London Fashion Week:Britalienische Verhältnisse

Es könnte so schön sein: Riccardo Tisci zeigt seine erste Burberry-Kollektion in 19 Beigetönen, Victoria Beckham feiert zehnjähriges Jubiläum. Wenn nur der Brexit nicht wäre.

Von Silke Wichert

Er hat sie am Ende alle reingelegt. Als Riccardo Tisci im März zum neuen Burberry-Designer ernannt wurde, war der Branche kurz mal die Spucke weggeblieben. Ein Italiener beim urbritischen Label Burberry! Obendrein einer, der bei seinem vorherigen Arbeitgeber Givenchy einen deutlichen Hang zu Streetwear und Gothic gezeigt hatte. Das sei ja ungefähr so, als würde die Queen ihre Corgis durch Rottweiler ersetzen, hieß es. Das würde ganz sicher sehr viel Schwarz bedeuten, jedenfalls kein Burberry-Beige.

Tisci lieferte verlässlich. In der Woche vor der Show lancierte er ein T-Shirt als Teaser: schwarz mit neuem großen Logo, 400 Euro teuer, nur 24 Stunden erhältlich, sofort ausverkauft. Dann machte die Runde, dass der 44-Jährige weniger Journalisten, dafür möglichst viele Freunde und die erweiterte Familie dabeihaben wollte. Italienischer Familiensinn eben. Kanye West und Kim Kardashian, der er das Hochzeitskleid geschneidert hat, Donatella Versace, vielleicht sogar Meghan Markle: Man war auf alles gefasst. Als die Gäste am Montagnachmittag in der ehemaligen Poststelle ankommen, gleich um die Ecke vom britischen MI6, ist es drinnen stockfinster, Technosound wummert dumpf vor sich hin. Alles "very tiscy" also.

Aber dann setzt auf Knopfdruck nicht das Fegefeuer ein, sondern die Abdeckung des Glasdachs wird weggezogen. Plötzlich ist es in der Halle taghell, und man sieht: beigefarbene Sessel auf beigefarbenem Teppich vor beigefarbenen Vorhängen - und keine einzige Celebrity. Dabei wurde in den vergangenen Saisons jeder irgendwie verfügbare Promi mit britischem Pass als Kamerafutter angekarrt.

Burberry will nicht mehr nur Trenchcoat-Lieferant sein

Ganze 19 verschiedene Beigetöne wurden auch im neu eingerichteten Store auf der Regent Street verwendet. Der Italiener wolle sich den Farbton "einverleiben", erklärte eine Mitarbeiterin. Auch die ersten drei Dutzend Looks auf dem Laufsteg sind vor allem beige: Trenchcoats, Plisseeröcke, Clubjacketts. Danach folgen die Männer: mehr Savile Row als Londoner Streetwear. Einige tragen Regenschirme mit Fahrradschlössern wie Schwerter hinten an den Rücken geschnallt. Ein hübsches Accessoire für die Nachbarn vom MI6.

Tisci allerdings ist damit noch lange nicht am Ende. Nach einer kompletten Kollektion folgt gewissermaßen eine zweite. Jetzt also doch noch Streetwear mit Sneakern, Socken, weiten Cape-Tops und Paradehosen. Und danach sogar noch Teil drei, schwarze Abendkleider. Nach endlosen 134 Looks ist zumindest eines klar: Burberry will nicht mehr nur der Trenchlieferant sein, sondern sehr viel mehr.

Die Briten haben seit letztem Jahr einen neuen CEO, Marco Gobbetti. Er ist ebenfalls Italiener, war ebenfalls früher bei Givenchy, dann bei Céline. Die Umsätze bei Burberry gingen zuletzt empfindlich zurück, und dann gab es noch diese unschöne Nachricht, dass Waren im Wert von 28 Millionen Pfund verbrannt wurden.

Mit dem neuen Gespann will man nun endlich in der gleichen Liga spielen wie Gucci und Louis Vuitton. Allein die vielen Seidentücher sprechen Bände: Mit solchen Accessoires verdienen andere Luxusmarken ihr Geld. Den anwesenden Einkäufern von Harrod's bis Net-a-porter schießen auch gleich die Pfundzeichen in die Augen: Die coolen Abendkleider, die Mäntel mit den dicken Stretchbündchen sowie die Lederröcke sind sichere Bestseller. Tisci ist mit acht Schwestern aufgewachsen. Womöglich kein Wunder, dass seine Frauensachen immer stärker sind.

