Süddeutsche Zeitung

Männer in Shorts:Mut vor Stil

Wer als Mann in diesen Tagen das ästhetisch Unfassbare wagen und im Büro kurze Hosen tragen will, braucht Mut: Er muss sich darauf gefasst machen, dass man ihn nicht ernst nimmt. Vor allem aber sollte er die Regeln kennen.

Von Violetta Simon

Ein Sommermorgen, auch heute soll es wieder über 30 Grad heiß werden. Aber statt Badesee wartet das Büro. Als sich die Aufzugtüren schließen, ist sie auch schon da, die innere Hitze. Wie Panik steigt sie auf, bis zum Kopf, der Fluchtreflex meldet sich. Spätestens jetzt bereut man, so fest in die Pedale getreten zu haben. Als Frau hat man immerhin den textilen Trost: Dank des luftigen Sommerkleids wird sich der Körper in wenigen Minuten akklimatisiert haben.

Nebenan steht der Kollege, das Gesicht von dampfiger Röte überzogen. Er trägt sein Jackett überm Arm, reckt seinen Hals aus dem Hemdkragen und nestelt an seiner Krawatte. Bemüht, sich möglichst wenig zu bewegen, wischt er sich mit der Hand kurz die Tropfen von der Oberlippe. Für den Rest der Aufzugfahrt blickt er schicksalergeben an die Decke.

Sakko und lange Hose - eine Qual

Wovon er wohl träumt? Von einem Bad in eiskalter Cola, einem Ventilator, so groß wie ein Windkraftrad, den Bermudas? Als er den Lift verlässt, gibt sein Rücken einen großen nassen Flecken preis, offenbar saß er bis eben im Auto. Oder, schlimmer noch, in der S-Bahn. Der Arme, denkt die Kleidträgerin. Und dann: Selbst schuld - muss man denn bei so einem Wetter unbedingt Sakko und lange Hosen tragen?

Tja, muss man? Diese Frage wabert derzeit wieder durch die drückende Hitze der Büroräume, die gesättigt sind von der heißen Abluft der elektronischen Geräte und den Ausdünstungen der schwitzenden Menschen. Das Bedürfnis nach Beinfreiheit ist zweifellos groß. Doch der Anblick entblößter Männerwaden eher unerwünscht.

Ein Kollege, der sich kürzlich in seiner Verzweiflung dazu hinreißen ließ, in Shorts zu erscheinen, soll von seinem Chef mitsamt Hose zusammengefaltet worden sein. Jetzt trägt er wieder lang. Der Rest der Belegschaft hält sich ohnehin bedeckt.

Sind diese Menschen allesamt domestiziert? Von vorauseilendem Gehorsam übermannt, gehirngewaschen? Warum begehrt keiner auf gegen diese Ungerechtigkeit? Frauen dürfen doch auch ihre Waden an die Luft halten - wo bleibt der Aufschrei? Es gibt keinen. Und wenn, dann in Form von einsamen Aufregern in den sozialen Netzwerken.

Eine spontane Meinungsumfrage bringt es ans Licht: "Ich trage Shorts auf Festivals und zuhause", sagt der Produktmanager. Sein Kollege trägt sie "nur zum Schlafen". "Am Strand, wo sonst", antwortet der nächste, "in der Freizeit", ein anderer. Und das nicht aus Angst vor Sanktionen, sondern aus Überzeugung. Dabei geht es nicht nur um die Außenwirkung - etwa, wenn man während einer Besprechung als Einziger seine haarigen Beine zur Schau stellt. Es geht auch um die innere Einstellung, um Engagement. Und das, so versichert der Kollege aus dem Produktmanagement, wachse mit der Länge der Hose. Als würde mit dem Hosenbein die Kompetenz flöten gehen.

Wobei - ganz so abwegig ist das ja nicht. Mit der Autorität dürfte es nicht weit her sein, wenn der Chef in kurzen Hosen vor einem steht. Das mag auch der Grund dafür sein, warum die deutsche Polizei bis heute - selbst bei Affenhitze - keine kurzen Hosen trägt, obwohl das hessische Innenministerium bereits Shorts und Sonnenbrillen für Polizeibeamte getestet hatte. Das Ergebnis: Die Beamten wurden zwar gemocht, aber nicht ernst genommen.

Polizeibeamte in Cargoshorts - allein die Vorstellung bringt den Münchner Polizeisprecher Christoph Reichenbach zum Lachen. "Sicher, der Bedarf wäre da. Sie können sich vorstellen, dass die Kollegen im Streifenwagen bei 35 Grad die Dinger gern tragen würden", sagt er. "Aber Autorität in kurzen Hosen - das geht einfach nicht."

Natürlich hätten sich die Polizeibeamten ein Beispiel an den Schweden nehmen und sich auflehnen können: Aus Protest gegen die Kleiderordnung, die ihnen das Tragen kurzer Hosen verbietet, erschienen Lokführer aus Stockholm Anfang Juni in den Röcken ihrer Kolleginnen. Der Aktion war mäßiger Erfolg beschert: Das Unternehmen gestand den Mitarbeitern das Tragen der Röcke zu - und untersagte die Shorts weiterhin.

Doch woher kommt der öffentliche Unwille der Deutschen zu Shorts? Fühlen wir uns zu ernst oder zu erwachsen, um sie zu tragen? In der Tat haftet kurzen Hosen etwas Unbeschwertes, Jungenhaftes an. Man könnte auch sagen, sie stellen den verzweifelten Versuch dar, jugendliche Lässigkeit mit Spießertum zu vereinbaren.

Die Short hat ein Imageproblem

Die kurze Herrenhose hat keine Lobby. Jedenfalls nicht an Orten jenseits von Campingplätzen und Beachvolleyballfeldern. Aber ist das ein Wunder? Männer haben jahrzehntelang den Ruf der Shorts ruiniert, indem sie Sandalen und weiße Socken dazu trugen. Dieses Trauma dominiert noch immer die Köpfe der Deutschen und hat ihnen den Mut genommen, Bein zu zeigen. Und den Blick getrübt: Denn auf den Laufstegen gab es sie längst, die Revolution. Nur ging sie auf dem Weg zu uns verloren. Dort zeigten Männer mit gebräunten Waden und gepflegten Füßen elegante, schmal geschnittene Shorts, die das Knie umspielten.

Womit wir beim Kern angelangt wären: Mut allein reicht nicht. Wer Shorts tragen will, muss die Regeln kennen. Weder zu weit noch zu kurz dürfen sie sein. Mindestens bis zum Knie sollten sie reichen, aus hochwertigem Stoff bestehen und keine Muster aufweisen. Dazu trägt man dunkle Socken und Lederschuhe - selbst Kniestrümpfe sind erlaubt. Segelschuhe gehören dagegen in die Freizeit. Aber selbst wenn sie auf den Bermuda-Inseln zur klassischen Geschäftskleidung gehören: In Meetings hierzulande haben kurze Hosen nach wie vor nichts verloren.

Wer die grundlegenden Leitlinien berücksichtigt, ist auf der sicheren Seite. Wer sie indes ignoriert, muss mit dem Vorwurf leben, dass er den Ruf der kurzen Hose auf dem Gewissen hat.

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