Dover Street Market in London:Die Antwort auf die Krise der Kaufhäuser

Dover Street Market

Alles außer langweilig: Nirgendwo ist die Auslage von Kleidern kunstvoller als bei Dover Street Market. Stephen Jones präsentiert seine Hüte in London auf einem Turm aus Stühlen.

(Foto: Mark Blower)

Die britische Vogue nannte den Laden einst: "den besten Shop der Welt." Seine Produkte im Dover Street Market verkaufen zu dürfen, ist für Designer wie ein Ritterschlag. Was ist das Geheimnis der Betreiber?

Von Silke Wichert

Die Schaufenster sind mit riesigen weißen Kugeln vollgestellt, der Eingang befindet sich in einer toten Seitengasse, obwohl die Längsseite des Gebäudes zur breiten Straße Richtung Piccadilly Circus liegt. Kaufhaus-Manager würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Alles, wie man es genau nicht macht, um Kundschaft anzuziehen.

Drinnen klickt ein gut gelaunter Türsteher auf einen mechanischen Zähler, als man eintritt. Ein paar Hundert Besucher hat er an diesem Mittag in der Vorweihnachtszeit registriert. "Vergleichsweise wenig", meint der junge Mann. Erstaunlicherweise seien heute kaum Asiaten unterwegs, die sonst in Scharen kommen. Er selbst verstehe den Kult um diesen Laden ohnehin noch nicht so ganz. Er kommt aus Budapest, ist erst seit Kurzem in London und hatte vorher noch nie von Dover Street Market gehört, wo er jetzt arbeitet. "Manche drehen fast durch vor Glück, wenn sie hier über die Schwelle treten", erzählt er kopfschüttelnd. "Warum?"

Die Antwort darauf wüssten eine ganze Reihe Leute gern. Die Einzelhändler weltweit, auch in Deutschland, die seit Jahren darüber klagen, dass immer weniger Kunden in ihre Läden kommen, ihnen das Online-Shopping das Geschäft kaputt mache. Im August ging das berühmte Kaufhaus Barney's New York pleite, Opening Ceremony in New York und Los Angeles, deren Gründer mal als die neuen Götter des Einzelhandels gefeiert wurden, mussten Mitarbeiter entlassen und sind auf der Suche nach einem neuen Investor. Der legendäre Pariser Concept Store Colette schloss vor zwei Jahren seine Pforten. Die Gründerin Sarah Andelman sagte kürzlich in einem Interview, Colette würde heute nicht mehr funktionieren.

An manchen Tagen wird ausgelost, wer vor dem Laden anstehen darf

Warum läuft dann Dover Street Market noch? Der Londoner Mutterladen feierte gerade 15-jähriges Bestehen, nach Ablegern in New York, Peking, Singapur, Tokio, Los Angeles wurde in Paris gerade eine neue Parfumboutique eröffnet. "DSM", wie es hausintern der Einfachheit halber heißt, ist ja auch erst mal ein "Concept Store". Verschiedene Marken und Produkte unter einem Dach, viele exklusive Designer-Kooperationen, wie sie auch Colette erfolgreich verkaufte. Die ziehen noch immer, und wie: Für viele - vergangene Woche etwa ein limitiertes Outdoorzelt sowie einen Fleece-Anzug von The North Face - gibt es sogar "Raffles": Das Los entscheidet, wer sich morgens vor dem Laden überhaupt anstellen darf. Aber Kooperationen sind eben nur ein Teil des Geheimnisses.

In London erstreckt sich der Dover Street Market über vier Stockwerke auf knapp 3000 Quadratmetern. In dem imposanten Gebäude war früher das Hauptquartier von Burberry untergebracht; natürlich lag der Eingang auf der anderen Seite. Kunden können den Aufzug nehmen, die alte, schmale Holztreppe in der Mitte, die sich kunstvoll nach oben windet, ist aber deutlich frequentierter. Die meisten Besucher wollen Etage für Etage abklappern, weil es eben wirklich überall etwas zu sehen gibt.

DSM ist ein Panoptikum der Mode. Keine sauber eingeteilten, gut beschrifteten Parzellen für die üblichen Luxusmarken. Jede Ecke sieht anders aus. Die Kreationen des berühmten Hutmachers Stephen Jones hängen im Erdgeschoss an wild aufeinandergestapelten, ineinander verkeilten Stühlen, bei Balenciaga sind die Kleider und Accessoires in Aufzugkabinen arrangiert. Kunstinstallationen statt Kleiderstangenwüste. Mehrmals im Jahr wird umgestaltet - von den Marken bzw. Designern selbst. Und sie strengen sich besser an. Konzepte würden sonst schon mal als "zu langweilig" bemängelt, heißt es. Vernichtender geht es kaum.

Dover Street Market

Bei Comme des Garçons ist der Bereich ganz in Gold gehalten.