Der Brexit würde sie hart treffen

"Für Mütter und deren Töchter, Väter und deren Söhne - Burberry ist für alle da, für jedes Alter, jeden Lifestyle", sagt der Designer nach der Show. Und womöglich ist genau dies das Problem. In Zeiten, in denen andere Marken immer wieder in die gleiche Kerbe hauen, um dem Kunden das Firmenimage einzubläuen, bleibt die klare Botschaft des neuen Burberry aus. Wahrscheinlich wird es die massive Werbekampagne trotzdem reißen. Der Engländer Peter Saville hat ein Monogramm mit poppigem, dicken B entworfen, das jetzt unübersehbar Londoner Taxis, Häuserfassaden in Südkorea und Sonnenschirme in New York ziert.

Die Kollektion nannte Tisci "Kingdom", interessanterweise ohne "United". Vereint ist das Königreich ja gerade auch nicht so ganz, weil es noch dieses andere dicke B gibt: den Brexit. Reden mag darüber keiner in London. Das Thema ist nicht besonders sexy, aber betreffen wird es sie natürlich alle. Einem Bericht des UK Trade Policy Observatory zufolge wird der Textilsektor nach der Lebensmittelindustrie am stärksten leiden. 32 Milliarden Pfund erwirtschaftet die Branche pro Jahr, bei einem harten "No deal"-Szenario könnten die Exporte um fast ein Drittel einbrechen. Bei einer Einigung mit der EU sollen es immer noch 16,5 Prozent weniger sein.

Aber die Exporte sind nicht das einzige Problem für die Designer. Ein Großteil der Mitarbeiter, junge Kreative aus aller Welt, die internationalen Models: "Wenn sie nicht frei reisen und hier arbeiten können", sagt Caroline Rush, Vorsitzende des British Fashion Council, "wäre das eine große Herausforderung." In sogenannten "Technical Notices" wird die Bevölkerung schon auf den Fall der Fälle vorbereitet. Wessen Pass dann nicht noch mindestens drei Monate gültig ist, darf beispielsweise nicht mehr einreisen.

Victoria Beckham kommt fürs Firmenjubiläum nach Hause

Also umsiedeln? Ernsthaft denkt bisher keiner daran. Marken wie Erdem, Simone Rocha oder Christopher Kane sind so sehr mit London verwoben, und der British Fashion Council unterstützt sie nach Kräften - in Paris oder Mailand hätten sie es erst einmal sehr viel schwerer. Womöglich kam Victoria Beckham auch deshalb für ihr zehntes Firmenjubiläum nach Hause, statt wie sonst in New York zu zeigen. Wer weiß, wie lange das noch so einfach geht.

Sie lädt in eine Galerie neben ihrem Store in Mayfair, David und die vier Kinder verlässlich im Publikum. Beckham ist jetzt endgültig so etwas wie die "My Fair Lady" der Modewelt: Als Designerin wird sie längst akzeptiert, die britische Vogue gibt extra eine Party für sie, ihr eigener Look sitzt, und die Entwürfe sind so selbstbewusst wie fokussiert. Fließende Kleider oder scharf geschnittene Blazer über schmalen, am Saum geschlitzten Hosen. Eine Kollektion, die sich eigentlich wie von selbst verkaufen müsste, trotzdem soll ihre Firma zuletzt elf Millionen Dollar Verlust gemacht haben. Ist das schlechtes Management? Oder weckt der Name Victoria Beckham immer noch ungute Klatschblatt-Erinnerungen?

Dabei heißen die meisten Marken in der Mode wie ihre Gründer. Burberry kommt von Thomas Burberry, der das Unternehmen 1856 aufbaute und per Fotoprint und neuem "TB"-Logo bei Tisci wieder sehr präsent ist. Der Italiener selbst, enorm erleichtert und sichtbar stolz, trägt am Abend das neue T-Shirt, als er Backstage die Huldigungen entgegennimmt - es ist ein Gratulationsandrang wie bei einer Hochzeit. Seine Mutter Emeralda wird im Rollstuhl zu ihm gefahren und herzt den großen Sohn, der hier noch so viel vorhat. Hoffentlich lässt er seinen Pass rechtzeitig verlängern.

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Seit 30 Jahren ist Anna Wintour Chefredakteurin der amerikanischen Vogue. Über eine Frau, die verehrt und gefürchtet wird - und mehr Einfluss auf die Modewelt nimmt als jede andere.

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