Londoner Jung-Designer Erdem:Der Blumenhändler

Erdem Mode mit Models

Selbst Frauen, die Blumenkleider immer spießig fanden, sind von Erdems Kollektion begeistert.

(Foto: Erdem)

Seine Blütenprints sind nicht süß, sondern cool. Erdem Moralioglu gehört zur jungen, internationalen Designer-Elite, die keinen Regeln folgt. Mit seinen Kreationen betört er Frauen auf der ganzen Welt. Wenn er Pech hat, muss er allerdings bald einen anderen Beruf ausüben.

Von Nils Binnberg

Unvorstellbar, dass jemand wie Erdem Moralioglu bald mit Waffe, Helm und Uniform in einem türkischen Schutzgraben liegen könnte! Dieser blasse Designer, der mit gestärktem Poloshirt, gebügelten Chino-Hosen, Retro-Brille und akkurat gescheitelten Haaren in seinem Londoner Büro sitzt wie ein wohlerzogener, etwas nerdiger Elite-Student? Der unter seinem weich klingenden Vornamen Kleider entwirft, die so gar nichts Martialisches haben? Doch, doch versichert er. Gerade erst habe er Post aus Istanbul bekommen, dass er seinen Militärdienst noch nicht angetreten habe. Obwohl er eigentlich Kanadier ist. Durch eine Unachtsamkeit seines türkischen Vaters wurde er mit dessen Passnummer in Montréal gemeldet. Doch Erdem nimmt es gelassen. "Ich bin Brite mit einem kanadischen Akzent. Für die bin ich vollkommen nutzlos."

Dass Erdem gerade Wichtigeres zu tun hat, beweist die Geschäftigkeit in seinem Studio im Osten Londons. Ein Dutzend adrett gekleidete Mädchen schwirren durch den verwinkelten Raum und schieben viel zu dicke Rollen mit Stoffen hin und her. Die kleinen Nähmaschinen surren pausenlos, Scheren schneiden sich durch Schnittmuster und feines Musselin. Egal wohin man blickt, überall liegen Stoffbahnen mit den für Erdem typischen fluoreszierenden Blütenprints. Keine Eins-zu-eins-Abbildungen von Rosen, Veilchen oder Chrysanthemen, wie man sie von anderen Designern kennt. Eine Erdem-Blume ist ein kleines Kunstwerk.

Die Blume ist ein Kunstwerk

Im Prinzip entsteht sie so: Ein Blumenfoto wird eingescannt, digital bearbeitet und anschließend von Hand übermalt, dann wieder digitalisiert. Am Ende sieht der Druck so aus wie eine Blumenwiese, die man bei 200 Sachen aus dem Autofenster sieht. Alleine dieser Anblick versetzt Frauen gerade weltweit in einen Rausch. Röcke, Kleider, Hosen und Shirts mit Blumenprints zählen zu Erdems Bestsellern.

Modekenner reiben sich noch immer die Augen, dass Erdem scheinbar aus dem Nichts zur Cash Cow für den Einzelhandel wurde. So rasant wie seine Prints war auch sein Aufstieg. Gleich die erste Kollektion für Herbst/Winter 2006 konnte er an New Yorks bekanntes Modekaufhaus Barneys verkaufen - und das, obwohl die Präsentation, wie er rückblickend erzählt, "ein Unfall" war. "Ich hatte keine Ahnung, dass man dazu einen Stylisten oder Casting-Agenten engagiert und habe alles selber gemacht. Jedes Model habe ich selbst ausgesucht, angezogen und parallel alle Schuhe von Hand mit schwarzem Lack besprüht."

Geschadet hat es nicht, im Gegenteil: Einkäufer und Kritiker erkannten auf Anhieb Erdems Potenzial. Und so wurde der Nachwuchsdesigner vom Royal College of the Arts auf einmal der neue Stardesigner aus East London.

Die Erdem-Hysterie

Es gibt heute fast keinen Modepreis, den Erdem in seiner Wahlheimat noch nicht gewonnen hat, fast kein Luxusgeschäft in China, Russland, Nordamerika oder Europa, das seine Mode noch nicht verkauft. Für Einkäufer ist sie eine sichere Bank, die Sachen gehen oft noch vor dem offiziellen Sale weg. Gerade die kostspieligen Teile laufen besonders gut; Kleider, die bis zu 3000 Euro kosten und aus derselben Spitze wie ein Chanel-Couture-Kleid gearbeitet sind. Und wer jetzt noch versucht, die flaschengrüne Seidenbluse und den nachtblauen Bleistiftrock mit leuchtendem Blütenprint aus der aktuellen Prefall-Kollektion zu ergattern: keine Chance. "Die Kollektion hat einfach eine unverwechselbare Identität", erläutert Justin O'Shea, Buying Director von mytheresa, die Erdem-Hysterie. "Die Looks verbinden vollkommen mühelos die ultra-feminine Raffinesse von 50er-Jahre-Couture mit der modernen, digitalen Kultur. Das trifft bei vielen Frauen gerade einen Nerv."

Wenn Erdem Kurzmäntel mit aufgeblasenen Ärmeln macht, oversize geschnittene Jacken mit breitem Kragen oder schmal geschnittene Kostüme mit Nylon-Inserts, so hat das niemals etwas Altmodisches. Das allzu Hübsche verfremdet er mit androgynen oder schrägen Details, die im Common Sense als hässlich gelten. Dafür benutzt er schon mal Prints, wie man sie von muffigen Vorhängen aus 60er-Jahre-Motels kennt (natürlich mit Blumenmuster), so wie bei einem A-Linien-Kleid in seiner Resortkollektion für den nächsten Sommer. Ein anderes Modell, ein Etuikleid, ist mintfarben, vorne aus feinem Wollkrepp mit aufgesetzten Lederblüten, hinten aus mattem Neopren mit einem dicken Zipper bis zum Saum - was, wie Erdem sagt, als Reverenz an sein Lieblingshobby gedacht war: das Schwimmen.