(Foto: Mark Blower)

Denn die Gründerin des Geschäfts ist keine Geringere als Rei Kawakubo, Designerin von Comme des Garçons. Die 77-jährige Japanerin, die mit ihrer avantgardistischen, "kaputten" Ästhetik in den Achtzigern Paris auf den Kopf stellte, wird in der Modegemeinde wie eine Prophetin verehrt. Sie und ihr Mann Adrian Joffe, die Dover Street Market 2004 damals noch in der gleichnamigen Straße eröffneten, sind die Seele von DSM, ihre heiligen Hallen für Modeinteressierte so sehr Sehenswürdigkeit wie ein gutes Museum. Wer nach besonderen Läden in der Stadt fragt, bekommt reflexhaft "Dover Street Market" genannt, selbst von Leuten, die selbst noch nie dort waren. Die britische Vogue nannte den Laden 2007 schlicht: "den besten Shop der Welt."

"Beautiful Chaos" sei der Ursprungsgedanke gewesen, sagt Joffe. Ein hübsches, kreatives Durcheinander. "Wir folgen keiner Norm, nur unserem Instinkt." Es gab nie einen Businessplan. Läden eröffnen sie oft abseits gängiger Einkaufsstraßen, E-Commerce spielt kaum eine Rolle. Vor allem war es zu Anfang undenkbar, dass eine Marke, in diesem Fall Comme des Garçons, im eigenen Laden auch andere Label anbot, und dort von "Frozen"-T-Shirts bis Gucci-Taschen sämtliche Produkte nebeneinander existieren. Hauptsache, es inspiriert. "Als wir vor einigen Jahren in der New Yorker Boutique Prada auf dem selben Flur wie Supreme verkauften, sorgte das zunächst für einige Irritationen", wie Joffe es formuliert. Mittlerweile ist die Kombination von Luxus und Streetwear in der Branche fast schon ein alter Hut.

"Hier vertreten zu sein, ist wie ein Ritterschlag", sagt die junge britische Designerin Molly Goddard, deren voluminöse Kleider zuletzt in großen, mit schwarzem Papier ausgekleideten Schränken hingen, was ein bisschen an aufrechte Särge erinnerte. Wenn es jemand durch die strenge Kontrolle von "Dover" schafft, ist das auch ein Signal innerhalb der Branche. Goddard erzählt, dass sie schon als Teenager oft in den Laden kam. "Natürlich konnten wir uns nichts von all dem leisten, aber wir liebten es herumzustöbern und diese unglaublichen Sachen zu entdecken."

Wer hier verkaufen darf, das registriert die Branche genau

Die Suche sei Teil des Konzepts, sagt Joffe. Der Kunde wird nicht von intelligenten Wegen geleitet, es gibt keine Anzug- oder Taschenabteilung, zu manchen Produkten muss man sich regelrecht vorarbeiten. Hier einzukaufen kostet nicht zuletzt: Zeit. Nicht alle Kunden verstanden so einen Laden auf Anhieb. Vier Jahre dauerte es, bis er in London schwarze Zahlen schrieb, in New York ebenfalls, Tokio dagegen war innerhalb kürzester Zeit profitabel und gehört mittlerweile zum erfolgreichsten Ableger. Insgesamt machen die Dover Street Markets laut Business of Fashion 30 Prozent des Umsatzes von Comme des Garçons aus, was rund 100 Millionen Dollar entspricht. Gerade mal ein Viertel des Umsatzes von Onlinegrößen wie Mytheresa.

Dover Street Market

Gegründet haben das Geschäft Adrian Joffe (im Bild) und seine Frau, die legendäre Designerin Rei Kawakubo.

(Foto: Thomas Lohr)

Riesiger Andrang herrscht an den Kassen an diesem Tag tatsächlich nicht, aber innerhalb kurzer Zeit kauft eine Italienerin in Pelz und Cowboystiefeln immerhin ein Kleid von The Row für 2000 Euro, ein junges chinesisches Pärchen fünf Comme-des-Garçons-Portemonnaies und ein älterer Herr ein paar Boots von Raf Simons.

Auch jener Kunde musste sich übrigens erst mal auf die viel beschworene Suche begeben, allerdings weniger nach dem Produkt. Er wusste nicht so recht, wen unter den vielen jungen Leuten auf dem Flur er denn nun ansprechen sollte. Während die Verkäufer in vielen Läden zur besseren Erkennung ähnlich gekleidet sind, dürfen sie bei DSM anziehen, was sie wollen. Insgeheim gilt auch hier natürlich die Devise: alles, nur nicht langweilig. Deshalb werden Pullover hier von Typen mit Hut und Trenchcoat gefaltet, fehlende Größen von Frauen mit abenteuerlichen Frisuren aus dem Lager geholt. Was Kawakubo und Joffe vor allem von Verkäufern erwarten: dass sie viel über Mode wissen und Kunden nie von oben herab behandeln. Nicht jeder Modefreak sieht auch wie einer aus. Manche Leute verbringen Stunden damit, in der Rose Bakery, dem Café in der obersten Etage, zu sitzen, und sich die Leute anzugucken.

Der ehemalige Chefeinkäufer von Bergdorf Goodman, Robert Burke, schrieb vor einigen Monaten im Branchendienst Women's Wear Daily über die Krise der Kaufhäuser, die meisten Shops würden sich zu wenig trauen, seien zu vorhersehbar. "Der Einzelhandel ist nicht tot, sondern nur schrecklich langweilig." So kann man die Sache natürlich auch beantworten.

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