradfahrer jagen sich gegenseitig in einer Todeskugel. Schrotthaufen geraten in Brand. Polizeisirenen. Der Superstar-Rapper Tyga tritt auf. Es qualmt, regnet Funken, irgendwo laufen Models auf und ab. Fast eine Stunde geht das so, bis der Mann in die Arena gefahren wird, der für das brachiale Spektakel verantwortlich ist gegen das "Mad Max" im Vergleich wirkt wie eine Philosophie-Vorlesung: der Modedesigner Philipp Plein.

Ach ja, da war ja auch noch was zum Anziehen. Sneaker mit Nieten, Lederjacken, zerschlissene Jeans, Lederjacken mit Nieten - wie immer. Keine künstlerische Leistung, keine Vision. Clubwear für Jetset-Neureiche und alle, die in den Schlangen früherer Promi-Discos auf Einlass warten. Carmen und Robert Geiß zum Beispiel.

Aber nicht nur deshalb wurde Plein zum wichtigen Gesprächsthema auf der Modewoche. Der Deutsche verballerte in einer einzigen Show mehr Testosteron als alle seine Kollegen zusammen in immerhin 37 Shows (die im Schnitt nur zehn Minuten dauerten). Die großen italienischen Häuser riefen für den Sommer 2016 das komplette Gegenteil von Pleins Vorstadt-Machismo aus: einen zarten und häufig weiblichen Mann.

Allen voran Gucci. Der neue Designer Alessandro Michele etablierte mit seinem Debüt vergangene Saison überhaupt erst das Gender Bending in Mailand. Um das Feminine seiner Entwürfe noch stärker zu untermauern, wählte er diesmal eine schroffe Fabrikhalle als Location, mit einem 100 Meter langen Laufsteg. Zu gregorianischen Gesängen und Männerstöhnen präsentierte Michele Schlaghosen, Schluppenblusen aus Seide und pelzbesetzte Morgenmäntel. Dazu, wie schon vergangenes Mal, Hemden aus Spitze. Ja, genau das Stöffchen, das Männer wirklich nur aus Frauenschränken kennen.

Männermode: Mailänder Paradiesvögel (v.l.): Outdoor-Look von Bottega Veneta. Oversize-Jacke und Leder-Shorts von Prada. Spitzen-Top und Baggy-Pants von No. 21.

Mailänder Paradiesvögel (v.l.): Outdoor-Look von Bottega Veneta. Oversize-Jacke und Leder-Shorts von Prada. Spitzen-Top und Baggy-Pants von No. 21.

(Foto: Getty Images)

Manche Kollektionen erinnern daran, dass die Mode früher nie Geschlechtergrenzen kannte

Mit diesem kleinen Verwirrspiel will Michele an Epochen erinnern, in denen es noch gar keine modische Geschlechtertrennung gab, nämlich die Zeit vor der Französischen Revolution. Erst als Männer damit begannen, sich gegen den Adel aufzulehnen, änderte sich auch ihr Dresscode. Um sich optisch abzuheben von den Vertretern des Ancien Régime, verzichteten sie auf Stickereien, Schminke, hohe Absätze, bunte Muster und eben Spitze. Der britische Psychologe John Carl Flügel schrieb schon 1930 über das wichtigste Ereignis der Herrenmode: "Der Mann gab den Anspruch auf, für schön gehalten zu werden. Ihm ging es nur noch darum, nützlich zu sein."

Klingt nicht gerade nett, aber wenn man sich so umschaut in den Fußgängerzonen und Großraumbüros, ist Flügels Sätzen bis heute nur wenig zu entgegnen. Wir haben uns eben längst an die "große männliche Entsagung" gewöhnt. Und welchem Mann würde man es deshalb schon übel nehmen, wenn er sich jetzt nicht sofort im neuen Gucci-Look sehen will, so fantastisch die Show auch wirklich war?

Andere Labels präsentierten den Gender-Trend deshalb lieber gleich in etwas leichterer Form. No. 21 zum Beispiel, für das Alessandro Dell'Acqua aus der Spitze sportliche Tanktops und Bomberjacken fertigte. Bei Prada steckten hauchdünne Hemden in kurzen Shorts, hinten flatterten sie, darunter saßen tief dekolletierte Leibchen. Für Ermenegildo Zegna Couture verhüllte Stefano Pilati muskulöse Körper mit weiten Hosen (Riesentrend!) und zart getönten XL-Mänteln. Oder Dolce & Gabbana, die vor allem asiatische Drucke von Pfauen mit klassischen Anzugschnitten paarten und damit eine der wohl verträglichsten Versionen ablieferten.