Erdem Designer

Selbst Frauen, die Blumenkleider immer spießig fanden, sind von Erdems Kreationen betört.

(Foto: Erdem)

Man sieht in seiner Arbeit weder eine Spur von der Punk-Attitüde einer Vivienne Westwood noch von dem Seventies-Glam der Diane von Fürstenberg, in deren Ateliers er nach seinem Studium gelernt hat. Das Erdem-Vokabular besteht aus zwei Begriffen: feminin und cool. Einerseits sind seine Entwürfe wie der knallrote Lippenstift seiner Klassenlehrerin oder das Guerlain-Parfum seiner Mutter: weibliche Codes, die er in seiner Jugend erlebt hat. Und andererseits zeugen die schamlosen Wolfgang-Tillmans-Fotos mit nackten Teenagern, die in Erdems Büro an der Wand hängen, eher vom Erdem-Cool. . .

Wer eine seiner Kreationen schon einmal auf einem Kleiderbügel gesehen hat, der weiß, wie hochwertig und teuer seine Kleider aussehen. Und fast magisch zieht es Frauen in seinen Shop bei Harvey Nichols oder im Dover Street Market. "Die Präsentation auf dem Catwalk ist das eine", philosophiert er, "das andere ist, dass die Sachen sitzen müssen. Ich bin besessen von der Passform. Erdem passt jeder Frau, sogar einer Größe 44."

Die junge Designergeneration ohne Regeln

Es ist tatsächlich verblüffend, wer alles in seinen Kleidern gut aussieht. Am besten lässt es sich an den ganzen Celebritys durchdeklinieren, die mitgeholfen haben, das Label bekannt zu machen. Das stöckchendürre Modepüppchen Alexa Chung? Na klar! Die glamouröse Julianne Moore? Sowieso. Selbst der etwas pummelige "Girls"-Star Lena Dunham wirkt in seiner Mode nicht verkleidet. Beim vergangenen Met Ball in New York erschien sie vollkommen selbstverständlich in einem von ihm maßgefertigten Abendkleid aus schwarzem Organza. Den echten Erdem brachte sie als Accessoire gleich mit. So schnell kommt ein Designer sonst nur in einem transparenten Spitzenkleid mit weißen Boxershorts darunter in die Schlagzeilen - so wie Marc Jacobs beim Met Ball davor.

Erdem Mode Models

Im Prinzip sind Erdems Entwürfe wie der Lippenstift seiner früheren Klassenlehrerin oder das Parfüm seiner Mutter.

(Foto: Erdem)

Die Londoner Fashion Week ist für Einkäufer und Presse inzwischen fast wichtiger als die Milano Moda. Und auch wenn Erdem es natürlich niemals aussprechen würde - dafür ist er viel zu bescheiden: Dieser Trend geht auch auf sein Konto. Spätestens seit er im Frühjahr 2008 eine seiner stärksten Kollektionen zeigte - mit Spitze überzogene Trenchcoats, die gleich darauf zigfach kopiert bei Zara hingen - und damit Anna Wintour und ihre Vogue-Entourage zur Show ins Somerset House lockte, hat die Veranstaltung spürbar an Fahrt aufgenommen. Wer für die US-Vogue stattfindet, findet international statt. Erst kam die Wintour an die Themse, dann kehrte auch die britischste aller Marken, Burberry, mit ihren Schauen wieder zurück nach Hause.

Die DNA feuert den Erfolg an

"Die junge Designergeneration hat eine Bewegung gestartet, die keinen Regeln oder der Geschichte folgt", erklärt Justin O'Shea das Phänomen. "Es ist die Authentizität in ihren DNAs, die den ungebrochenen Erfolg anfeuert." Wer heute an Mode made in London denkt, hat sofort die bunten Neoprenkleider von Peter Pilotto und die Kachel-Prints von Mary Katrantzou vor Augen, die Rüschenkollektion von J.W. Anderson, die Gorilla-Kleider von Christopher Kane und eben auch die Blumen-Looks von Erdem. Früher sind Galliano, McQueen und Pugh für die Karriere nach Paris gegangen, heute kommt Tom Ford aus dem gleichen Grund von New York nach London.

Wie etabliert die Londoner Designer inzwischen sind, lässt sich auch an den jüngsten wirtschaftlichen Bewegungen ablesen. Christopher Kane wurde aufgekauft von der millionenschweren Pariser Modegruppe Kering (vormals PPR), zu der auch Gucci, Stella McCartney und Saint Laurent gehören. J.W. Anderson ist nach Christopher Kane der nächste Brite, der für Versus, die Schwesterkollektion von Versace, entwirft. Auch bei Erdem wurde schon gemutmaßt, welchen Zweitjob er demnächst wohl bekommen wird. Schiaparelli ist ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt. Darauf angesprochen, wird er plötzlich einsilbig. "Bei so etwas fühlt man sich als Designer natürlich geehrt", antwortet er und lächelt verlegen. "Mehr kann ich nicht sagen." Bisher hat es für ihn ja auch ohne Back-up sagenhaft funktioniert.

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