Natürlich gab es in Mailand auch Kollektionen zu sehen, die sich auf herkömmlichem Wege der Herren-Garderobe näherten. Tomas Maier setzte für Bottega Veneta zum Beispiel auf Outdoor-Looks. Das Bild des knallharten Holzfällertypen wollte aber auch hier nicht so recht aufkommen. Stattdessen gab Maier mit Häkelmützen und perlenbesetzten Sandalen, die manchmal mit dicken Socken gestylt wurden, der Kollektion einen spirituellen Einschlag. Es ging um Sensibilität, für sich und andere.

Männermode: Karierter Mantel und weite Hose von Ermenegildo Zegna Couture. Morgenmantel mit Pelzmanschetten von Gucci. Anzug mit Pfauendruck von Dolce & Gabbana.

Karierter Mantel und weite Hose von Ermenegildo Zegna Couture. Morgenmantel mit Pelzmanschetten von Gucci. Anzug mit Pfauendruck von Dolce & Gabbana.

(Foto: Getty Images)

Neu ist das Gender-Thema nicht in der Männermode, es kam nur noch nie so geballt vor

Womit wir bei der Frage wären, warum sich die Mode ausgerechnet jetzt so intensiv mit dem Gender-Thema beschäftigt. Streng genommen ist es nicht das erste Mal, dass sich Designer auf "all die glänzenden, heiteren, raffinierten und abwechslungsreichen Formen des Schmückens" besinnen, wie Flügel sie nannte. Mit dem elitären Beau Brummel kam schon um das Jahr 1800 der Typus des aufwendig zurechtgemachten Dandys auf. Dann in den Sechzigerjahren die Peacock-Bewegung: Männer gingen kreischbunt und mit Rüschenhemden unter den Anzügen vor die Tür. Oder in den Achtzigern die New Romantics, die erstmals bewusst einen Look zwischen Mann und Frau mit Schminke, Perücken und Schulterpolstern kreierten. Zwar sind diese Modephänomene niemals im Mainstream angekommen, aber sie zeigen, dass Geschlechtergrenzen im Lauf der Zeit immer weiter aufgebrochen sind - und womöglich sehr bald endgültig fallen. Mit Conchita Wurst gewann ein junger Mann in der Rolle einer Frau den European Song Contest. Kim Kardashians Stiefvater beschloss, sich zur Frau umoperieren zu lassen und landete als "Caitlyn" auf dem Cover von Vanity Fair. Transgender-Models sind auf den Laufstegen seit dem Durchbruch von Andrej Pejić (mittlerweile Andreja) vor vier Jahren völlig normal. Mann oder Frau? Egal! Sei, was du willst! Diese Entwicklung wird von vielen Designern gerade aufgegriffen und gefeiert - und die Branche klatscht begeistert mit, schließlich ist das die wahre künstlerische Leistung dieser Tage.

Nur mit der Verkäuflichkeit, da sind sich in Mailand alle einig, wird's leider auch diesmal wieder schwierig. Keine Frage, Alessandro Michele will bei Gucci gar nicht den Durchschnittsmann anziehen. Er wendet sich mit seiner Kollektion an eine modische Elite. Exzentriker wie Oscar Wilde, Brian Jones oder Boy George wurden zwar schon immer von allen für ihren Mut bewundert, nur wenige haben ihnen aber wirklich nachgeeifert. Micheles Arbeitgeber ist jedoch eines der weltweit umsatzstärksten Modehäuser, für das die vergangenen beiden Saisons nicht wirklich perfekt gelaufen sind. Allein im ersten Quartal 2015 schrumpften die Erlöse um 7,9 Prozent. Auch der Gigant Prada ist zuletzt ins Minus gerutscht. Beide müssen also dringend wieder gut verkaufen. Dolce & Gabbana und Bottega Veneta konnten zwar ein Plus verzeichnen, ihre Kollektionen waren aber auch deutlich tragbarer.

Den Außenseiter Philipp Plein muss das alles nicht interessieren. Trotz eines Skandals in China (Plein verkaufte T-Shirts mit dem Aufdruck "F.U.C.K. YOU CHINA"), wird sein textiler Macho-Trash mal wieder bestens laufen. Seit 2009 schafft er damit jährlich Umsatzzuwächse im hohen zweistelligen Bereich. Manchmal kann die Welt so ungerecht sein.

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